Rosch Haschana

Ein guter Tropfen fürs Fest

Drei renommierte deutsche Winzer haben seit einigen Jahren Erfolg mit koscherem Wein

von Michael Thaidigsmann  27.09.2019 12:58 Uhr

Le Chaim – auf das neue Jahr Foto: Getty Images/iStock

Drei renommierte deutsche Winzer haben seit einigen Jahren Erfolg mit koscherem Wein

von Michael Thaidigsmann  27.09.2019 12:58 Uhr

Es war eine Erfahrung der besonderen Art für Andrea Wirsching, als die Chefin des gleichnamigen Weinguts im fränkischen Iphofen vor einigen Jahren mehreren jüdischen Fachleuten aus Luxemburg und Frankreich ihren Betrieb zeigte. Rabbiner Mendel Edelman und sein Team waren zur Traubenlese gekommen, um für Wirsching einen koscheren Silvaner zu keltern. Dafür wurden an den Maschinen, die zur Lese verwendet werden, technische Änderungen vorgenommen.

»Wir haben am Vollernter die Kamera zugeklebt, die auf das Lesegut gerichtet war, weil es ja die Regel gibt, dass ein nichtorthodoxer Jude den Traubensaft nicht zu sehen bekommen darf«, sagte Wirsching auf der Fachmesse ProWein in Düsseldorf, wo sie von einem Weinmagazin zur deutschen Winzerin des Jahres 2019 gekürt wurde.

Weder Wirsching noch ihr Kellermeister Klaus-Peter Heigl durften von dem entstehenden Wein Proben ziehen; die entsprechenden Tanks waren von Edelman versiegelt worden – der Kaschrut wegen. Die jüdischen Speisegesetze sind beim koscheren Wein bekanntlich besonders streng: Nur Männer, die den Schabbat halten, dürfen von der Gärung bis zur Füllung mit dem Rebensaft in Berührung kommen.

REGELN Für die katholische Geschäftsführerin des größten privaten Weinguts in Franken ist das kein Problem. »Rabbiner Edelman kam mit seinem Team insgesamt dreimal zu uns. Unser Kellermeister hat ihm dann gesagt, welche Hebel er umlegen und welche Tasten er drücken muss. Wir haben das immer sonntags gemacht, da ist unser Keller leer und der Rabbiner ungestört. Die Zusammenarbeit war toll.«

Die studierte Historikerin sagt, sie akzeptiere, dass das Judentum auf klaren Regeln basiert. »Natürlich könnte man sagen, die spinnen doch alle, aber so sind nun einmal die Regeln. Diese hier gelten seit 3000 Jahren, und man muss sie eben respektieren. Ich habe eine Tochter, die Vegetarierin ist und auch bestimmte Regeln einhält, welche ich gelten lassen muss. Darüber diskutiere ich mit ihr auch nicht«, sagt Wirsching.

Es ist der erste koscher zertifizierte Wein Deutschlands, der auch in den USA verkauft wird.

Und ein Vorteil der Weinherstellung nach den Vorgaben der Kaschrut sei es, dass der Wein automatisch vegan ist. »Die meisten Mittel, die wir für die koscheren Weine verwenden, setzen wir auch für unsere anderen Weine ein. Und einige Regeln, die für koschere Herstellung gelten – zum Beispiel, dass man alles dreimal reinigen muss –, sind ja auch generell gute Vorgaben.« Der Iphöfer Silvaner aus dem Jungfernjahrgang 2016, abgefüllt im traditionellen Bocksbeutel, kostet im Onlineshop des Weinguts 15 Euro pro Flasche.

RISIKO Die Anregung, koscheren Wein aus Deutschland zu produzieren, hatte Wirsching von den renommierten Moselwinzern Max von Kunow und Nik Weis bekommen. Diese hatten 2013 das Projekt Gefen HaShalom (»Rebe des Friedens«) ins Leben gerufen, mit Unterstützung des damaligen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Trier, Benz Botmann, und des Trierer Arztes Mark Indig, der auch den Kontakt zum Chabad-Rabbiner Edelman in Luxemburg herstellte.

Es war ein Projekt mit einem gewissen Risiko. Niemand konnte zu Beginn einschätzen, wie hoch in der jüdischen Welt die Nachfrage nach koscherem Wein aus deutschen Landen sein würde.
Ungefähr vier bis fünf Euro pro Flasche sei die koschere Variante teurer als ein vergleichbarer nichtkoscherer Wein aus seinem Weingut, dem St.-Urbans-Hof, erklärt Nik Weis.

