Es waren herrliche Monate, die Leon de Winter im Sommer 2023 in Tel Aviv verbracht hat. Wie in einem Rausch schrieb er seinen Roman Stadt der Hunde in kurzer Zeit, ein zeitgenössisches Märchen, das er für viele Jahre mit sich herumgetragen hatte. »Ich dachte damals, alles ist offen, und wir brauchen die dunkle Seite nicht mehr wahrzunehmen«, blickt de Winter auf diese letzten Wochen vor dem 7. Oktober zurück. Und obwohl die Schreibphase mit einem Beinbruch endete, den ihm ein E-Scooter-Fahrer beschert hatte, so resümiert der Schriftsteller: »Ich hatte glückliche Tage.« Diese scheinen jetzt verloren zu sein.
Ein Foto der grandiosen Abendstimmung in Jaffa mit Blick auf Tel Aviv zierte die Leinwand im Literaturhaus, wo Leon de Winter im Gespräch mit dem Literaturkritiker Knut Cordsen sein neuestes Buch vorstellte. Die Veranstaltung war in Kooperation mit dem Kulturzentrum der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG) unter der Leitung von Ellen Presser organisiert worden.
Wie in der chassidischen Geschichte des Rabbi Nachman von Brazlaw vom »Verlust der Königstochter« leidet auch der Held des Romans, der niederländische Gehirnchirurg Jaap Hollander, unter dem rätselhaften Verschwinden seiner Tochter Lea. Anders als Jaap, der sich nicht viel um sein Judentum kümmert und sein Glück im Beruf und bei den Frauen sucht, fühlt Lea sich zur jüdischen Tradition hingezogen. Sie will eine Mesusa am Türrahmen anbringen, besorgt sich ein Schofar. Für »Birthright« fliegt sie nach Israel – und verschwindet spurlos mit ihrem Freund in der Negevwüste.
Regelmäßig Jahr für Jahr kehrt Jaap zu diesem Ort zurück, bis er bei einem Aufenthalt vom israelischen Ministerpräsidenten höchstpersönlich gebeten wird, aus seinem Ruhestand zurückzukehren und eine höchst riskante, im Grunde unmögliche Gehirnoperation an der Tochter eines mächtigen nahöstlichen Herrschers durchzuführen.
Es ist ein Roman, in dem sich die jüdischen Motive mit der aktuellen weltpolitischen Lage durchdringen. Leon de Winter stellte ihn dem Publikum mit Humor und zitierfähiger Geistesgegenwart vor. Angesprochen auf seine neue Kolumne in der »Welt« und Donald Trump erklärt de Winter: »Man muss Trump zuhören, als wäre er ein Dichter, aber ein sehr einfacher.« Und resümierend über das 50-jährige Jubiläum seiner schriftstellerischen Karriere: »Man kann nur Geschichten schreiben über jemanden, der verwundbar ist, weil er liebt.«
Leon de Winter: »Stadt der Hunde«. Diogenes, Zürich 2025, 272 S., 26 €