Interview

»Die Impfung ist unsere einzige Chance«

Dr. Jolanda Schottenfeld-Naor Foto: privat

Frau Dr. Schottenfeld-Naor, Sie werden morgen die Bewohner und Mitarbeiter des Nelly-Sachs-Hauses, des Elternheims der Düsseldorfer Gemeinde, impfen. Um wie viele Personen handelt es sich?
Es sind insgesamt rund 100 Bewohner und 100 Mitarbeiter. Das ganze Prozedere wird rund fünf bis sechs Stunden dauern.

Die Impfung umfasst zwei Spritzen innerhalb von vier Wochen. Ab wann werden die geimpften Personen gegen eine Corona-Infektion immun sein?
Die Immunität stellt sich ungefähr zwei Wochen nach der zweiten Impfung ein. Sprich: morgen in circa sechs Wochen.

Sie erwähnten im Vorfeld unseres Gesprächs, dass es viele Fragen und Zweifel vonseiten der Bewohner des Nelly-Sachs-Hauses gegeben hat. Was meinten Sie damit?
Verständlicherweise wenden sich viele Bewohner, Angehörige und Mitarbeiter sowie auch andere Patienten an uns mit der Frage, ob sie geimpft werden sollen. Angehörige von hochbetagten und schwer kranken und geschwächten Bewohnern haben Bedenken. Hier muss man durch einfühlsame Gespräche herausfinden, was für den Betroffenen individuell das Beste ist. Wie häufig in der Medizin, gibt es nicht immer ein klares Ja oder Nein. 

Gibt es Ausschlusskriterien für eine Impfung?
Nach der aktuellen Zulassung sollen Kinder bis 16 Jahre sowie schwangere und stillende Frauen – Letztere nur nach sehr strenger Nutzen-Risiko-Abwägung – nicht geimpft werden. Wie bei allen Impfungen soll die Impfung bei einem akuten Infekt mit Fieber über 38,5 Grad Celsius verschoben werden. In anderen Fällen, zum Beispiel bei einer fortgeschrittenen Krebserkrankung und Chemotherapie, muss individuell gemeinsam mit den behandelnden Ärzten, besonders dem Onkologen, entschieden werden.

Wie sieht es bei Menschen mit schwerer Atopie und Allergien aus?
Bei schweren allergischen Reaktionen und Impfreaktionen in der Vorgeschichte ist Vorsicht ist geboten. Aber es gibt viele Formen und Ausprägungen von Allergien. Während relativ harmlose Varianten wie Heuschnupfen kein Problem darstellen sollten, ist bei schweren allergischen Reaktionen oder Impfreaktionen sowie Überempfindlichkeiten gegen Begleitstoffe des Impfstoffs extreme Vorsicht geboten! Eine sorgfältige Anamnese ist wichtig. Bei allem gilt immer: Im Vordergrund steht die Sicherheit des Patienten.

In den vergangenen Monaten wurde viel darüber diskutiert, wie viel Prozent der Bevölkerung sich impfen lassen müssen, damit sich eine Herdenimmunität einstellt. Wie bewerten Sie das?
Nach aktuellem Wissensstand stellt sich eine Herdenimmunität gegen Covid-19 ein, wenn 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung geimpft sind. Es gibt hier aber unterschiedliche Zahlen und Meinungen. 

Im Nachgang der ersten Impfungen am Sonntag war von vereinzelten Fehlern bei der Impfung zu lesen. Der Impfstoff wurde zum Beispiel unsachgemäß gelagert, oder es wurde versehentlich die fünffache Dosis verabreicht. Wie können Sie sicherstellen, dass dies verhindert wird?
Wir versuchen, uns optimal vorzubereiten und besonders sorgfältig zu arbeiten, um Fehler zu vermeiden.

Inwiefern genau?
Wir haben innerhalb weniger Tage nach Bekanntwerden des Impftermins ein Team von erfahrenen Ärzten und medizinischen Fachangestellten zusammengestellt und bereiten uns alle extrem gut darauf vor. Nach Lieferung des Impfstoffs muss dieser rekonstituiert und individuelle Impfdosen hergestellt werden. Wir müssen die Anamnesebögen der Impflinge überprüfen und diese individuell aufklären, eventuell Kontraindikationen feststellen, Unsicherheiten ausräumen. Nach der Impfung schließt sich eine mindestens halbstündige Nachbeobachtungsphase an.

Werden Sie selbst sich impfen lassen?
Das fragen mich viele. Klare Antwort: JA!!! Ich bin vom Nutzen überzeugt!

