»Als wir die Tore von Dachau öffneten, wurde uns wirklich klar, wofür wir gekämpft hatten.« Mit diesen Worten umschrieb Bud Gahs, der heute 100-jährige Veteran der »Rainbow«-Division, der 42. Infanterie-Division der US-Armee, das Grauen, das die Soldaten bei der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau vorfanden.
Wie die Überlebenden Abba Naor, Jean Lafaurie und Leslie Rosenthal war er anlässlich des 80. Jahrestags der Befreiung des Konzentrationslagers nach Dachau gekommen, um bei der zentralen Gedenkfeier des Comité International de Dachau und der KZ-Gedenkstätte Dachau am 4. Mai auf dem ehemaligen Appellplatz des Lagers an jenen 29. April 1945 zu erinnern, der rund 32.000 Inhaftierten die Freiheit brachte.
Viele waren mehr tot als lebendig, ausgezehrt, gezeichnet von Folter und Krankheit. Und für viele kam die Befreiung zu spät. Rund 200.000 Menschen aus über 40 Ländern hatten die Nationalsozialisten zwischen 1933 und 1945 hierher verschleppt und systematisch gequält, unter ihnen Juden, Sinti und Roma, politisch Andersdenkende, Homosexuelle. Mehr als 41.500 Menschen wurden in Dachau und seinen 140 Außenlagern ermordet. Im März 1933 hatten die neuen Machthaber Dachau als erstes Konzentrationslager eingerichtet.
Vor den Toren Münchens
Vor den Toren Münchens, das bald schon stolz den Titel »Hauptstadt der Bewegung« trug, wurde es gleichsam zum Musterlager und blieb mit am längsten, bis wenige Tage vor der bedingungslosen Kapitulation, in mörderischem Betrieb. In dieser Schule der Unmenschlichkeit lernten und perfektionierten Schlächter wie Rudolf Höß, der spätere Kommandant von Auschwitz-Birkenau, ihr brutales Handwerk.
In ihrem Grußwort zeigte sich Landtagspräsidentin Ilse Aigner »dauerhaft schockiert und fassungslos« angesichts des Grauens und dankte den Zeitzeugen sowie den KZ-Gedenkstätten, die immer wieder zeigten, wozu Menschen fähig sind, »was wahr ist.« Sie zeichnete das Konzentrationslager als »den Gegenentwurf zu unserer Demokratie heute«: »Wer nicht weiß, welche Errungenschaft unsere Freiheit, unsere Freiheiten sind, der muss hierherkommen!«
Auch Ulrike Scharf, stellvertretende Ministerpräsidentin und Bayerische Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales, unterstrich die Notwendigkeit des Erinnerns und die historische Verantwortung, zu der sich der Freistaat bekenne. Sie forderte, dass jede Schülerin und jeder Schüler eine KZ-Gedenkstätte besuchen solle. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner dankte den vielen, die sich gegen das Vergessen und für eine aktive Erinnerungskultur engagieren.
Vor der zentralen Feier hatte der Landesverband Israelitischer Kultusgemeinden in Bayern auch in diesem Jahr zu einer Gedenkstunde an der jüdischen Erinnerungsstätte eingeladen. Aus ganz Bayern waren Vertreter der jüdischen Gemeinden gekommen, um trotz Kälte und strömenden Regens dem Gedenken beizuwohnen.
»Es gibt keinen Grund, nach einem Schlussstrich zu rufen.«
Charlotte Knobloch
Auch aus der Münchner Kultusgemeinde nahmen viele Mitglieder, darunter eine Gruppe des Jugendzentrums »Neschama« mit dessen Leiter Yeshaya Brysgal, an der Veranstaltung teil. Josef Schuster, Präsident des Landesverbandes sowie des Zentralrats der Juden in Deutschland und Sohn eines Dachau-Überlebenden, erinnerte in seiner Rede an die breite Akzeptanz der Judenverfolgung in der NS-Zeit: »Die zunehmende Verrohung der Gesellschaft wurde an den Körpern und Leben von Juden ausgehandelt. Es war ein Prozess – doch der Vernichtungsgedanke war von Anfang an da.«
Das Euthanasieprogramm sei aufgrund des Widerstandes in der Bevölkerung eingestellt worden, nachdem die eigenen Kinder abgeholt worden waren. Doch Juden hätten nicht als Teil der Gesellschaft gegolten.
»Der Schutz der Demokratie, der Schutz der Freiheit, ist die beste Friedensbewegung«
Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, mahnte in ihrer Ansprache, auch 80 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers dürfe nicht vergessen werden, was hier geschehen sei: »Es gibt keinen Grund, nach einem Schlussstrich zu rufen.« Sie würdigte die Soldaten der Alliierten. Diese hätten die Freiheit wieder erkämpfen müssen, weil die Menschen in Deutschland das »Joch des Nationalsozialismus nicht aus eigener Kraft abschütteln« konnten. Die Botschaft für heute laute deshalb: »Wir müssen für unsere Freiheit, wir müssen für unsere Demokratie kämpfen. Der Schutz der Demokratie, der Schutz der Freiheit, ist die beste Friedensbewegung.«
Bevor Rabbiner Steven Langnas zum Abschluss das El Male Rachamim vortrug und das Kaddisch sprach, schilderte Alexandra von der Jüdischen Jugend in Bayern ihren ersten Eindruck in dem ehemaligen Konzentrationslager Dachau: »Alles sprach, ohne ein Wort zu sprechen.« Für die junge Generation fasste sie deren Verantwortung in folgende Worte: »Wir sind nicht nur Erben der Erinnerung, sondern Hüter der Menschlichkeit.«