Bufdi

Ein Jahr Hilfe

Fayina Koyfman kam vor 15 Jahren aus der Ukraine nach Deutschland und arbeitet als Freiwillige in der Jüdischen Gemeinde zu Dresden, in der sie auch Mitglied ist. Die 42-Jährige kümmert sich um Holocaust-Überlebende, um demente und psychisch kranke Menschen. Fayina ist eine Bundesfreiwillige, auch »BFDler« oder »Bufdi« genannt – so wie rund 33.000 weitere Menschen in Deutschland.

Der Bundesfreiwilligendienst (BFD) wurde 2011 mit Aussetzung der Wehrpflicht als Ersatz für den Zivildienst eingeführt, um das bürgerliche Engagement zu fördern. 167 Millionen Euro stellt der Bund jährlich dafür zur Verfügung. Bundesfreiwillige können zum Beispiel in den Bereichen Kultur, Soziales, Sport, Umweltschutz und Integration tätig sein.

Organisiert wird der BFD über Zentralstellen. Diese erhalten ein bestimmtes Kontingent an Freiwilligenmonaten, das sie an ihre angeschlossenen Einsatzstellen verteilen. Die freiwilligen Helfer dürfen zwischen sechs und 18 Monate lang beschäftigt werden. Sie absolvieren begleitende Seminare, sind sozialversichert, haben Urlaubsanspruch und erhalten ein Taschengeld.

Während andere Freiwilligenangebote sich oft nur an junge Leute richten, ist das beim BFD anders: Bufdi kann jeder werden, der die Schulpflicht hinter sich hat. Egal woher er kommt, egal, ob er 18 oder 68 Jahre alt ist.

einsatz In den meisten jüdischen Gemeinden ist der BFD eine feste Größe. 100 der Gemeinden in Deutschland beschäftigen BFDler. Sie sind in der Altenhilfe tätig oder im Kindergarten, arbeiten in der Küche oder für die Gemeindezeitung, übernehmen Hausmeisterdienste oder auch die Friedhofspflege. »Wir sind happy, dass wir sie haben«, sagt Irith Michelsohn, Vorstandsvor- sitzende der Jüdischen Kultusgemeinde Bielefeld.

Dabei lief der BFD in den jüdischen Gemeinden anfangs eher schleppend an, erinnert sich Günter Jek, BFD-Koordinator bei der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST). »Wir sind durch die Lande gereist und haben unser Freiwilligenkontingent den Gemeinden sehr mühsam angeboten.«

Die ZWST ist eine der Zentralstellen für den BFD und vermittelt BFDler an die jüdischen Gemeinden. Pro Jahr kann die ZWST etwa 4000 Teilnehmermonate aus dem BFD an die jüdischen Gemeinden verteilen – das entspricht derzeit etwa 360 Freiwilligen. Jede Gemeinde, die als Einsatzstelle anerkannt ist, kann BFDler beschäftigen.

Damit es bei der Verteilung des Monatskontingents gerecht zugeht, berücksichtigt die ZWST verschiedene Faktoren. So spielen etwa die Gemeindegröße und der Einsatzzweck eine Rolle sowie das Verhältnis von festen Jobs zu Freiwilligenstellen. Nach dieser Einteilung haben Freiwilligenplätze in der Senioren- oder Jugendarbeit Vorrang vor Stellen als Hausmeisterhelfer oder in der Verwaltung.

bereicherung Inzwischen muss die ZWST ihr Kontingent nicht mehr anpreisen. »Es hat sich bei den Gemeinden herumgesprochen, dass der BFD für sie eine Bereicherung ist«, berichtet Jek. »Heute haben wir fast 100 Prozent Auslastung.« Nur eine kleine Reserve hält die ZWST zurück, falls eine Gemeinde neu zum Kreis der BFD-Nutzer stößt.

