Würdigung

Eine Frage des Namens

Wer demnächst in Dahlem in der Nähe der Gail-S.-Halvorsen-Schule vorbeikommt, könnte dann an Estrongo Nachama erinnert werden, denn der bisher namenlose Platz soll nach ihm benannt werden. Der Ursula-Mamlok-Park wurde jüngst in Schöneberg eingeweiht, und in Kreuzberg soll in naher Zukunft eine Straße nach der Rabbinerin Regina Jonas benannt werden.

Immer mehr Straßen und Parks werden nach Jüdinnen und Juden benannt. Allerdings brauchen die Initiatoren der Umbenennungen immer sehr viel Geduld, denn es dauert mehrere Jahre, bis die Beschlüsse von den entsprechenden Instanzen abgesegnet sind.

Die erste Rabbinerin war Regina Jonas, die auch in der Synagoge Fraenkelufer amtierte.

Schon vor knapp zwei Jahren fasste die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) in Steglitz-Zehlendorf den Beschluss, Straßen und Plätze nach bedeutenden Persönlichkeiten zu benennen. Damit wollte die BVV anregen, sich mit der »verbrecherischen Politik des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen«, heißt es in einer Presseerklärung. Verzögerungen gibt es auch aufgrund der Wahlwiederholung in Berlin.

»Ich würde mir wünschen, dass es vorangeht«, sagt Andreas Nachama, Sohn des langjährigen Oberkantors der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Estrongo Nachama. Der Kantor überlebte als Einziger seiner sefardisch-jüdischen Familie das Konzentrationslager Auschwitz und den Todesmarsch der Häftlinge des KZ Sachsenhausen. Nach dem Krieg beförderte er den interreligiösen Dialog im Sinne des aufgeklärten Humanismus.

ABSTIMMUNG Die BVV hatte das Bezirksamt ersucht, den namenlosen Platz an der Straßenführung Im Gehege nach Estrongo Nachama zu benennen. Initiiert wurde die Aktion von der Politikerin Sabine Lehmann-Brauns (CDU). Bezirksstadtrat Urban Aykal (Die Grünen) begrüßt diesen Beschluss. »Aktuell sind wir in der Abstimmung mit dem Straßen- und Grünflächenamt. In der nächsten Woche findet hierzu ein Gespräch statt«, teilt Petra Margraf, Referentin des Bezirksstadtrats, mit.

Regina Jonas (1902–1944) war die weltweit erste Rabbinerin und nach ihrer Ordination 1935 in der Seelsorge und im Religionsunterricht tätig. Ab 1938 arbeitete sie verstärkt als Rabbinerin, auch in der heutigen Synagoge Fraenkelufer. Während der Nazizeit musste sie ab 1942 Zwangsarbeit leisten. Noch im selben Jahr wurde sie ins KZ Theresienstadt deportiert. Dort wirkte sie weiter als Seelsorgerin und hielt Predigten. Im Oktober 1944 wurde sie in das KZ Auschwitz-Birkenau deportiert und dort ermordet.

»Sie geriet lange Zeit in Vergessenheit«, sagt Nina Peretz, Vorsitzende der Freunde der Synagoge Fraenkelufer. Doch der Name der Rabbinerin soll nun bald auf einem Straßenschild stehen, da die BVV in Friedrichshain-Kreuzberg diesen Beschluss bereits vor zwei Jahren gefällt hat – auf Anregung der SPD-Fraktion. So könnte an Jonas erinnert werden.

vorschläge Die Namensfindung soll unter Beteiligung der Öffentlichkeit stattfinden. Vier Vorschläge gibt es: die Admiralbrücke, die Kohlfurter Straße, das Paul-Lincke-Ufer und das Planufer. Die Anwohner sollten ihre Wahl per Postkarte, die vorher in ihre Briefkästen eingeworfen waren, mitteilen.

