Porträt der Woche

Die Frontfrau

»Wenn ich die Hatikwa spiele, geht mir das durch und durch«: Yael Gat (30) lebt in Berlin. Foto: Chris Hartung

Ich war noch ein Kind, als ich mich für die Trompete als Instrument entschied. Immer zu Jom Hasikaron, wenn das ganze Land trauerte und der Gefallenen gedachte, stand ich da und war fasziniert von diesem Ton, dieser Klarheit und Würde, davon, wie dieses Instrument unserer Nationalhymne Glanz verleiht.

Und heute bin ich es, die die Hymne zum Leuchten bringen darf. Und zwar in Deutschland! Ich bin diejenige, die man zu bestimmten Anlässen holt, zum Beispiel, wenn die Münchner jüdische Community Israel feiert oder dessen gefallener Soldaten gedenkt. Ich und meine Trompete, wir stellen für die Menschen eine Verbindung her zu diesem 4000 Kilometer entfernten Land. Da gibt es dann schon Emotionen.

Und wenn mich Leute fragen: »Sag mal, Yael, wie bringst du so einen weichen, zarten Ton aus deinem Blechinstrument?«, dann sage ich: »Ich singe da hinein, und wenn es sein müsste, würde ich das auch mit einem Schlauch hinbekommen.« Muss ich aber nicht. Ich besitze mittlerweile neun Trompeten: einige, die einfach unterschiedlich gestimmt sind, dann eine Piccolotrompete, eine Taschentrompete, eine Plastiktrompete und eine Deutsche Trompete.

Meinen musikalischen Partner lernte ich bei einem »Weißwurst-Frühstück« kennen.

Was mich selbst einmal sehr berührt hat, war, als ich noch in der Armee war – in der Militärkapelle –, als wir zusammen nach Polen gereist sind, zu den Gedenkstätten Auschwitz, Majdanek und Treblinka. Ich war da natürlich auch schon einmal als Schülerin gewesen. Aber als Soldatin in Uniform, die an diesen Orten ganz alleine die Hatikwa auf der Trompete spielt, das geht einem schon durch und durch. Und jetzt bin ich hier. In Deutschland. Und zwar seit sechs Jahren. Erst in München und nun seit Kurzem in Berlin.

ORCHESTER Geboren wurde ich 1989 in Haifa. Eigentlich komme ich aus keiner Musikerfamilie, dennoch haben auch meine beiden Brüder Instrumente gespielt – der eine Posaune, der andere Saxofon und Gitarre. Bei mir wurde es dann also die Trompete.

Und dann wollte ich nach Berlin – auf die Musikhochschule Hanns Eisler. Das war der Plan. Es kam ein bisschen anders. Denn ich habe ein bisschen kalte Füße bekommen.

Als ich noch in der Armee war, spielte ich in der Militärkapelle.

Schule und Militär lagen hinter mir. Und jetzt also einfach nach Berlin? Und was ist mit der Sprache? Was mit der Aufnahmeprüfung? Lieber erst einmal Jerusalem. Und das wurde dann auch wirklich ein richtig cooles erstes Jahr als Studentin. Jerusalem. Dort studierte ich an einer Musikhochschule, die oben auf einem Berg liegt. Das hat schon etwas sehr Spirituelles. Ich habe dann später trotzdem gewechselt, bin nach Tel Aviv an die Buchmann-Mehta-Musikschule gegangen. Sie hatte einfach mehr Reputation, man hatte mehr Möglichkeiten, Stipendien zu bekommen.

Die drei Jahre Tel Aviv waren, was meine musikalische Laufbahn anbelangt, einfach großartig. Ich habe mit den israelischen Philharmonikern gespielt und mit dem Symphonieorchester Haifa. Mit dem Hochschulorchester waren wir in Brasilien, in der Schweiz und in New York in der Carnegie Hall.

Zubin Mehta hat uns dirigiert ebenso wie andere namhafte Dirigenten, und ich wollte zu diesem Zeitpunkt nichts anderes als Orchestermusikerin werden. Meinen Master wollte ich unbedingt in Deutschland machen und habe mich dort an einigen Musikhochschulen beworben.

EUROPA Warum ausgerechnet Deutschland? Na ja, ich schwankte zwischen Deutschland und den USA. Aber die USA waren so weit weg, pflegen so einen ganz anderen Klang, die Art zu unterrichten, ist so anders. Und Europa – Deutschland, Österreich, Italien – bleibt doch die Wiege der klassischen Musik.

Ich war also 24 und habe mich gefühlt bei 100 deutschen Musikhochschulen beworben – in Köln, Hamburg, Detmold, Karlsruhe, München. Aber nicht in Berlin. Wieder nicht in Berlin. Wieder fühlte ich mich noch nicht reif dafür. Die Aufnahmeprüfung bestand ich dann gleich an mehreren Hochschulen, darunter auch München. Es war Sommer, ich spazierte durch den Englischen Garten, durch Schwabing, und es wurde München.