»Die Arbeitskraft der Rabbiner muss ja bezahlt werden. Drei Rabbiner kommen eigens aus Frankreich dafür zu uns. Das sind ausgebildete Önologen, denn wenn koscherer Wein im Keller gemacht wird, dürfen ja noch nicht einmal irgendwelche orthodoxen Juden ran, sondern nur speziell geschulte Rabbiner.«

GESCHMACKSPROFIL Auch für Weis war die erste Begegnung mit Edelmans Team ein kleiner Kulturschock. »Das war schon eigenartig. Die Rabbiner haben ja ihr eigenes Auftreten und ein starkes Selbstbewusstsein. Sie sind resolut. Das hat uns nicht gestört, wir waren anfangs eben nur nicht daran gewöhnt. Ich durfte ja noch nicht einmal den Hebel des Gabelstaplers betätigen, wenn in der Bütte etwas Traubensaft ausgetreten war«, sagt der Winzer.

Im Keller sei dann alles sehr penibel gereinigt, der Tank dreimal mit Wasser befüllt und am Ende versiegelt worden. »Probieren und spontane Eingriffe in die Vinifikation waren mir nicht möglich; bei jeder Überprüfungsmaßnahme musste der Rabbiner die Probe ziehen«, erzählt Weis.

Das Rabbinerteam kam immer sonntags – da war der Keller leer und der Rabbiner ungestört

Diese speziellen Regeln hätten auch kleinere Auswirkungen auf das Geschmacksprofil des Weines. »Die Rabbiner sind ja die meiste Zeit gar nicht bei mir vor Ort, sondern müssen erst mit dem TGV anreisen«, sagt Weis. Deswegen liege der koschere Wein länger auf der Gärhefe und bekomme eine etwas andere, schmelzigere Note als seine übrigen Weine, sagt der Winzer, fügt aber hinzu, dass das für ihn kein Problem sei.

WAGNIS Auch Edelman ist zufrieden. »Es war eine echte Freude, mit ihm zu arbeiten. Wir konnten wirklich die absolut höchsten Standards der Kaschrut einhalten – ohne Rücksicht auf die Kosten«, sagte der Rabbiner der »Jewish Week of New York«.

Nik Weis ist sehr zufrieden mit dem Wein, den Edelman und Co. aus Trauben der Lage Ockfener Bockstein an der Saar gekeltert haben. »Es gab bisher keine hochwertigen Weine von hier, die koscher für Pessach sind. Ich habe für diesen Wein bewusst eine gute Lage gewählt. Es ist ein Prädikatswein, halbtrocken, mit natürlichen Hefen spontan vergoren.« Die Kundschaft schätze den Wein sehr, sagt Weis.

2000 Flaschen wurden vom ersten Jahrgang 2014 produziert; das meiste werde in Deutschland verkauft, doch verschifft Weis mittlerweile auch einige Kisten in die USA. Es ist wohl der erste koscher zertifizierte Wein aus deutschen Landen überhaupt, der auf der anderen Seite des Atlantiks verkauft wird.

Warum er sich gerade auf ein solches Wagnis eingelassen habe, erklärt der Winzer so: »Ich mag es, neue Dinge zu erkunden. Ich interessiere mich für die jüdische Kultur und war schon öfter in Israel, das erste Mal noch gemeinsam mit meinem Vater. Wir haben dort seit einigen Jahren ein Partnerweingut, Flam, das unsere Weine importiert. Es gibt in Israel eine gewisse Nachfrage nach hochwertigen ausländischen Weinen, auch aus Deutschland, aber nicht explizit nach koscheren.«

Beim »Twin Wineries«-Projekt gingen vor zehn Jahren deutsche und israelische Weingüter Partnerschaften ein.

Das »Twin Wineries«-Projekt wurde vor zehn Jahren von Renée Salzmann initiiert. 18 deutsche und 18 israelische Weingüter sind Partnerschaften eingegangen. Das Weingut Heymann-Löwenstein aus Winningen an der Mosel ist dort ebenfalls mit von der Partie.

Wie bei Nik Weis gibt es auch in Reinhard Löwensteins Familie jüdische Vorfahren. »Irgendetwas hat mich am Judentum und an Israel immer fasziniert. Aber auf die Idee, koscheren Wein zu machen, würde ich nicht kommen, das wäre mir dann doch zu anbiedernd«, fügt der Winzer schnell hinzu.

