Gesellschaft

»Die Perspektive der Betroffenen ist wichtig«

Claudia Vanoni Foto: privat

Frau Vanoni, gemeinsam mit Wolfram Pemp, dem Antisemitismusbeauftragten der Polizei, haben Sie den ersten Leitfaden zur Verfolgung antisemitischer Straftaten erstellt. Warum war dieser notwendig?
Antisemitismus zu bekämpfen, bedeutet auch, antisemitische Straftaten effektiv und konsequent zu verfolgen. Das ist das Ziel der Berliner Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden. Deshalb haben wir in den vergangenen Jahren einiges unternommen, um unsere Arbeit in diesem Bereich zu stärken. So wurden mit zivilgesellschaftlichen Akteuren der Antisemitismusbekämpfung und Opferberatung Netzwerke aufgebaut und Formate entwickelt, die den gegenseitigen Erfahrungsaustausch ermöglichen. Unser gemeinsamer Leitfaden ist ein weiterer Baustein; er dient als Hilfe beim Erkennen von Antisemitismus und zur Förderung der Sensibilität für dieses wichtige Thema.

Der Leitfaden soll praxisnahe Handlungsempfehlungen geben. Wie sehen die aus?
Wir haben Kriterien aufgeführt, die dringend bei den Ermittlungen zu berücksichtigen sind. Die Perspektive von Betroffenen ist dabei ein wichtiger Punkt. Das heißt, Betroffene sind stets zu ihrer persönlichen Einschätzung in Bezug auf eine mögliche Tatmotivation zu befragen. Auch können Dritte wie Melde- und Beratungsstellen Hinweise auf das Tatmotiv geben. Von Bedeutung kann ebenfalls sein, wo oder wann die Tat passiert ist – ob an einem jüdischen Feiertag oder an einem für die rechtsextreme oder islamistische Szene wichtigen Jahrestag. Außerdem möchten wir die Standards bei der Bearbeitung von Verfahren mit antisemitischem Hintergrund, wie sie bei der Polizei und Staatsanwaltschaft in Berlin weiterentwickelt wurden, festschreiben. Damit ist der Leitfaden auch eine Arbeitshilfe für neue Kolleginnen und Kollegen und sichert so den Wissenstransfer.

Mehr Gewicht für Perspektiven von Betroffenen – was heißt das konkret?
Die Perspektive der Betroffenen ist ein wichtiges Kriterium für die Einordnung einer Straftat als antisemitisch. Es geht uns aber ebenfalls darum, dass ihre Schutz- und Informationsbedürfnisse angemessen berücksichtigt werden. Sie erhalten deshalb vom Fachkommissariat des LKA proaktiv eine Liste mit den spezialisierten Fachberatungsstellen. Bei Zeugenvernehmungen haben Betroffene die Möglichkeit, sich durch eine Vertrauensperson begleiten zu lassen. Auch die Option des sogenannten kleinen Zeugenschutzes wird erörtert. Um ihrem Informationsbedürfnis im weiteren Fortgang des Verfahrens gerecht zu werden, erhalten sie Mitteilung, sobald Anklage erhoben oder ein Strafbefehl beantragt wird. Auch über den Ausgang des Verfahrens wird informiert. Muss ein Ermittlungsverfahren eingestellt werden, legt die Staatsanwaltschaft die Gründe hierfür nachvollziehbar und empathisch dar und bezieht dabei die Perspektive der Betroffenen ausdrücklich mit ein.

Wer hat an der Erstellung mitgewirkt?
Wir haben bei der Erstellung des Leitfadens die Erfahrungen unserer Kollegen aus den jeweiligen Fachbereichen des LKA und der Staatsanwaltschaft Berlin, die unmittelbar mit der Ermittlung und Verfolgung antisemitischer Straftaten befasst sind, einbezogen. Und wir wurden auch seitens unserer Netzwerkpartner aus der Zivilgesellschaft durch ihr Feedback und ihre Expertise gerade im Hinblick auf die Betroffenenperspektive wertvoll unterstützt.

Wie werden die Mitarbeiter bei der Polizei und Justiz mit den Inhalten des Leitfadens vertraut gemacht?
Ich kann nur für die Amts- und Staatsanwaltschaft sprechen. Dort erhalten alle den Leitfaden. Die Kollegen der Fachabteilung der Staatsanwaltschaft, in der die Verfahren mit antisemitischem Hintergrund bearbeitet werden, sind zudem durch deren Einbeziehung bei seiner Erstellung mit dessen Inhalten besonders vertraut. Diese werden darüber hinaus auch im Rahmen von Fortbildungsveranstaltungen zum Thema Antisemitismus und zur Sensibilisierung im Umgang mit Betroffenen von antisemitischen Straftaten vertieft.

Mit der Antisemitismusbeauftragten der Generalstaatsanwaltschaft sprach Ralf Balke.

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