In meiner ersten Unterrichtsstunde habe ich vor dem Professor irgendein französisches Stück gespielt, und er wusste so unheimlich viel darüber zu sagen – über die musikalischen Vorstellungen, Bilder, die von dieser Musik ausgehen. Und ich dachte: »Wow, davon will ich mehr haben.« Es hat alles gepasst: Ich bekam im Musikerwohnheim einen Platz, erhielt ein Stipendium – kein Wunder also, dass ich auch, als ich später angefragt wurde, ob ich ein Tutorenamt übernehmen will, auch hier gerne zugesagt habe.

tutorin Als Tutorin hilft man neuen Studierenden. Man beantwortet Fragen wie: »Wo muss ich hin, wenn ich das und das brauche?«, gibt per E-Mail Tipps und so weiter. Bei dieser Tätigkeit habe ich dann Simon Japha kennengelernt, einen Bayern. Er studierte Schlagzeug auf Bachelor. Aber er spielte auch richtig gut Akkordeon. Wir haben, das muss 2016 gewesen sein, bei so einem traditionellen »Weißwurst-Frühstück« gespielt, das es immer für die Erstsemester gibt. Und das, obwohl wir beide keine Weißwürste essen.

Wir haben ein deutsches Volkslied gespielt, ich vom Blatt, Simon hatte es im Kopf. Und dann, während einer kleinen Pause, kam Simon zu mir und sagte: »Ich weiß, dass du aus Israel kommst, und ich kenne da ein paar israelische Lieder, lass uns die doch mal zusammen spielen, du auf deiner Trompete und ich auf dem Akkordeon.« Und zu meiner Überraschung kannte er tatsächlich nicht nur die Gassenhauer wie Hava Nagila. Er war richtig zu Hause in der israe­lischen Volksmusik.

Vorn auf der Bühne zu stehen, gibt mir viel mehr, als irgendwo hinten im Orchester zu sitzen.

Wir haben uns anschließend zusammengetan: Ich habe auf der Trompete gespielt, aber ich habe auch gesungen, auf Hebräisch, und damit haben wir uns bei »Live Music Now« beworben.

Der Verein geht auf eine Idee von Yehudi Menuhin zurück. Er wollte damit Musik zu Leuten bringen, die keine Möglichkeit haben, zu Musikveranstaltungen zu gehen: Kranke, Alte, Menschen in Gefängnissen, Psychia­trien. Seit Menuhins Tod wacht der Verein über diese Idee, macht immer Castings an den verschiedenen Musikhochschulen, um neue Gruppen zu finden. Die Kommission hörte uns – und verliebte sich in uns.

PUBLIKUM Der Verein organisierte von da an alles Weitere. Letztes Mal spielten wir zum Beispiel in einem Altenheim – und wir Musiker bekommen dann auch so eine Art Stipendium für unsere Auftritte. Eine gute Sache also. Außerdem brachte das tatsächlich eine große Veränderung in mein Leben. Ich habe nämlich gemerkt, dass es unheimlich toll ist, vorn auf der Bühne vor den Menschen zu stehen, mit ihnen in Kontakt zu sein, und dass mir das viel mehr gibt, als irgendwo hinten im Orchester zu sitzen. Mein Publikum lässt sich zu Tränen rühren, wenn ich Hebräisch, Jiddisch oder Ladino singe, auch wenn es die Sprachen nicht versteht.

Mein erster Auftritt vor der jüdischen Gemeinde in München ist dadurch zustande gekommen, dass Anat Rajber, die hier die großen Veranstaltungen, Feste und Abende der Israelitischen Kultusgemeinde organisiert, meine Telefonnummer in der Tasche hatte. Und sie rief mich an. So spielten wir zum Beispiel zum Israel-Tag, zum Jubiläum am Jakobsplatz. Für den Zentralrat waren wir ebenfalls schon unterwegs.

TECHNO Und nun lebe ich also doch in Berlin. Auch hier freue ich mich auf Auftritte mit »Folkadu«, unserem Duo von »Live Music Now«. Mein Studium ist zu Ende, und ich will mehr im Berufsleben Fuß fassen und Feste, Bar- und Batmizwa-Feiern, Hochzeiten, Geburtstage und Feiertage mit meiner Musik bereichern. Aber klar, an München hänge ich immer noch.

Als ich hier in Berlin zum Beispiel am Christopher Street Day mit auf die Straße gegangen bin mit meiner kleinen Plastiktrompete, um zwischen all den feiernden Menschen ein bisschen Techno zu machen, da war auch eine Gruppe bayerischer Männer in Tracht unterwegs. Sie sind an mir vorbeigezogen und haben diesen typischen Landler gespielt. Ich hörte das, und es hat etwas mit mir gemacht. Das war total seltsam, und meine Bekannten, mit denen ich unterwegs war, haben gefragt: »Yael, was ist denn los? Deine Augen beginnen ja zu leuchten.«

Wovon ich aber wirklich träume, ist, mit meiner Trompete und meiner Gesangsstimme auf der ganzen Welt unterwegs zu sein – und zwar als musikalische Botschafterin für Israel und die jüdische Musik.

Aufgezeichnet von Katrin Diehl

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