Kommentar

Die Brit Mila bleibt!

Charlotte Knobloch: »Die Beschneidung ist Kern der jüdischen Identität – unentbehrliches Fundament des Glaubens.« Foto: Miryam Gümbel

Ich werde niemanden hindern, sein Kind beschneiden zu lassen. Im Gegenteil. Ich bestehe auf dem Recht der Eltern, ihre Kinder jüdisch zu erziehen und sie mit den Werten und Traditionen unseres Glaubens groß werden zu lassen. Betroffene Familien erfahren juristisch und finanziell meine volle Unterstützung. Zu dieser Klarstellung sehe ich mich genötigt, nachdem das Landgericht Köln die religiöse Beschneidung von Jungen als Straftat klassifiziert hat. Ein Dammbruch? Nicht wenige wähnen hierzulande das Ende der 4.000-jährigen jüdischen Praxis und damit eine seit 1945 beispiellose Einschränkung jüdischen Lebens in unserem Land.

Fundament Die Beschneidung ist kein Brauch. Sie ist Kern der jüdischen Identität – unentbehrliches Fundament des Glaubens. Diesen existenziellen, konstitutiven Charakter berücksichtigt der Richter absolut unzureichend. Das zeigen die Behauptungen, mit denen das Urteil begründet wird. Demnach handeln Eltern, die ihren Sohn aus religiösen Gründen beschneiden lassen, dem Kindeswohl zuwider – der vielleicht verletzendste Vorwurf gegenüber liebenden Müttern und Vätern.

Im Judentum hebelt der Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit alle religiösen Gebote aus. Wir brauchen keine Nachhilfe. Jüdische Eltern willigen in die Beschneidung ein, weil der Eingriff unschädlich, laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) sogar gesundheitsfördernd ist.

Die Auswirkungen entsprechen eher einer Impfung als einer Amputation, womit die rüdesten Kritiker die Beschneidung gerne vergleichen. Angesichts der elementaren religiösen Relevanz erscheint in der Güterabwägung die wie bei jeder Operation erfüllte tatbestandsmäßige Körperverletzung marginal. Nicht für den Kölner Richter. Er bestreitet, dass Eltern mit rechtfertigender Wirkung in die Beschneidung ihres Sohnes einwilligen können. Er verwehrt ihnen die grundgesetzlich geschützte Freiheit der Religionsausübung. Stattdessen mutet er ihnen zu, 14 Jahre abzuwarten.

Die Bibel (Genesis 17, 10-14) schreibt Juden vor, ihren Sohn am achten Tag beschneiden zu lassen. Dann ist die Prozedur mit einem kleinen Schnitt erledigt. Selbst wer in seinem Weltbild religiöse Normen ablehnt, kann von verantwortungsvollen Eltern nicht verlangen, den Akt in die Pubertät zu verschieben, wo gesundheitliches Risiko und psychische Belastung ungleich größer sind. Der Kölner Richter sieht indes weder eine unzumutbare Beeinträchtigung des elterlichen Erziehungsrechts noch eine unzulässige Grundrechtseinschränkung der Religionsfreiheit. Seine fragwürdige Argumentation blendet religiöse Aspekte in einer Weise aus, die mit dem rechtsstaatlich gebotenen Maß an Neutralität nichts mehr zu tun hat.

Deutschland ist säkular. Aber die Bundesrepublik ist weit weniger laizistisch als etwa Frankreich. In der Präambel des Grundgesetzes heißt es: »Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen (…) hat sich das Deutsche Volk (…) dieses Grundgesetz gegeben.« Im Kontext der folgenden Grundrechtsartikel wird deutlich, dass Staat und Gesellschaft auf einer christlich-jüdischen Wertebasis aufgebaut sind.

Mission Der Kölner Richter kriminalisiert jüdische Eltern, die ihrem Kind eine religiöse Heimat geben möchten. Mit ihm hat der von der Zirkumzision förmlich besessene Strafrechtler Holm Putzke endlich einen Mitstreiter gefunden. Seit dem Urteil touren Putzke und sein Ziehvater Rolf Dietrich Herzberg durch die Medien und verkaufen ihre Rechtsauffassung als die einzig logische und unbestrittene Wahrheit. Auf Phoenix sagte Herzberg, »ich will den Juden ihr Beschneidungsritual nicht wegnehmen«, fordert aber, »dass sie es in einer Weise läutern und sublimieren, dass es vereinbar wird mit den staatlichen Gesetzen.«

Auch Putzke will die Religionen zu einem »Bewusstseinswandel« animieren. Wir brauchen solche Belehrungen und Bevormundungen nicht. Die Beschneidung ist für uns nicht verhandelbar. Wäre sie so grausam, hätte der deutsche Rechtsstaat längst eingegriffen. Die Leichtfertigkeit, mit der zentrale Werte unseres Glaubens beiseite gewischt werden, offenbart einen religionsfeindlichen Zeitgeist, der Glauben als unmodern und unterdrückend diffamiert.

Mich stört auch die Oberflächlichkeit, mit der in der öffentlichen Diskussion vorschnell und undifferenziert die Vorgaben und Vorgehensweisen der unterschiedlichen Religionen in einen Topf geraten. Dies schadet der gesellschaftlichen und juristischen Lösungsfindung.

Neben Polemik sind zum Glück auch Stimmen aus Rechtswissenschaft und Politik zu hören, die zu Gelassenheit raten. Das Urteil, das Religionsfreiheit und Elternrecht ad absurdum führt, basiert auf der Auslegung eines Richters. Er folgt in fast allen Punkten den Quellen Putzke und Herzberg, denen in Literatur und Rechtsprechung heftig widersprochen wird. Auch künftig kann jedes Gericht anders entscheiden.

Die Verunsicherung ist jedoch bereits zu groß, und Deutschlands Ansehen leidet. Der Gesetzgeber oder das Bundesverfassungsgericht müssen diesen inakzeptablen Zustand der Rechtsunsicherheit beenden. Ich habe dieses Land im Vertrauen darauf wieder lieben gelernt, dass unsere Verfassung vom Leitbild des freien Menschen bestimmt ist. Das heißt laut Udo Di Fabio, ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht, »dass die Definition von Glück Sache der Menschen ist und dass sie in einer freien und offenen Gesellschaft sich selbst die Mittel beschaffen, um gut zu leben.« Staatliche Einmischungen sollen stets nur restriktiv erfolgen – strafrechtliche lediglich als ultima ratio.

Respekt Ich bin nicht bereit, nur ein Jota jüdischer Identität aufzugeben. Wir wollen das Beste für unsere Kinder, wenn wir sie in den Bund mit Gott einführen und in unserem Glauben verwurzeln. Ich fordere, dass wir Judentum so leben können, wie wir es verstehen, nicht wie andere es gerne hätten. Toleranz und Akzeptanz verlangen Respekt und Rücksicht. Diese freiheitlich-demokratischen Grundgedanken müssen unangetastet bleiben. Dann ist der Kölner Richterspruch kein Dammbruch, sondern nur ein umgestoßenes Wasserglas.

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