Es gibt in der Bevölkerung teilweise Widerstand gegen die Impfungen, mit partiell wirklich irren und wahnwitzigen Begründungen. Was antworten Sie sogenannten Impfverweigerern oder Corona-Leugnern?
Ja, es gibt viel Unsicherheit und Skepsis, und wir müssen viel Überzeugungsarbeit leisten. Generell sind Impfungen ein Segen für die Menschheit und haben schwere Krankheiten ausgerottet. Die Impfung ist unsere einzige Chance, um wieder zur Normalität in allen Bereichen wie Wirtschaft, Gesundheit, Schule und Kultur, gesellschaftliches Leben zurückzukehren. Die Impfstoffe wurden nach hohen wissenschaftlichen Standards hergestellt und von den Behörden sorgfältig überprüft. Die Studien wurden in angesehenen wissenschaftliche Journalen publiziert, sind transparent und der wissenschaftlichen Diskussion zugänglich. Die Schnelligkeit der Entwicklung und Zulassung hängt auch mit der hohen Priorisierung und den enormen finanziellen Mitteln zusammen, die den Firmen zur Verfügung gestellt wurden. Auch haben wir eine ethische Pflicht als Gesellschaft, die durch eine Covid19-Infektion besonders gefährdeten alten und kranken Menschen zu schützen.

Sind Sie für eine Impfpflicht?
Ich bin für eine freiwillige Entscheidung, die aber möglichst unter rationalen Gesichtspunkten getroffen werden sollte. Ich glaube an die Vernunft der meisten Menschen.

Was meinen Sie: Wann werden wir als Gesellschaft – aus Ihrer persönlichen Einschätzung – die Corona-Pandemie medizinisch hinter uns gelassen haben?
Das hängt von der Bereitschaft und Geschwindigkeit ab, bis weite Teile der Bevölkerung geimpft werden können. Ich hoffe, dass dies bis zum Sommer oder Herbst 2021 der Fall sein wird. Dann wird es ähnlich wie bei der Influenza sein. Es wird saisonale Ausbrüche geben. Dies wird uns aber hoffentlich nicht mehr so sehr im Kern treffen.

Wie lange werden wir noch mit den Corona-Vorsichtsmaßnahmen leben müssen?
Das wird – so befürchte ich – noch eine Weile dauern, vor allem, solange die Mehrheit der Bevölkerung noch nicht geimpft ist. Doch wir werden nach und nach zur Normalität zurückkehren. 

Mit der Internistin, die Vorstandsmitglied im Bundesverband Jüdischer Mediziner ist, sprach Philipp Peyman Engel.

Porträt der Woche

Zwischen den Welten

Ruth Peiser aus Berlin war Goldschmiedin, arbeitete bei einer Airline und jobbt nun in einer Boutique

von Gerhard Haase-Hindenberg  15.06.2025

Berlin

»Drastisch und unverhältnismäßig«

Die Jüdische Gemeinde erhöht die Gebühren ab September deutlich. Betroffene Eltern wehren sich mit einer Petition

von Christine Schmitt  12.06.2025

Hamburg

Kafka trifft auf die Realität in Tel Aviv

Ob Krimi, Drama oder Doku – die fünften Jüdischen Filmtage beleuchten hochaktuelle Themen

von Helmut Kuhn  12.06.2025

Weimar

Yiddish Summer blickt auf 25 Jahre Kulturvermittlung zurück

Zwischen dem 12. Juli und 17. August biete die internationale Sommerschule für jiddische Musik, Sprache und Kultur in Weimar diesmal insgesamt über 100 Programmbausteine an

von Matthias Thüsing  11.06.2025

Sachsen

Verdienstorden für Leipziger Küf Kaufmann

Seit vielen Jahren setze er sich für den interreligiösen Dialog und den interkulturellen Austausch von Menschen unterschiedlicher Herkunft ein

 11.06.2025

Oldenburg

Brandanschlag auf Synagoge: Beschuldigter bittet um Entschuldigung

Am 5. April 2024 war ein Brandsatz gegen die massive Tür des jüdischen Gebetshauses in der Leo-Trepp-Straße geworfen worden

 11.06.2025

Erinnerung

731 Schulen erinnern an Anne Frank

Der Aktionstag findet seit 2017 jährlich am 12. Juni, dem Geburtstag des Holocaust-Opfers Anne Frank (1929-1945), statt

 11.06.2025

Grand Schabbaton

Eine 260-köpfige Familie

In Potsdam brachte der»Bund traditioneller Juden« mehrere Generationen zusammen

von Mascha Malburg  11.06.2025

Meinung

Jewrovision: einfach jung und jüdisch sein

Junge Jüdinnen und Juden sind alltäglich Anfeindungen ausgesetzt. Für sie ist die Jewrovision ein Safe Space

von Katrin Richter  11.06.2025