Familie

Die Ginzburgs

Die vier vom »Jiddisch Swing Orchestra«: Wlady, Igor, Evgeni und Dennis Ginzburg (v.l.) Foto: Gregor Zielke

Wenn der Vater mit seinen drei Söhnen gutgelaunt die Bühne betritt, sie sich gegenseitig die Melodien zuspielen, dann geht die Stimmung prompt aufs Publikum über. Musik zum »Mitmachen und Tanzen« soll es sein, sagen Igor, Wlady, Evgeni und Dennis unisono.

Jüngst gaben sie ein Benefizkonzert zugunsten des Deutschen Roten Kreuzes in der Philharmonie. Mehr als 1.000 Besucher waren bei »The Best of Jewish Wedding Music« dabei und erklatschten sich fünf Zugaben. Und dürften dabei nicht schlecht gestaunt haben: Denn alle Ginzburgs spielen mehrere Instrumente wie Klarinette, Saxophon, Akkordeon, Trompete, Schlagzeug und Klavier und wechselten diese in ihrem Konzert am laufenden Band. Vor drei Jahren beschlossen Vater und Söhne, zusammen Musik zu machen, und stehen seitdem regelmäßig als »Jiddisch Swing Orchestra« im Rampenlicht.

Erbe »Eigentlich wollten wir keine Musiker werden«, sagt der älteste Sohn Wlady, der 31 Jahre alt ist. Aber was blieb ihnen übrig? Bei den Familienfeiern gab es immer Musik – denn auch der Großvater, heute 76 Jahre, ist Sänger und Klesmermusiker, genauso wie der Urgroßvater. Auch zu den Konzerten ihres Vaters Igors kamen Wlady, Evgeni und Dennis oft mit. Bis ins 19. Jahrhundert lassen sich laut Igor Ginzburg die musikalischen Vorfahren seiner Familie zurückverfolgen. Nur seine Ehefrau ist keine Musikerin. »Sie ist als Mathematikerin das einzig vernünftige Wesen in unserer Familie«, sagt Wlady.

Die Melodien und der Rhythmus seien den Söhnen einfach »ins Blut gegangen«, schließlich haben sie den Klang ständig gehört. Die Stücke, überwiegend jiddische Lieder, Klesmer, klassische Musik, Jazz und Swing, lernten sie nebenbei auswendig.

Brüder »Unsere Kindheit war ganz normal«, sagen die Brüder heute. Sie hätten viel Freiheit gehabt und seien nicht zum Spielen getrimmt worden. Die Musik sei einfach in der Familie dagewesen. Bei den Mahlzeiten wurde und wird sich entweder darüber unterhalten, wie beispielsweise ein Vorspiel war. Oder es geht um neue Instrumente und wer mit wem am Tag zuvor Musik gemacht hat.

Wlady erinnert sich auch noch an die Zeit, in der er seine Klarinette etwa zwei Jahre lang liegen ließ. Stattdessen trainierte er intensiv Basketball und arbeitete als DJ in einer Disco. »Da habe ich viel über die Gestaltung der Programme gelernt«, sagt der 31-Jährige, »wie man Stimmung aufbaut und sie wieder abklingen lässt.« Heute vermisst er sein Instrument, wenn er es nicht mehrmals die Woche spielt.

Igor Ginzburg stammt aus der Ukraine. Dort sind auch die beiden ältesten Söhne, Wlady und Evgeni, geboren. Die Familie ging nach Israel, wo Igor an der Jerusalem Rubin Academy of Music and Dance studierte. Von dort aus kam er nach Berlin, um mit einem Engagement im Großen Berliner Blasorchester seinen Lebensunterhalt zu finanzieren, und ließ seine Familie später nachkommen. Seit mehr als 14 Jahren ist der 51-Jährige mittlerweile Musiklehrer an der Heinz-Galinski-Schule. Mit Vergnügen gehe er jeden Tag zur Schule – und freue sich ebenfalls auf die Konzerte, die er zusammen mit anderen Musikern und seinen Söhnen gibt. »Ich bin glücklich, dass ich lehren und konzertieren darf.«

Ausbildung Als die Familie aus Israel nach Berlin kam, konnten die Kinder kein Wort Deutsch. Dennoch schaffte es Wlady, einen Platz auf dem musikbetonten Händel-Gymnasium zu bekommen. Da sein kleiner Bruder Dennis gerade geboren worden war, konnte er nicht mehr zu Hause Klarinette üben. Deshalb fuhr er immer kurz nach sieben Uhr zur Schule und übte, während die Küchenfrauen mit ihrer Arbeit anfingen. »Ich hatte damals so einen guten Lehrer und war sehr motiviert.« Heute ist er Musiklehrer an einer allgemeinbildenden Schule, eine »mit Weihnachten«, wie er sagt.

Evgeni, 27, hingegen wollte kein Musiker werden. Er war Leistungsschwimmer und interessierte sich mehr für die Naturwissenschaften. Aber mit 15 Jahren fand er, dass er zu viel um die Ohren hatte, und die Entscheidung fiel schnell: gegen das Schwimmen, für die Musik. Als er mit dem Studium fertig war, hatte er bereits einen Job: Musiklehrer in der frisch gegründeten Grundschule »Beth Zion«. Und auch Dennis denkt, dass er als Pädagoge und Musiker seine Brötchen verdienen wird. Klavierunterricht hat er »schon immer« und Trompete seit ein paar Jahren. Neben der Musik ist er großer Basketball-Fan und trainiert bei den Berlin Tigers. Manchmal kommt er nach einem Konzert spät ins Bett und muss am nächsten morgen früh aufstehen, um zu einem Punktespiel zu fahren. Da kann es schon mal passieren, dass er es nur knapp bis zum Balleinwurf schafft.

»Wir wollen neben dem Spaß an der Musik auch eine Brücke zwischen jiddischer und deutscher Kultur aufbauen«, sagt Igor Ginzburg. Er empfinde es als erschreckend, dass in Deutschland die Klesmermusik mit einer niedergeschlagenen Stimung verbunden werde, statt mit fröhlicher Musik. »Aber sie kann nicht traurig sein«, sagt Wlady Ginzburg, der seine Staatsexamensarbeit zu diesem Thema schrieb.

Leben Die zwei erwachsenen Söhne musizieren nicht nur mit ihrem Vater, sondern sie wohnen auch alle mit ihren eigenen Familien in Mitte. »Wir wollen ja auch die Kinderwagen unserer drei Enkel schieben«, sagt Igor Ginzburg. Die Brüder treffen sich auch oft, um eine Runde Basketball zu spielen.

Sie selbst bezeichnen sich als »liberal gläubig«. Die Hohen Feiertage verbringen sie gemeinsam. So, wie sie ihre Religion gemeinsam leben, sind sie auch musikalisch einer Meinung. So sagen sie übereinstimmend, dass sie kein Interesse an Studioaufnahmen haben, es gibt nur Live-Mitschnitte. »Studio bringt uns eben keinen Spaß. Wir gehören auf die Bühne.«

Jom Haschoa

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