Abschied

»Er war ein Macher«

Wir alle kehren heim, sobald unser Lebensweg endet. Wie es heißt im Heiligen Buch Kohelet: »Alles hat seine bestimmte Zeit, und seine Stunde hat Jegliches unter dem Himmel. Es gibt eine Zeit, geboren zu werden, und eine Zeit, von dieser Erde zu gehen.« Ghini Zaidman sel. A. hat diese Stunde gewählt. Die Stunde der Schloschim für seinen Enkel Jonathan sel. A. ist nun auch die Stunde für uns, von ihm Abschied zu nehmen.

So sehr wir alle nach dem Willen G’ttes in die Ewigkeit einkehren – das Leben und der Tod von Ghini Zaidman führen uns exemplarisch vor Augen, wie sehr das Thema »Heimkehr« nicht nur sein Leben, sondern das Leben von uns Juden in dieser Generation bis heute bestimmt. Unser Leben ist geprägt vom Verlust der Heimat infolge von Hass, Vertreibung und Flucht, von Suche und der Sehnsucht nach Heimkehr und schließlich dem Eingang in die Ewigkeit.

»Jeder Augenblick ist ein Geschenk.« Diesen Satz verbinde ich mit Ghini Zaidman. Er hat ihn oft gesagt. Und obwohl es so viele schreckliche Momente, Schicksalsschläge, Schmerz und Krankheit in seinem Leben gab, war es ihm ernst damit. Bis zuletzt. Erst vor wenigen Wochen musste er einen weiteren, unfassbar schrecklichen Moment erfahren, den Tod seines geliebten Enkelsohns Jonathan, der in Ecuador tödlich verunglückt war. Ich weiß noch, wie ich in Ghinis Augen unendlichen Schmerz und seine Trauer sah.

Glaube Ghini Zaidman wurde am 2. Mai 1924 geboren, in Tiraspol bei Odessa, in einem schroffen, unerträglich judenfeindlichen Klima. Seine Mutter Bluma und sein Vater Rouven hofften, dem Antisemitismus entfliehen zu können, und siedelten nach Lipkani im heutigen Moldawien um, wo Ghini das Gymnasium besuchte. Ingenieur im Erdölbereich wollte er werden. Doch es kam anders.

Er wurde in ein Lager im Osten der Sowjetunion verschleppt. Seine Eltern und sein Bruder Meiir wurden in der Schoa ermordet. Ghini entkam, schloss sich den Partisanen an und erlebte schließlich die Freiheit in einem Lungensanatorium in Gauting. Ghini Zaidman war ein tief gläubiger Mensch, fand Trost und Kraft in seinem festen Vertrauen in Haschem. »Wenn es dich nicht geben würde, Ghini«, habe ich oft zu ihm gesagt, »man müsste dich erfinden!«

Ich kenne niemanden, der Ghini nicht gemocht und hoch geschätzt hätte. Immer wieder war er es, der anderen Menschen Mut gemacht hat. Für Ghini war das Gebot der Tora, »Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst«, kein leeres Wort. Es war eherne Verpflichtung und zugleich aus vollem Herzen erbrachte Mizwa.

Glaube, Erwerb, Nächstenliebe und Kultur prägten das Leben dieses liebenswerten Menschen und seiner Familie. Für Ghini Zaidman war »unmöglich« nur ein Wort. Er war ein Realisierer – ein Macher. Sein Lebensmut, seine Schaffenskraft und sein Kampfgeist waren unermüdlich. Was immer Ghini anpackte, er tat es mit ganzem Herzen, mit vollem Engagement, absoluter Begeisterung, Weisheit und Talent. Ghini Zaidman war kein schmallippiger Guttuer.

Er war ein Weltverbesserer. Er hat nicht lange gefragt, wem, wo, wann, wie zu helfen sei. Er hat ganz einfach geholfen, wem, wo, wann und wie er konnte. Und noch ein bisschen mehr. Ghini Zaidman hat Verantwortung übernommen. Für seine Nächsten, seine Gemeinde, seine Heimat und die Gesellschaft, in der er lebte. »Weise nie eine ausgestreckte Hand zurück!« Den Grundsatz, den ihm seine Eltern von klein auf vermittelt haben, trug er im Herzen. Wobei er nie so lange wartete, bis ihm eine Hand entgegengestreckt wurde. Er kam ihr zuvor.