Nik Weis hat dafür Verständnis, ist aber anderer Meinung. »Sicher, koscheren Wein herzustellen, ist nicht jedermanns Sache. Aber ich tue es ja nicht, um Geld zu verdienen; man verliert da eher Geld. Und ich habe bislang keine negativen Kommentare bekommen von jüdischer Seite.

LOGO Das Logo von Gefen HaShalom ist die Friedenstaube mit dem Rebzweig im Mund. »Wir wollen die Hand reichen nach Israel, zum jüdischen Volk, weil uns sehr daran liegt, als Deutsche Versöhnung und Freundschaft zu erbitten.«

Auch für den Dritten im Bunde, Maximilian von Kunow vom Weingut von Hövel in der Ortschaft Konz-Oberemmel bei Trier, hat Gefen HaShalom viel mit der Aussöhnung mit Israel und dem jüdischen Volk zu tun.

»Bis 1939 war der Weinhandel an der Mosel mindestens zu 70 Prozent von unseren jüdischen Freunden bestimmt. Die Nationalsozialisten haben unsere Geschäftspartner gezwungen, ihr Geschäft aufzugeben, und dadurch ist der gesamte Weinbau hier ins Wanken gekommen«, berichtet von Kunow. Viele Marketingideen würden von jüdischen Handelshäusern stammen.

»Nach dem Zweiten Weltkrieg nahmen dann viele von denen wieder Kontakt auf, hielten die Geschäftsbeziehungen mit uns aufrecht. Die Firma O.W. Loeb in London zum Beispiel ist heute noch unser Importeur in Großbritannien«, erzählt von Kunow.

KRITIK Der Winzer ist im Rahmen der Twin Wineries eine Partnerschaft mit Bazelet Hagolan eingegangen – einem Weingut auf den Golanhöhen, die Israel im Sechstagekrieg 1967 erobert und später einseitig annektiert hat.

Die US-Regierung erkannte den Golan vor einiger Zeit offiziell als einen Teil Israels an. Max von Kunow stimmt zu: »Ich halte zwar von Donald Trump sonst ziemlich wenig, aber diese Entscheidung war richtig. Das ist israelischer Wein, der dort gemacht wird. Für mich gehört der Golan zu Israel.«

Die Kundenresonanz auf den koscheren Riesling ist positiv.

Politische Kritik wegen seiner Partnerschaft mit einem Weingut auf »besetztem Gebiet« habe er bislang in Deutschland wenig bekommen, sagt von Kunow. »Es gab da einmal so ein komisches Schreiben von der Stadtratsfraktion der Linken in Trier, aber sonst haben wir damit eigentlich keine Probleme.«

Die meisten deutschen Winzerkollegen hätten Res­pekt für sein Engagement. Die Kundenresonanz auf seinen koscheren Riesling sei positiv, und für ihn persönlich sei »das Mitwirken religiöser Aspekte bei der Weinherstellung« eine neue und sehr lehrreiche Erfahrung gewesen.

BOCKSBEUTEL Auch Andrea Wirsching und Nik Weis stimmen dieser Aussage zu. »Wir haben natürlich auch jüdische Kunden, die uns nach dem Preisunterschied zum nichtkoscheren Wein fragen. Und wenn wir denen dann sagen, dass sie für fünf Euro weniger praktisch die gleiche Qualität in nichtkoscher bekommen, greifen die oft zum preiswerteren Wein.«

Es ging bei diesem Projekt eher darum, für die wichtigen jüdischen Festtage etwas Hochwertiges anzubieten. »Für den Alltag gibt es ja Mewuschal-Weine, die aber natürlich längst nicht so gut schmecken. Mewuschal würden wir nie machen, denn da ist ja kein Aroma mehr im Wein«, sagt Wirsching. Für sie wie für ihre beiden Kollegen von der Mosel ist Gefen Ha­Shalom keine Eintagsfliege. »Wir machen das wieder, unbedingt – ich bin da Feuer und Flamme.«

Nur eines will die Winzerin künftig ändern: »Beim nächsten Mal nehmen wir wahrscheinlich eine Schlegelflasche, weil zum Beispiel in den USA gerne gemischte Kartons verkauft werden – und da passt unser Bocksbeutel nicht so recht dazu.«

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