München

Endlich hinsehen!

Begegnungen sind wichtig, sagt Zentralratspräsident Josef Schuster. Foto: StMAS

Die Fachtagung – es war die zweite ihrer Art –, zu der das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales in München »insbesondere Vertreterinnen und Vertreter der bayerischen Kommunen« geladen hatte, forderte schon im Titel präsente Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt. Der lautete nämlich »Antisemitismus – Hinschauen vor Ort!« und bezog das Hinhören, wache Denken und Reagieren mit ein.

Mit der im April dieses Jahres eingerichteten Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) Bayern sei die Möglichkeit geschaffen worden, antisemitische Vorfälle »niederschwellig« zu melden, daneben und zusätzlich gelte es nun, so Bayerns Sozialstaatssekretärin Carolina Trautner (CSU) einleitend, »der Entstehung antisemitischer Haltungen und Einstellungen vorzubeugen. Was wir brauchen, sind zielgruppenorientierte Präventionsmaßnahmen sowie eine aktive und couragierte Bürgerschaft vor Ort.«

Bestandsaufnahme Vor den Workshops, zu denen sich etwa 100 Interessierte angemeldet hatten – Vertreter und Vertreterinnen von nichtjüdischen wie jüdischen demokratiestärkenden Einrichtungen Bayerns –, standen Impulsreden, Bestandsaufnahmen des beängstigenden Zustands einer Gesellschaft, in der Antisemitismus – »in der realen wie in der digitalen Welt« – täglich präsent ist.

Zentralratspräsident Josef Schuster hob als richtig und wichtig hervor, beim Kampf gegen Antisemitismus den Blick auf die Kommunen zu richten.

Für Ludwig Spaenle (CSU), Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, für Erinnerungsarbeit und geschichtliches Erbe, sagt der Umgang mit dem Thema »Wie leben die Juden in unserer Mitte, und wie gehen wir mit Menschen um, die sich gegen Juden wenden?« etwas über den Zustand einer Gesellschaft aus.

Was die Verbreitung von antisemitischem Gedankengut in der digitalen Welt anbelangt, sieht er auch die »Provider, die Global Player« in der Pflicht: »Sie müssen sich ihrer Verantwortung bewusst werden.«

Verantwortung Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland sowie des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern, hob als richtig und wichtig hervor, beim Kampf gegen Antisemitismus den Blick auf die Kommunen zu richten.

Den Verantwortlichen in den Städten und Gemeinden komme bei diesem Thema eine Schlüsselrolle zu, »und mit ›Verantwortlichen‹ meine ich nicht nur die gewählten politischen Vertreter in den Rathäusern, sondern sehe ebenso Unternehmer, Schulleiter und Lehrer, die Justiz, die Polizei, Sportvereine, die Kirchen und Vertreter der Muslime in der Pflicht«.

Im Hinblick auf die Workshops nannte Schuster Bereiche, in denen die Kommunen tätig werden könnten. Orte, wo sich Spuren jüdischen Lebens erhalten haben, böten eine gute Möglichkeit, den Bezug zur Vergangenheit herzustellen. Auf den Wert von Begegnungen zwischen Menschen – Deutsche, Israelis –, auch zwischen Menschen unterschiedlicher Religionen, setze er besonders viel, und was die Gestaltung von Gedenktagen anbelangt, empfehle sich, auch »die jungen Leute« mit einzubeziehen, sagte Schuster.

Beim Thema Rechtsextremismus in Deutschland wurde Schuster noch deutlicher: »Wer den Antisemitismus in Deutschland nachhaltig verringern will, muss stärker gegen Rechtsextremismus vorgehen als bisher.« Wenn die Polizei auf dem rechten Auge blind sei oder Justiz und Behörden ihre Spielräume nicht nutzten, »dann«, so Schuster, »können wir viele Tagungen über Antisemitismus machen, ohne dass irgendetwas besser wird«.

Verunsicherung IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch, machte klar, welche Wirkung der anwachsende Antisemitismus auf die jüdische Gemeinschaft in Deutschland hat. Sie sei »inzwischen verunsicherter als je zuvor in der jüngeren Geschichte unseres Landes«. Deutlich zutage getreten sei dieser Antisemitismus bereits im Sommer 2014, als eine »Welle antiisraelischer und oft genug auch antisemitischer Demonstrationen unser Land erschüttert hat. Diese Bilder prägten sich ein«.

Die jüdische Jugend ist ein Gradmesser: Ist sie da, hat jüdisches Leben Zukunft, fehlt sie, ist die Renaissance jüdischen Lebens bald am Ende.

Zum andern erlebten wir seit 2015 den Aufstieg »einer rechtsradikalen Partei, die gezeigt hat, wie leicht es offenbar doch sein kann, das latent vorhandene nationalistische, aber eben auch antisemitische Wählerpotenzial zu aktivieren. Dieser Partei ist es gelungen, den äußersten rechten Rand unseres politischen Spektrums in die Mitte des öffentlichen Diskurses und leider auch in unsere Parlamente hineinzutragen.«

Knoblochs Blick galt vor allem der jungen jüdischen Generation in Deutschland. »Ihre Anwesenheit ist die Zukunft des jüdischen Lebens, ihr Abschied dagegen ein klares Signal, dass die Renaissance der jüdischen Gemeinschaft in unserem Land, die uns so gefreut hat, am Ende doch nicht von Dauer gewesen sein könnte.«

alltag Anhand von Beispielen, Erlebnisberichten und Abbildungen zeigte im Anschluss Barbara Staudinger, Direktorin des Jüdischen Museums Augsburg Schwaben, den unverblümten Antisemitismus des Alltags, wie er einem überall begegnen kann – ob im Wirtshaus, der Zeitung, dem Internet, ob im Gästebuch des Jüdischen Museums oder in Einritzungen von Holzbänken in einer Synagoge. »Und das sind keine Dummejungenstreiche.«

All das mache deutlich, resümierte Annette Seidel-Arpaci, Leiterin von RIAS Bayern, dass die Zahlen antisemitischer Vorfälle nicht deshalb steigen, »weil es jetzt halt Meldestellen gibt. Denn all das, wovon hier berichtet und was hier gezeigt wurde, wurde nicht bei uns gemeldet.«

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