Für die jüdischen Gemeinden und die Freiwilligen ist der BFD eine »Win-win-Situation«: »Es ist gut für die Gemeinde, und es ist gut für mich«, fasst Svitlana Kirzon, Bundesfreiwillige in der Jüdischen Gemeinde Mönchengladbach, die Vorteile zusammen.

Den Bufdis geht es vor allem um eine sinnvolle Beschäftigung, die mit einer kleinen Aufwandsentschädigung verbunden ist. Manchmal arbeiten Nichtjuden oder Nicht-Gemeindemitglieder als Freiwillige, häufig sind die BFDler – oder ihre Ehepartner – aber Mitglieder der Gemeinde.

Die BFDler in den jüdischen Gemeinden unterscheiden sich deutlich vom Durchschnitt. Während andernorts meist junge Leute unter 27 Jahren die Stellen besetzen, ist es hier die Generation der Mittvierziger bis Mittsechziger. »Neben dem größten Anteil an älteren Freiwilligen haben wir sicherlich auch den größten Anteil an Freiwilligen mit Migrationshintergrund«, sagt Günter Jek.

Denn viele Migranten schaffen es aufgrund ihrer Probleme mit der deutschen Sprache oder ihres Alters nicht, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. »Mit Ende 50 bekommt kein Deutscher mehr einen neuen Job. Wie soll da ein Zuwanderer etwas finden?«, schildert Irith Michelsohn das Dilemma.

Anerkennung So ergeht es auch Svitlana Kirzon. Die 59-jährige Diplom-Betriebswirtin findet auf dem regulären Arbeitsmarkt keine Stelle und arbeitet deshalb schon seit Jahren bei der Jüdischen Gemeinde in Mönchengladbach, wo sie Mitglied ist: als Ehrenamtliche, als Ein-Euro-Kraft und nun als Bufdi. »Die Arbeit gefällt mir. Ich kann meine Berufserfahrung einbringen, habe mehr Lebensqualität und helfe meiner Gemeinde«, erklärt Kirzon, die ursprünglich aus der Ukraine stammt.

Auch Fayina Koyfman machte aus der Not eine Tugend. Sie meldete sich zum BFD, weil ihre Zeugnisse in Deutschland nicht anerkannt werden. »Ich bin noch nicht alt, aber ich will arbeiten und Menschen helfen«, betont die ausgebildete Russischlehrerin. Die Aufwandsentschädigung von maximal rund 350 Euro monatlich ist für viele Bufdis wichtig, um über die Runden zu kommen. Doch den vollen Betrag bekommen die wenigsten. Arbeitslosengeld II oder Grundsicherung und Minijobs führen zu Abzügen. »Die Leute machen diese Arbeit wirklich nicht des Geldes wegen«, sagt Elena Tanaeva, Sozialarbeiterin der Jüdischen Gemeinde zu Dresden, mit Nachdruck.

Viel mehr zähle das Selbstbewusstsein, das sie aus ihrer Tätigkeit ziehen, das Gefühl, gebraucht zu werden, und die Freude am Helfen. »Die Leute sind mit Herzblut dabei und erhalten dafür ganz viel Anerkennung«, beschreibt Michael Grünberg, Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Gemeinde Osnabrück, das gegenseitige Geben und Nehmen.

weiterqualifikation Die jüngeren Bufdis sehen im Freiwilligendienst auch die Chance, sich weiterzuqualifizieren und so ihre Aussichten auf dem regulären Arbeitsmarkt zu verbessern. Manche Gemeinden, etwa Bielefeld, schicken ihre Bundesfreiwilligen zum Deutschkurs. In den Seminaren der ZWST erhalten die Teilnehmer das Rüstzeug für ihre Aufgaben und haben die Möglichkeit, Kontakte untereinander zu knüpfen. Auch Fayina Koyfman hofft, dass ihr die Seminare und Tätigkeitsnachweise helfen werden, nach der BFD-Zeit eine Stelle zu finden. Sie will auch künftig im sozialen Bereich arbeiten: »Ich liebe diese Arbeit.«

