Engagement

Einsatz im Heiligen Land

Auf Svenjas hellblauem T-Shirt prangt ein frischer Farbfleck. »Das ist halt Berufsrisiko«, sagt die 19-Jährige und prüft mit dem Finger, ob die Farbe schon trocken ist. Die Kölnerin hat gerade ihre Schicht im »House of Life« beendet, wo sie seit acht Monaten als Freiwillige fünf Tage pro Woche mit sogenannten hoch funktionsfähigen Autisten verbringt. Sie gehen zusammen schwimmen, machen Sport und verpacken Schrauben oder andere Kleinteile für eine Fabrik in kleine Tüten. Heute stand Seidenmalerei auf dem Plan. Und dabei ging eben ein Klecks daneben.

Svenja ist eine von rund 20 Freiwilligen, die mit dem Deutsch-Israelischen Verein für Rehabilitation in diversen sozialen Einrichtungen in Israel eingesetzt sind. »Hier ist es wie überall: Die sozialen Einrichtungen sind auf Ehrenamtliche angewiesen, und nach den Einführungstagen arbeitet man voll mit«, erzählt Svenja. Ob sie davon überfordert ist? Nein. Oder genauer: nicht mehr. »Ehrlich gesagt, war ich anfangs schon schockiert, denn die Autisten saßen oder lagen lethargisch herum.«

Svenja spricht nicht nur himmelhochjauchzend oder dramatisierend über ihren Alltag. Die 19-Jährige beschreibt mit Bedacht verschiedene Aspekte. Wie sie sich beispielsweise über die Freundschaft zwischen Shachar und Eli freut, die sich gegenseitig sehr aufmerksam im Schwimmbad helfen. Oder wie sehr sie sich erschrocken hat, als ein junger Mann plötzlich total ausgerastet ist und sie dabei ein blaues Auge kassierte. Inzwischen kann sie besser abschätzen, wann sie weggehen oder nach Hilfe rufen soll. »Aber denken Sie jetzt bloß nicht schlecht über die Gruppe, ich liebe meine Autisten wirklich«, ruft Svenja, und man nimmt es ihr ab.

Liebe Den Bezug zu Israel hat die Kölner Abiturientin ursprünglich über einen Schüleraustausch in Köln bekommen. Bei einem privat organisierten Gegenbesuch 2014 hat es dann zwischen ihr und Ori gefunkt. »Jetzt sind wir seit zwei Jahren ein Paar, und es ist einfach etwas Besonderes«, sagt sie. Da sie ohnehin nach dem Abitur nicht sofort studieren wollte, passte ein internationales Freiwilligenjahr ideal. »Der Deutsch-Israelische Verein ist mit Abstand der günstigste, alle anderen Freiwilligenorganisationen sind wesentlich teurer«, sagt Svenja.

»Unser Hauptprojekt sind die deutschen Freiwilligen in Israel«, erklärt die Erste Vorsitzende Maren Müller-Erichsen. Sie hat den Verein im Jahr 1992 zusammen mit Yakov Maor und Itzhak Kandel vom israelischen Sozialministerium gegründet und die ersten Teilnehmer 1994 ins Heilige Land geschickt. Seit 1998 gibt es ein offizielles Abkommen mit dem israelischen Sozialministerium, junge Deutsche für einen längerfristigen Freiwilligendienst im Bereich der Rehabilitation behinderter, alter oder sozial schwacher Menschen zu vermitteln. Das Geld dafür kommt von den verschiedensten Seiten: vom Bund, durch Mitgliedergebühren, Spenden und diverse israelische Einrichtungen.

»Anfangs war das alles nicht so bürokratisch«, sagt Müller-Erichsen seufzend. Sie würde gerne auch israelische Freiwillige an deutsche Einrichtungen vermitteln, aber dies sei für den 100 Mitglieder starken Verein noch ein Projekt für die Zukunft.