Gemeinde
So hat sich Ghini Zaidman auch für unsere Gemeinde und das jüdische Zentrum am Jakobsplatz eingesetzt. Viele Projekte wären ohne seine selbstlose und großzügige Unterstützung nicht denkbar gewesen. Und er freute sich über die positiven Entwicklungen seiner Gemeinde. Die Einweihung der Ohel-Jakob-Synagoge und des Gemeindezentrums zählte er zu den eindrucksvollen Augenblicken seines Lebens.

Einen zentralen Platz in seinem Leben und in seinem Herzen nahm der jüdische Staat ein. Ghini stand an der Seite Israels. Mit seinem außergewöhnlichen humanitären und sozialen Engagement hat er vielen Menschen Hoffnung und Glück geschenkt und damit immer auch ein kleines Stück Frieden für die ganze Region. So hat er die jüdische Gemeinschaft weltweit gestärkt – hier in München wäre sie ohne Ghini nicht das, was sie heute ist –, und er hat den Aufbau einer besseren Welt für alle Menschen durch seine guten Taten vorangebracht.

Er hinterlässt eine nicht zu füllende Lücke in unserer Gemeinde und unseren Herzen. Ghini war auch deswegen ein so glücklicher Mensch, der sein Glück teilen wollte, weil er eine so wunderbare Familie hatte. Er war mit seiner über alles geliebten Brigita, der Frau seines Lebens, die er 1960 in Israel heiratete, mehr als fünf Jahrzehnte zusammen – eine Liebe, die bis zum Schluss für jedermann sofort sichtbar war.

Liebe Brigita, ich darf dir aufrichtig danken, dass du aus Ghini einen so glücklichen Menschen gemacht hast; und für ihn bis zuletzt da warst in den Tagen seiner schweren Krankheit. Du hast ihm drei wunderbare, lebensfrohe und kluge Töchter geschenkt. Auf sie wie auf eure Schwiegersöhne war Ghini sehr stolz und kannst du sehr, sehr stolz sein. Ebenso wie auf eure sieben bezaubernden Enkelkinder.

In eurem Haus wohnen Wärme und Herzlichkeit mit dem Judentum als moralischer Richtschnur von Generation zu Generation. Ghini hinterlässt eine nicht zu füllende Lücke als liebender Ehemann, liebevoller Vater und als inniger und verlässlicher Freund. Wir danken dir von Herzen für alles, was du getan hast. Du warst ein Vorbild für uns alle. Du warst ein Leuchtturm in dieser Welt.

Wir erinnern uns in Dankbarkeit an alle Begegnungen mit Ghini Zaidman sel. A. Jeder Augenblick mit ihm war ein Geschenk. Möge G’tt dir, liebe Brigita, deinen Töchtern und der ganzen Familie Trost und Kraft schenken in dieser schwierigen Zeit. Ghini Zaidman hat nicht umsonst gelebt und gewirkt. Er ist dem Weg gefolgt, den der Ewige ihm vorgegeben hat.

Respekt Uns, allen Menschen, hat G’tt das humanste aller Gebote auferlegt: Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst. Wir alle sind verpflichtet, diesen Weg in Ghinis Fußstapfen weiter zu beschreiten. Den Stein, den er in Bewegung gesetzt hat, immer weiter zu rollen – auch, wenn uns der Weg bergauf führt, auch, wenn es uns alles abverlangt.

Dafür haben wir zu leben. Dafür haben wir zu wirken. Dafür haben wir zu lieben. Das ist Ghini Zaidmans Vermächtnis. Lieber Ghini – Zichrono Li’vracha, in tiefer Trauer, aber auch voller Hochachtung und Respekt stehen wir vor dir und deiner Lebensleistung. Möge dein Vertrauen in Haschem uns allen ein Beispiel sein. Wir verneigen uns tief vor einem großartigen, vorbildlichen Menschen. Möge ihm nach einem Leben voller Energie und einem Leben gemäß G’ttes Geboten nun Friede in der Ewigkeit vergönnt sein.

Möge Ghinis Seele eingebunden sein in das Bündel des ewigen Lebens!

München

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