Die Gemeinden gewinnen durch den Bundesfreiwilligendienst kostenneutral motivierte Helfer und können ihren Mitgliedern mehr Angebote machen, weil durch den BFD Leute da sind, die zum Beispiel die Gemeindebibliothek beaufsichtigen oder in der Sonntagsschule helfen. Ruth Röcher, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Chemnitz, sieht den BFD außerdem als Möglichkeit, den Beteiligten die Gemeindearbeit näherzubringen: »Sie erleben so die vielfältigen Aufgaben der Gemeinde.«

Für kleine jüdische Gemeinden wie etwa Unna mit 100 Mitgliedern ist die Arbeit der BFDler fast unentbehrlich, denn feste Stellen kann man sich hier nicht leisten. Doch auch größere Gemeinden wie Dresden mit mehr als 700 Mitgliedern wollen auf die Freiwilligen nicht mehr verzichten. »Die Hauptamtlichen reichen für die Arbeit nicht aus«, meint Bronislava Litvac, Verwaltungsleiterin der Dresdner Jüdischen Gemeinde. »Gerade im Sozialbereich ist es egal, wie viele Leute man einsetzt – es sind nie genug.«

sozialarbeit Da die sozialen Aufgaben die größte »Baustelle« der meisten jüdischen Gemeinden sind, beschäftigen sie überwiegend Frauen. »Ihnen gelingt es schneller, Vertrauen aufzubauen«, begründet die Dresdner Verwaltungsleiterin. »Das ist wichtig, zum Beispiel, wenn man ältere Leute zum Arzt begleitet.« Der große Vorteil der meisten Freiwilligen in den jüdischen Gemeinden ist die Herkunft: Sie kommen wie die Betreuten aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, sprechen deren Sprache, kennen deren Mentalität und Alltagsprobleme.

»Viele alte Menschen ohne Deutschkenntnisse sind vollkommen hilflos«, weiß Fayina Koyfman aus Erfahrung. Umso mehr seien sie auf die Hilfe zweisprachiger Mitarbeiter angewiesen, »vor allen Dingen auf den Ämtern, wo nicht jeder Verständnis dafür hat, dass ein 80-Jähriger kein Deutsch mehr lernt.«

»Am liebsten würde ich alle unsere Freiwilligen für immer behalten«, sagt Sozialarbeiterin Tanaeva seufzend. Doch das macht der Gesetzgeber nicht mit. Nach eineinhalb Jahren ist für die BFDler definitiv Schluss. Und bis zum nächsten Einsatz muss eine Wartefrist von fünf Jahren eingehalten werden. Das gefällt weder den Freiwilligen noch den Gemeinden. »Wenn ich das nächste Mal als Bundesfreiwillige arbeiten darf, werde ich 65«, moniert Svitlana Kirzon. Da sie mit einem Job auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht rechnet, wird sie künftig wohl ehrenamtlich für die jüdische Gemeinde in Mönchengladbach weiterarbeiten.

sperrfrist »Eine Einsatzzeit von zwei bis drei Jahren wäre besser«, meint auch Alexandra Khariakova, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Unna. Politisch sei so etwas aber nicht durchsetzbar, weiß BFD-Koordinator Jek, denn bereits vor der Einführung des BFD gab es massive Bedenken der Gewerkschaften, dass mit dem Angebot ein zweiter, subventionierter Arbeitsmarkt entstehen könnte.

Die Sperrfrist hat zur Folge, dass in einigen Gemeinden die Freiwilligen bereits knapp werden. Interessenten sind zwar genug da, aber die meisten haben schon einmal als BFDler gearbeitet und können nun vorerst nicht wieder eingesetzt werden. Deshalb wird die Jüdische Kultusgemeinde Bielefeld im Herbst voraussichtlich Bufdis zum ersten Mal über die Arbeitsagentur suchen.

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