Thüringen

Ein Paradiesbaum in Erfurt

Nihad Dabeet hat den Paradiesbaum geschaffen. Die Kupferblätter werden dank Patina grün. Foto: Ilan Nachum

»Ikh hab dir tsu shtark lib« (»Ich hab dich zu viel lieb«), singt Sharon Brauner gemeinsam mit Karsten Troyke und Band in Erfurt. Sie singt das Lied auch für ihren Vater Wolf Brauner, der sie mit seinen 97 Jahren nach Thüringen begleitet. Es ist sein Lieblingslied. Das Publikum, immerhin dürfen 200 Gäste in den Zughafen, feiert dieses Lied und dieses Konzert und damit die Eröffnung der 6. Achava-Festspiele in Thüringen mit viel Applaus.

Das Konzert ist ein Mix der verschiedensten Stilrichtungen. Jewish Jazz, Tango, Sinti-Swing und Roma-Weisen stehen für das, was die Festspiele unter Intendant Martin Kranz auch in diesem Jahr wieder sein wollen: ein Fest der Brüderlichkeit, Achava halt. Es ist eine gelungene Eröffnung, und nichts ist zu spüren von Corona-Nöten. Im Zughafen herrscht die pure Lebenslust.

motto Noch bis zum kommenden Sonntag werden in Erfurt, Weimar, Arnstadt, Jena und Eisenach 80 Veranstaltungen an 22 Spielorten im Rahmen der Achava-Festspiele angeboten. Seit 13. September wird zudem unter dem Motto »Das jüdische Eisenach« eine Woche lang zu Konzerten, Gesprächsrunden und Gottesdiensten in die Wartburgstadt eingeladen.

»Ich bin begeistert von der Unterstützung, die unser Festival erfährt«, sagt Intendant Martin Kranz. Die Schirmherrschaft haben auch in diesem Jahr Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Romani Rose (Zentralrat Deutscher Sinti und Roma) und Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow übernommen.

Auch, wenn in diesem Jahr coronabedingt viele internationale Künstlerinnen und Künstler nicht anreisen konnten, ist das Programm ansprechend und sorgt für gute Überraschungen. Beispielsweise in Arnstadt.

Dort proben derzeit 25 junge Musikerinnen und Musiker gemeinsam mit dem Thüringer Bach Collegium während eines Workshops unter der Leitung des Klarinettisten Helmut Eisel ein Programm, zu dem sie am Freitag in das Theater der Stadt einladen. Die Einnahmen erhält der geplante Verein »Jüdisches Arnstadt«, für den sich Jörg Kaps (Träger des German Jewish Award) seit Jahren einsetzt. Arnstadts Bürgermeister Frank Spilling sicherte die Unterstützung für die Vereinsgründung zu.

Bildung In diesem Jahr sind die Festspiele mehr noch als in anderen Jahren ein Hort für Bildung. Zwar klappt es derzeit nicht, Zeitzeugen nach Thüringen zu holen. Doch per Livestream wurde unter anderem Eva Pusztai und auch Tovia Ben-Chorin zugeschaltet. Ganz kann der Livestream die persönliche Begegnung nicht ersetzen, beeindruckend sind diese Stunden in verschiedenen Schulen und Städten Thüringens dennoch.

Der arabisch-christliche Künstler Nihad Dabeet ist der einzige Israeli, der für die Achava-Festspiele nach Deutschland einreisen durfte.

Nihad Dabeet ist der einzige Israeli, der im Rahmen der Achava-Festspiele nach vielem Hin und Her nach Deutschland einreisen durfte. Der arabisch-christliche Künstler aus Ramle hat gemeinsam mit der jüdischen Künstlerin Ruth Horam aus Jerusalem einen sogenannten Paradiesbaum geschaffen.

Der Olivenbaum aus Stahl und Kupfer steht nun auf dem Erfurter Petersberg weithin sichtbar als Symbol für Frieden. Der Erfurter Künstler Michael Ritzmann ist noch bis zum Freitag Dabeets Helfer. Unter anderem wurden Tausende Olivenblätter aus Kupfer verkauft, die noch an den Baum gehängt werden müssen. Die bereits 70.000 angebrachten Blätter haben jüdische und arabische Kinder in Israel ausgeschnitten und bearbeitet.

»Ich bin sehr stolz, dass wir diesen Baum auf dem Petersberg haben«, erklärt Ministerpräsident Ramelow. Er ist das Zentrum des künftigen »Gartens der Religionen«, der anlässlich der Bundesgartenschau im nächsten Jahr entsteht. Ramelow hat am Wochenende zehn Kupferblätter als Dankeschön der Waldkliniken im thüringischen Eisenberg für seine Spende für die neue Torarolle mitgebracht.

Einschränkungen Dass Achava in diesem Jahr stattfindet, ist Gewinn und kreative Antwort auf Corona. Martin Kranz ist sich sicher, dass ursprünglich geplante Konzerte wie das von Yael Deckelbaum & The Mothers nachgeholt werden. Es überwiegt die Freude, dass mit viel Kreativität und peniblen Hygienekonzepten die Festspiele überhaupt stattfinden können.

Alle drei Festivals, die in Thüringen seit Jahren veranstaltet werden, sind in diesem Jahr kleiner. Trotz fehlender internationaler Gäste bleibt das Publikum den drei Festen in Thüringen, mit Yiddish Summer und den Tagen der Jüdisch-Israelischen Kultur, die am 30. Oktober beginnen, treu. Die Unterschiedlichkeit darf gern bleiben. Jüdisches Leben in Thüringen findet nicht mehr nur als Erinnerungskultur statt.

Die Corona-Einschränkungen seien temporär, sagt der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde Thüringens, Reinhard Schramm. Einschränkungen aufgrund menschenverachtender Beleidigungen hingegen bereiten ihm Sorgen. »Es ist erschreckend und traurig, dass im Zusammenhang mit Protesten gegen Corona-Maßnahmen wieder Verschwörungstheorien und damit auch antisemitische Strömungen deutlicher werden und wachsen«, sagt er.

Im Rahmen der Bundesgartenschau 2021 soll ein Garten der Religionen entstehen.

Doch er sieht auch positive Tendenzen dank der jüdischen Feste. Sie bringen Menschen zusammen – und Bildung: Bildung, die zudem außerhalb der Schule nötig ist. Diese Tendenz soll auch außerhalb der Festivals spürbar werden. Unter anderem mit dem Themenjahr »900 Jahre jüdisches Leben in Thüringen«, das am 1. Oktober feierlich eröffnet wird.

Darüber denkt während des Konzerts von Brauner und Troyke niemand nach. Als die beiden aber als offiziell letztes Lied Leonard Cohens »Dance Me to the End of Love« singen und darauf verweisen, dass es als eine Hymne für ungelebte Liebe während der Schoa geschrieben wurde, ist all das wieder da: die Vergangenheit und die letztlich siegende Lebensfreude. »Tanz’ mich bis zum Liebesend«.

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