Bad Brückenau

Erinnern in Unterfranken

Der vergangene Sonntag war ein besonders emotionaler Tag für Zentralratspräsident Josef Schuster. Anlässlich der dritten Verlegung von »Stolpersteinen« in Bad Brückenau durch den Künstler Gunter Demnig war Schuster in die nordbayerische Heimat seiner Vorfahren gekommen.

»Wie vielleicht einige von Ihnen wissen, hat meine Familie bis zur Schoa hier in Bad Brückenau gelebt, wo mein Großvater unweit des heutigen Verlegungsortes Unterhainstraße 25 das ›Central Hotel‹ geführt hat. Mein seliger Vater David Schuster wurde in der Ludwigstraße 4 geboren.« So erklärte Schuster, warum er an diesem Vormittag an der Zeremonie in der fränkischen Kleinstadt, rund 80 Kilometer von Würzburg entfernt, teilnahm.

ns-regime Schuster erinnerte sodann an die auf den Stolpersteinen genannten jüdischen Bad Brückenauer, die dem NS-Regime zum Opfer fielen: Max, Sybilla und Ludwig Goldschmidt, Paula Spier, Bernhard Frank, Theodor und Regina Vandewart.

Die Lebensgeschichten der ehemaligen Bad Brückenauer endeten tragisch: in Fort IX außerhalb Rigas, im Vernichtungslager Majdanek oder an unbekanntem Ort. »So ist das Andenken an die sieben Bad Brückenauer Bürger auch ein besonders emotionaler Tag für mich, denn in Bad Brückenau sind auch meine, meiner Kinder und meiner Enkel Wurzeln«, sagte Schuster.

Die Familie von Josef Schuster stammt aus Bad Brückenau.

Diese Wurzeln waren in der NS-Zeit vorübergehend gekappt: In einer 2010 veröffentlichten Biografie über David Schuster schreibt der Würzburger Historiker und Journalist Roland Flade über die Umstände der Emigration der Familie Schuster nach Palästina: »Die Gestapo wollte Julius Schuster und seinen Sohn durch ständigen Druck und durch grausame Behandlung so weit bringen, dass sie ihren Brückenauer Besitz, vor allem das ›Central Hotel‹, für einen geringen Betrag verkauften.«

Verkaufsklausel Nachdem sich Vater und Sohn lange dem Druck der Nationalsozialisten widersetzt hatten, gelang es ihnen, in die Verkaufsverträge die Klausel aufnehmen zu lassen, dass der Verkauf erst nach der Auswanderung der Familie gültig würde. Laut Flade bemerkte David Schuster später: »Das Hotel hat uns das Leben gerettet.« Die Entlassung aus dem KZ Buchenwald am Abend des 16. Dezember 1938 habe sein Vater immer als seinen zweiten Geburtstag bezeichnet, erzählt Schuster.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erhielten die Schusters, die nach Palästina emigriert waren, ihren Bad Brückenauer Besitz zurück. Da das Eigentum in der Rhön von Palästina aus nur schwer zu verwalten war, kehrte David Schuster 1956 nach Deutschland zurück und holte seine Frau Anita und den damals zweijährigen, 1954 in Haifa geborenen Sohn Josef nach. Der Rest ist eine Geschichte – in Würzburg, Bayern und Deutschland.

Das Projekt liege ihm am Herzen, weil sich vor allem junge Menschen engagieren, sagt Schuster.

Eine Erfolgsgeschichte sind auch die Stolpersteine, befindet der heutige Zentralratspräsident Josef Schuster. »So ist mit Ihrem großen Engagement und vielen hilfreichen Paten in der Bevölkerung und in Zusammenarbeit mit Gunter Demnig dieses großartige und zugleich berührende Projekt zustande gekommen, das mir sehr am Herzen liegt. Nicht zuletzt deshalb, weil junge Menschen es angestoßen haben«, lobte Schuster das Engagement des Bad Brückenauer »Arbeitskreises Stolpersteine« und der zahlreich vertretenen Jugendlichen.

Das Gedenken gewinne in einer Zeit, in der es nur noch wenige Überlebende der Schoa gibt, die berichten können, was ihnen, ihren Familien und den Juden Europas geschehen ist, noch mehr an Bedeutung.

Erinnerungskultur Der Arbeitskreis ist aus einem von Dirk Hönerlage, Geschichtslehrer am örtlichen Franz-Miltenberger-Gymnasium, geleiteten Projektseminar »Jüdisches Leben in Brückenau« hervorgegangen. Hönerlage dankte sichtlich erfreut »den Bürgern, die sich mit der so wichtigen Erinnerungskultur identifizieren und sie mittragen und durch ihre Anwesenheit würdigen – zivilgesellschaftliches Engagement, das gegen das Gift des Hasses und des Antisemitismus zu Felde zieht«.

An der Verlegung der Stolpersteine, des »größten dezentralen Mahnmals der Welt«, wie sie in der Broschüre Jüdisches Leben in Brückenau bezeichnet werden, nahmen auch der Erste Bürgermeister der Stadt Bad Brückenau, Jochen Vogel, und der Bad Kissinger Landrat Thomas Bold teil.

