Protest

Dresdner Perspektiven

Jahrestag: Pegida-Kundgebung am vergangenen Montag auf dem Theaterplatz Foto: dpa

Ist Dresden besonders »braun«? Die zehn Jahre währende Anwesenheit der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag (bis 2014), die alljährlichen Neonazi-Aufmärsche zum Jahrestag der Bombardierung der Stadt in Zweiten Weltkrieg und seit nun einem Jahr so gut wie jeden Montagabend die Demonstrationen oder Kundgebungen der »Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes« (Pegida): All dies kratzt erheblich am Image von »Elbflorenz«.

An diesem Montag zeigte sich anlässlich des einjährigen Bestehens von Pegida, wie gespalten nicht nur Dresden ist. Denn an der Pegida-Kundgebung und an der Gegendemonstration nahmen nicht nur Bürger der sächsischen Landeshauptstadt teil. Nach Angaben der unabhängigen Initiative »Durchgezählt« mobilisierten die »patriotischen Europäer« 15.000 bis 20.000 Anhänger. Fast ebenso viele Gegendemonstranten – und damit mehr als erwartet – beteiligten sich an einem Sternlauf in die Altstadt. Zu der Demonstration für Weltoffenheit und Toleranz hatte ein breites Bündnis unter dem Motto »Herz statt Hetze« aufgerufen.

Willkommenskultur Hetze, die sich aktuell vor allem gegen Flüchtlinge richtet. Ein Thema, das auch in der Jüdischen Gemeinde zu Dresden kontrovers diskutiert wird. Gemeindevorsitzende Nora Goldenbogen, Rabbiner Alexander Nachama und Valentina Marcenaro, die Managerin der Jüdischen Kultur- und Theaterwoche: Sie alle haben sich bereits öffentlich für eine Willkommenskultur in Dresden ausgesprochen.

Doch unter den zugewanderten Gemeindemitgliedern haben viele in ihren Heimatländern antisemitische Erfahrungen gemacht und haben nun Angst vor dem massiven Zuzug muslimischer Menschen. »Diese Gemeindemitglieder geben Pegida ein bisschen recht. Sie wollen, dass der Staat hier stärker ist, als der Staat, aus dem sie kommen«, erklärt Eva Rietze, Mitglied des Vorstands der Jüdischen Gemeinde zu Dresden. Sie selbst jedoch habe im Trialog zwischen Muslimen, Juden und Christen bisher nur gute Erfahrungen mit den Vertretern des Islam gemacht.

Auch Valentina Marcenaro erlebt die sogenannten Kontingentflüchtlinge als vorsichtig und ängstlich: »Mein Eindruck ist: Sie haben große Angst vor der Zuwanderung. Man würde erwarten, dass angesichts der eigenen Migrationserfahrung Verständnis für andere Menschen vorherrscht, die ihre Heimat verlassen. Aber die Furcht überwiegt.«

Rabbiner Shneor Havlin von Chabad Lubawitsch in Dresden hat eine klare Meinung zum Thema Asyl: »Menschen in Not muss man helfen.« Das sei ein jüdisches Gebot, und kein anderes Volk wisse besser, was es heißt, auf der Flucht zu sein. Nicht die Asylsuchenden machen ihm Sorgen, sondern die Fremdenfeindlichkeit. »Rechtes Gedankengut wird jetzt eher akzeptiert. Immerhin schließen sich ganz normale Bürger Pegida an.« Der orthodoxe Rabbiner hat sich Pegida-Kundgebungen angesehen: »Das war nicht angenehm.«

Atmosphäre Dieses Unbehagen angesichts der dumpfen, rechtspopulistischen Stimmung, die Pegida Woche für Woche verbreitet, herrscht auch im Gemeindezentrum am Hasenberg. Die gebürtige Italienerin Valentina Marcenaro ist fassungslos: »Wie kann das sein? Es ist gruselig. Als wenn wir im Mittelalter leben würden.«

Auch Rabbiner Alexander Nachama empfindet die Atmosphäre als bedrückend: »Es ist erschreckend, wie viele Leute da jeden Montag hingehen. Und ich sehe momentan nicht, wie man da gegensteuern kann, damit sich die Lage wieder beruhigt.« Explizit gegen Menschen jüdischen Glaubens richtet sich die fremdenfeindliche Pegida zwar nicht. Aber: »Das kann sich auch mal schnell ändern«, sorgt sich Nachama.

Die Chabad-Gemeinde hat ihre Sicherheitsvorkehrungen verstärkt. »Ja, Pegida richtet sich gegen Muslime. Aber auch wir sind Fremde«, sagt Rabbiner Havlin. Persönliche Anfeindungen hat der Israeli in Dresden aber noch nicht erlebt, obwohl er durch seine Kleidung als Jude erkennbar ist.

Doch sind es nur einige Schreihälse, die sich da hervortun, oder repräsentiert Pegida tatsächlich »das Volk«, wie die Anhänger behaupten? Und ist die Mehrheit der Dresdner Bürger Asylsuchenden gegenüber feindselig eingestellt?