Während es Svenjas Autisten völlig schnuppe ist, dass sie aus Deutschland kommt, ist es für Nora, Lena, Philipp und Julius ein wiederkehrendes Thema. Die vier volontieren in unterschiedlichen Stationen eines Altenheims in Jaffa. »Bei mir auf der Station gibt es zwei Damen, die Deutsche hassen«, erzählt Nora. Wenn die beiden die 19-Jährige fragen, wo sie herkommt, hört sie als Reaktion: »Deutsche sind böse.« Aber da sie dement sind, vergessen die Patientinnen das sofort wieder und freuen sich bis zur nächsten Frage einfach dann doch über die Gesellschaft der jungen Frau. Und: Die überwiegende Mehrheit der älteren Bewohner ist der dritten Generation gegenüber uneingeschränkt freundlich gesinnt. Und auch für die vier Jugendlichen war es ein Annäherungsprozess. »Hier haben wir zum ersten Mal die Tätowierungen von KZ-Nummern bei Holocaust-Überlebenden gesehen.«

Motivation Die jungen Leute hatten ganz unterschiedliche Motive für den Freiwilligendienst: Philipp aus Bremen wollte gerne nach Israel, nachdem er bei einer Schulfahrt nach Berlin mit der jüdischen Geschichte in Berührung gekommen war. Für Julius aus Wismar waren es die Erzählungen seiner Schwester, die vor zwei Jahren als Freiwillige in Israel war. Die 19-jährige Nora von der Insel Poel wollte nach ihrem Jahr in den USA gerne noch ein weiteres Jahr im Ausland verbringen. Und Lena aus Georgsmarienhütte war über die Städtepartnerschaft mit Ramat Hasharon bereits sechsmal in Israel und wollte gerne länger bleiben.

Der Alltag der Freiwilligen im Altenheim ist klar strukturiert. »Wir malen mit den Patienten, gehen in den Garten, helfen beim Essen und trösten sie«, erzählt Lena. Dabei sei nicht so sehr Krankheit, sondern Heimat das wiederkehrende Thema. »Es berührt mich jedes Mal, wenn sie weinen und nach Hause möchten, zurück nach Moskau«, erzählt Philipp. »Mich fordert es am meisten, wenn die Patienten sterben«, sagt Philipp. Auf seiner Station sind während seiner Zeit als Freiwilliger bereits sechs Patienten, auf der Station von Julius zwölf gestorben. »Wir sind auf der Station mit der höchsten Pflegestufe, das ist ein bisschen wie Endstation«, erklären die beiden. Trotzdem fühle es sich nicht immer traurig an. »Für viele ist es auch eine Erlösung«, sagt Lena.

Hilfe Wenn die psychische Belastung zu groß werden sollte, können sich die Freiwilligen an Silvi Brem wenden. Die Sozialpädagogin leitet die deutsche Abteilung im Rutenberg-Institut in Haifa und hilft bei Problemen wie WG-Wechsel oder wenn es mit dem Arbeitgeber nicht klappen sollte. Oder falls jemand früher nach Hause möchte. Außerdem organisiert sie die Seminare und Workshops, zum Beispiel zu den Themen »Religiöse Minderheiten in Israel« oder ein Holocaust-Seminar mit dem Schwerpunkt »Zweite Generation«. »Ich helfe aber auch ganz praktisch, wenn jemand nach einem halben Jahr gerne in eine andere Einrichtung möchte, oder verschicke E-Mails vor den Feiertagen und sage, wann die Geschäfte geschlossen haben«, erzählt Silvi, während sie just in diesem Moment auf den Bus mit Svenja, Julius, Nora, Lena und Philipp wartet.

Die vier aus dem Altenheim in Jaffa haben ihre Arbeit dort gerade beendet und genießen noch ein wenig das Strandleben. »Wir treffen hier ganz viele Berlin-Fans«, erzählt Philipp und muss grinsen. Der Berlin-Hype hat nämlich auch für die Freiwilligen einen ganz praktischen Aspekt: »Man muss nur sagen, dass man aus Berlin kommt, dann wird man ohne Kontrolle auch in die Clubs gelassen, zu denen man sonst erst ab 22 Jahren Zutritt hat.«

www.deutsch-israelischer-verein.de

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