Brandenburg/Havel

Digitale Mamme

Kippa, Schabbat und koscheres Essen: Diese Begriffe aus dem Judentum kennen vermutlich viele Menschen. Aber was jüdisches Leben in Brandenburg und Deutschland im 21. Jahrhundert ausmacht, wissen die wenigsten. Durch diese Unwissenheit entstehen nicht selten Vorurteile.

»Wenn ich früher in der Schule gesagt habe, dass ich jüdisch bin, wurde ich von meinen Mitschülerinnen und Mitschülern nur komisch angeguckt, wie eine Außerirdische«, sagt Tanya Raab. Die 21-Jährige wurde in Krementschuk in der Ukraine geboren. Mit drei Jahren kam sie gemeinsam mit ihren Eltern als sogenannter Kontingentflüchtling nach Frankfurt an der Oder. Ihre Mutter ist jüdisch, ihr Vater nicht.

Schimpfwort »An meinem Gymnasium war das Wort Jude ein Schimpfwort«, erzählt sie. »Ich glaube kaum, dass meine Mitschülerinnen und Mitschüler jemals persönlich Kontakt zu einem Juden gehabt haben. Juden kamen für sie ausschließlich in einem historischen Kontext mit Bezug zur Schoa vor.« Sie selbst hat ihre Herkunft in ihrer Jugendzeit meist verschwiegen, »um Diskriminierung aus dem Weg zu gehen«, sagt sie.

Das will Tanya Raab nicht mehr – ihr Jüdischsein verschweigen, ihre Herkunft und Religion verstecken.

Das will Tanya Raab nicht mehr – ihr Jüdischsein verschweigen, ihre Herkunft und Religion verstecken. Ein Besuch in Israel bei ihren Verwandten hat ihr die Augen geöffnet. »Ich habe gesehen, wie offen, frei und positiv die Menschen in Israel mit ihrem Judentum umgehen. Das möchte ich auch in Deutschland.«

Seit ein paar Monaten ist Tanya Raab bei Instagram. Auf ihrem Account »oy_jewish_mamma« postet sie täglich Fotos und Infos über ihren Alltag. Der bewegt sich zwischen Muttersein, Judentum, Studium, Ehe, Queer-Feminismus und ausgedehnten Spaziergängen an der Havel. Gemeinsam mit ihrem 23 Jahre alten Mann Nicolai lebt sie seit etwas mehr als zwei Jahren in Brandenburg an der Havel, beide studieren und sind Eltern einer Tochter.

Identität »Während meiner Schwangerschaft habe ich mir viele Gedanken über meine eigene Identität gemacht und darüber, welche Werte ich meiner Tochter mit auf ihren Weg geben möchte«, sagt Tanya Raab. Die jüdische Tradition, Feste und Feiertage, gehören für sie mit dazu. Während der Elternzeit fing Tanya Raab an, auf Instagram zu posten, wie das so ist – als jüdische Mamma in Brandenburg an der Havel zu leben.

»Am Anfang war ich mir nicht sicher, wie sehr ich mein Judentum in den sozialen Netzwerken öffentlich machen sollte«, sagt sie. Doch das große Interesse ihrer inzwischen schon über 3600 Follower ermutigt sie, genau darüber zu posten. Was machst du am Schabbat? Esst ihr koscher, und was bedeutet das überhaupt? Es sind Fragen wie diese, die Tanya Raab in ihren Posts und Storys auf Instagram beantwortet.

»Es freut mich wirklich sehr, dass so viele Menschen aus Brandenburg und der Region Interesse an meinem Leben und meinem Alltag haben«, sagt Tanya Raab. Es gebe natürlich auch Kommentare, die unter der Gürtellinie sind. Diese beziehen sich meist auf feministische Positionen, die sie postet. Die überwiegende Mehrheit der Kommentare sei aber positiv und ermutigend.

themen »Indem ich über meinen Alltag als junge jüdische Mutter berichte, möchte ich für mehr jüdische Sichtbarkeit in Brandenburg und Deutschland werben«, sagt die 21-Jährige. Die Jüdische Gemeinde in Brandenburg an der Havel mit ihren rund 100 Mitgliedern sei in der Stadt kaum präsent. »Jüdisches Alltagsleben ist für die Mehrheitsgesellschaft de facto unsichtbar.«

Instagram ist für die junge Frau ein guter Weg, um grundsätzliche Fragen zum Judentum zu klären und mit möglichen Stereotypen aufzuräumen. »Ich habe keine Lust, immer nur über Antisemitismus und die vielen Hassbotschaften, Anfeindungen und Holocaustleugner zu sprechen«, sagt sie. Das sei zwar sehr wichtig, um auf die große Gefahr hinzuweisen, die Juden- und Israelhass immer noch darstellen. »Ich möchte mit meinem Instagram-Account in erster Linie die Vielfalt zeigen, die jüdisches Leben jenseits von Schoa und Opferrolle in Deutschland heute ausmacht«, sagt Tanya Raab.

»Ich möchte für mehr Sichtbarkeit werben«, sagt Tanya.

Unterstützung für ihre digitale Aufklärungsarbeit bekommt sie von ihrem Mann. Nicolai hat mit Religion selbst nicht viel am Hut. Dass seine Frau bewusst jüdisch leben möchte, respektiert er. Auch er sieht, dass jüdisches Leben in Brandenburg an der Havel nahezu unsichtbar ist. »Wir brauchen Begegnungen auf Augenhöhe, damit die Menschen die Vielfalt aktuellen jüdischen Lebens kennenlernen können«, sagt er. Als angehender Theaterpädagoge möchte Nicolai Tanyas Aufklärungsarbeit unterstützen – mit einem Theaterstück für Teenager.

theater »Tanya und ich konzipieren derzeit ein Theaterstück fürs Klassenzimmer, mit dem wir den Schülerinnen und Schülern die Vielfalt des heutigen Judentums sowie den Alltag jüdischer Menschen in Brandenburg und Deutschland näherbringen wollen«, sagt Nicolai Raab.

Als Zwei-Personen-Performance wollen Nicolai und Tanya vor den Schulklassen auftreten und 45 Minuten aus dem Alltag einer jüdischen Person erzählen. Im Anschluss soll es noch Zeit für ein Gespräch mit der Klasse geben – damit verständlich wird, wofür Kippa, Schabbat und koscheres Essen heute stehen.

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