Kohlfurter Straße ist der Anwohner-Favoriten für die Umbenennung, gefolgt von der Admiralbrücke. Das würde den meisten Betern der Synagoge Fraenkelufer sehr recht sein, denn dann würde ihr Gotteshaus – und speziell der geplante Wiederaufbau – von Straßen mit jüdischen Namen umschlossen werden.

Damit Interessierte mehr über Regina Jonas erfahren, wurden extra Veranstaltungen organisiert. Ebenso gab es jüngst in der Synagoge eine Unterrichtsstunde über sie, und es wurde ein Film gezeigt. »Es gibt viele neue Erkenntnisse über sie«, so Peretz. Auch mit dem Wiederaufbau der Synagoge gehe es wieder voran: Derzeit wird ein Raumkonzept entwickelt, weitere Schritte sind geplant. »Corona hatte lange Zeit alles lahmgelegt«, sagt Nina Peretz.

INSPIRATION »In Friedrichshain-Kreuzberg setzen wir uns für eine diversitätsorientierte Gedenkarbeit und Erinnerungskultur ein«, so Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann (Die Grünen). »Straßennamen verdeutlichen, wem die Gesellschaft einen Platz im Selbstverständnis einräumt. Die Geschichte von Regina Jonas, die als erste Frau weltweit, hier in Berlin, zur Rabbinerin ordiniert wurde, ist Inspiration und Mahnung zugleich.«

Jonas werde einen festen Platz im Straßenbild des Bezirks erhalten – das »ist unser Beitrag dafür, ihr Andenken zu bewahren, Wirken zu ehren«. Die Umbenennung könnte in etwa einem Jahr stattfinden, nachdem alle Verwaltungsschritte abgeschlossen sind. Die Kohlfurter Straße wurde 1949 nach der niederschlesischen Stadt Kohlfurt benannt, die heute Wę̨̨̨gliniec heißt und zu Polen gehört.

Einen Schritt weiter ist man in Tempelhof-Schöneberg.

Einen Schritt weiter ist man in Tempelhof-Schöneberg. Jüngst wurde der Ursula-Mamlok-Park an der Gleditschstraße eingeweiht. Damit möchte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Tempelhof-Schöneberg die Komponistin ehren. »Der Park an der Gleditschstraße ist ein geeigneter und würdiger Ort, um an diese bedeutende Frauenpersönlichkeit zu erinnern, er befindet sich unweit der Motzstraße 29, wo sie ihre ersten Lebensjahre verbrachte«, sagt Bertram von Boxberg, kulturpolitischer Sprecher der Grünen.

strategie »Mit dieser Strategie würdigen wir die Lebensleistung bedeutender Frauen im öffentlichen Raum – ein wichtiger Ausdruck einer Politik der Vielfalt im Bezirk«, sagt Bezirksstadträtin Saskia Ellenbeck (Die Grünen). Mamlok (1923 – 2016) wäre in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden. Sie war eine der führenden Vertreterinnen der US-Avantgarde-Musik.

Als Ursula Meyer wurde sie in Berlin geboren und hat ihre ersten Lebensjahre in der Motzstraße 29 verbracht. 1939 konnte sie nach Ecuador fliehen. Später studierte sie Komposition, lehrte über 40 Jahre dieses Fach an der Manhattan School of Music New York und avancierte zu einer der bedeutendsten Komponistinnen der USA. Nach dem Tod ihres Mannes Dwight Mamlok zog sie 2006 wieder zurück nach Berlin.

Eine der nächsten Umbenennungen in Schöneberg könnte der Park am Innsbrucker Platz erfahren, der dann an Erna Proskauer erinnern würde. Erna Proskauer (1903–2001) war eine jüdische Anwältin für Wiedergutmachungsrecht, die die Schoa im damaligen Palästina überlebt hatte und in der Nachkriegszeit nach Berlin zurückgekommen war. Sie wohnte an der Bundesallee und arbeitete bis ins hohe Alter als Rechtsanwältin. Mitglieder der SPD hatten diesen Antrag eingereicht.

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