Auch Bad Brückenaus sollte im Deportationsdenkmal Würzburg mit einem Gepäckstück vertreten sein, regt Josef Schuster an.

Die Erinnerungskultur sei für die Gegenwart besonders bedeutsam, betonten beide. »Es liegt an uns allen, dass die Geschichte präsent bleibt und wir ein Augenmerk darauf haben, damit so etwas nie wieder geschehen kann«, sagte Vogel.

Tradition Landrat Bold wies auf die lange Tradition der jüdischen Gemeinden im Landkreis Bad Kissingen hin, die dessen Geschichte über viele Jahrhunderte geprägt haben. »Ich finde es toll, dass die Abiturienten das Thema im Seminar zur Studien- und Berufsorientierung aufgegriffen haben«, lobte Bold. »Tragen wir alle dazu bei, dass diese schrecklichen Ereignisse der 30er- und 40er-Jahre sich nicht wiederholen!«

»Künftig werden Spaziergänger, Alte und Junge, Schulkinder und Geschäftsleute an diesen kleinen goldfarbenen Stolpersteinen vorübergehen und die Inschriften mit Geburtsdaten und – soweit bekannt – Todesdaten und den Namen der Ermordeten ihrer ehemaligen Nachbarn lesen«, sagte Schuster.

Um diese wenigen Daten eines ganzen Lebens überhaupt lesen zu können, müssten sie sich hinunterbeugen. »Wer das tut, zollt mit dieser Verbeugung den ehemaligen Bad Brückenauern Respekt und ihrem Andenken Ehre.« »Gemessen an der Zahl der sechs Millionen ermordeten Juden in Europa gibt es noch viele Gedenksteine zu verlegen. Aber ich freue mich über jeden Stolperstein, der zu ihrem Andenken verlegt worden ist und verlegt werden wird.«

Deportationsdenkmal Schuster verwies in diesem Zusammenhang auf ein anderes, ebenfalls dezentrales Mahnmal – den jüngst eröffneten Würzburger »DenkOrt Deportationen« (vgl. Jüdische Allgemeine vom 25. Juni). »Vor dem Hauptbahnhof sollen in absehbarer Zeit einmal 109 Gepäckstücke stehen, eines für jeden Ort in Mainfranken, aus dem Juden deportiert wurden. Hunderte Gepäckstücke, übereinandergeworfen, Koffer, Bündel, Taschen, herrenlos zurückgelassen, während ihre Besitzer verjagt, verschleppt und in den Tod deportiert worden sind.«

Bad Brückenau ist im Deportationsdenkmal noch nicht vertreten.
Von den 109 Städten, Dörfern und Gemeinden Unterfrankens mit jüdischen Gemeinden vor 1939 hätten bislang 55 ihre Teilnahme zugesagt. »Die Heimatstadt meiner Großeltern, Bad Brückenau, ist bisher leider noch nicht dabei«, sagte Schuster und fragte, an Bürgermeister Jochen Vogel gewandt: »Wäre dieser Tag, lieber Herr Vogel, geeignet, darüber nachzudenken, ob Bad Brückenau nicht auch zu den 109 unterfränkischen Orten gehören sollte, die auf diese Weise ihrer ehemaligen Bürgerinnen und Bürger gedenken?«

Sachsen

Landesbeauftragter: Jüdisches Leben auch in Sachsen gefährdet

Die Hemmschwelle, in eine Synagoge zu gehen, sei größer geworden, sagt Thomas Feist (CDU)

 25.04.2024

Pessach

Vertrauen bewahren

Das Fest des Auszugs aus Ägypten erinnert uns daran, ein Leben in Freiheit zu führen. Dies muss auch politisch unverhandelbare Realität sein

von Charlotte Knobloch  22.04.2024

Pessach

Das ist Juden in Deutschland dieses Jahr am wichtigsten

Wir haben uns in den Gemeinden umgehört

von Christine Schmitt, Katrin Richter  22.04.2024

Bayern

Gedenkveranstaltung zur Befreiung des KZ Flossenbürg vor 79 Jahren

Vier Schoa-Überlebende nahmen teil – zum ersten Mal war auch der Steinbruch für die Öffentlichkeit begehbar

 21.04.2024

DIG

Interesse an Israel

Lasse Schauder über gesellschaftliches Engagement, neue Mitglieder und die documenta 15

von Ralf Balke  21.04.2024

Friedrichshain-Kreuzberg

Antisemitische Slogans in israelischem Restaurant

In einen Tisch im »DoDa«-Deli wurde »Fuck Israel« und »Free Gaza« eingeritzt

 19.04.2024

Pessach

Auf die Freiheit!

Wir werden uns nicht verkriechen. Wir wollen uns nicht verstecken. Wir sind stolze Juden. Ein Leitartikel zu Pessach von Zentralratspräsident Josef Schuster

von Josef Schuster  19.04.2024

Sportcamp

Tage ohne Sorge

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin und Makkabi luden traumatisierte Kinder aus Israel ein

von Christine Schmitt  18.04.2024

Thüringen

»Wie ein Fadenkreuz im Rücken«

Die Beratungsstelle Ezra stellt ihre bedrückende Jahresstatistik zu rechter Gewalt vor

von Pascal Beck  18.04.2024