Der Lehrstuhl für Methoden der empirischen Sozialforschung der Technischen Universität (TU) Dresden wollte Antworten auf diese Fragen. Im Juni dieses Jahres führten die Soziologen eine repräsentative Umfrage durch. In mehr als 400 Telefoninterviews wurden die Dresdner zu ihrer Einstellung gegenüber Asylsuchenden befragt. Dabei ging es auch um Pegida. Die Ergebnisse der Befragung wurden am Mittwoch der Öffentlichkeit vorgestellt.

Die wichtigste Botschaft: Das Thema spaltet Dresden. Es gibt Vertreter einer offenen Willkommenskultur und Menschen, die Wut auf die Geflüchteten empfinden. Der Bruch geht durch alle Altersstufen und Schichten der Gesellschaft und entzweit Familien, Freunde, Nachbarn. Allerdings fällt auf, dass jüngere und gut ausgebildete Menschen der Aufnahme von Flüchtlingen eher offen gegenüberstehen. Und: Wer Asylsuchende ablehnt, der ist auch eher unzufrieden mit der Demokratie und seinen Möglichkeiten der politischen Einflussnahme.

Die TU-Studie lässt aber nicht darauf schließen, dass die meisten Dresdner Asylsuchende ablehnen. Die Mehrheit (40,6 Prozent) äußert Sympathie für die Zuflucht Suchenden. Doch immerhin ein Fünftel (20,4 Prozent) hegt ihnen gegenüber feindliche Gefühle. Und ein großer Teil (39 Prozent) gehört der »unentschlossenen Mitte« an.

Rabbiner Nachama weiß, dass es auch unabhängig von Pediga nicht überall in Dresden ratsam ist, sich als Jude zu erkennen zu geben. In der Altstadt mit ihren vielen – auch jüdischen – Touristen könne man Kippa und Magen David aber offen tragen. »Man sollte sich trotzdem immer wieder mal umgucken«, fügt Nachama hinzu. Wenn Valentina Marcenaros Sohn mit der Kippa auf dem Kopf loszieht, fühlt sie sich hin- und hergerissen. »Manchmal sage ich: Nimm sie ab! Weil ich nicht will, dass er negative Erfahrungen macht. Gleichzeitig finde ich es schrecklich, dass man so denken muss. Angst ist nicht die Lösung. Sie verhindert, dass man aufeinander zugeht.«

Kulturverlust Abschottung ist der Weg, den laut der TU-Studie eine Minderheit der Dresdner bevorzugt. Diese Bürger haben Furcht vor dem Verlust von Kultur (7,4 Prozent) und Wohlstand. So sind elf Prozent der Überzeugung, dass viele Asylsuchende nur nach Dresden kommen, um den Sozialstaat auszunutzen. Vier Prozent möchten Muslimen die Zuwanderung untersagen. Doch ein großer Teil der Bevölkerung denkt anders. So lehnen rund 60 Prozent der Dresdner die Pegida-Gesinnung vollkommen oder überwiegend ab. Zwölf Prozent stehen hinter den »patriotischen Europäern«, davon 2,3 Prozent voller Überzeugung. Eher wenig für eine Bewegung, die für sich beansprucht: »Wir sind das Volk«.

Auffällig ist jedoch, dass es bei allen Fragen zum Thema Asyl in Dresden viele Unentschlossene gibt. Fast 28 Prozent wissen nicht so recht, ob sie Pegida gut oder schlecht finden sollen, gut 30 Prozent sind unentschlossen, ob man Muslimen ihren eigenen Lebensstil in Deutschland zugestehen sollte, etwas mehr als ein Fünftel der Befragten ist sich unsicher, ob es nicht vielleicht doch zu viele Zugewanderte in Deutschland gibt.

Insgesamt zählen vier von zehn Dresdnern zu dieser »unentschlossenen Mitte«. »Ob sie Partei ergreifen werden im Sinne der Migranten, ob sie später zu denen gehören, die vor Flüchtlingsunterkünften demonstrieren, oder ob sie passive Zuschauer der kommenden Entwicklungen sein werden, bleibt unklar«, heißt es in der Analyse der Dresdner Soziologen. Ihr Fazit: »Politik und Zivilgesellschaft werden sich um diese Menschen bemühen müssen. Das Resultat dieser Bemühungen wird die nächsten Jahre und Jahrzehnte beeinflussen.«

Am Montagabend zeigten viele Dresdner Einrichtungen, was sie von dieser Art von Montagsdemonstrationen halten und setzten ein Zeichen gegen Pegida: Sie löschten das Licht. So mussten Pegida-Initiator Lutz Bachmann und seine Anhänger ihr Einjähriges vor der finsteren Semperoper »feiern«, die den »patriotischen Europäern« per LED-Anzeige nur eine leuchtende Botschaft zu übermitteln hatte: »Wir sind kein Bühnenbild für Fremdenhass – Ihre Semperoper«.

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