Zentralrat

»Die AfD hat verstanden, dass wir nichts mit ihr zu tun haben wollen«

Abraham Lehrer über den geeigneten Umgang mit Rechtspopulisten und 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland

von Michael Thaidigsmann  05.05.2021 10:34 Uhr

Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Abraham Lehrer Foto: Gregor Zielke

Abraham Lehrer über den geeigneten Umgang mit Rechtspopulisten und 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland

von Michael Thaidigsmann  05.05.2021 10:34 Uhr

Schüsse auf die Bochumer Synagoge, ein erneuter Anstieg der antisemitischen Straftaten: Ob ihm im laufenden Festjahr 1700 jüdisches Leben in Deutschland denn das Feiern vergangen sei, wollte Moderator Sascha Hellen zum Auftakt seines Instagram-Live-Talks am Dienstagabend von Abraham Lehrer wissen.

SICHERHEIT Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland zeigte sich ernüchtert darüber, dass jüdisches Leben weiter von Polizisten geschützt werden müsse. »Ich habe den Glauben daran verloren, dass ich es noch erleben werde, dass vor jüdischen Einrichtungen keine Polizei mehr stehen wird.«

https://www.instagram.com/p/COdg93jigwC/

Man dürfe auch nicht glauben, dass man den Judenhass in der Gesellschaft im Griff habe und er sich nicht weiter ausbreiten könne. »Es ist für die jüdische Gemeinschaft traurig, dass wir den Spaziergänger, der vor der Synagoge vorbeigeht, nicht einladen können, sich das Gotteshaus anzuschauen, so wie das bei Kirchen und Moscheen üblich ist, sondern dass er erst die ganzen Sicherheitskontrollen über sich ergehen lassen muss.«

Jeder Anschlag erzeuge eine gewisse Verunsicherung in der jüdischen Community. »Das bestimmt den Alltag jener, die zum Gottesdienst, zu einer Kulturveranstaltung oder zur Beratungsstunde in der Verwaltung kommen. Der Blick über die Schulter gehört einfach leider dazu.«

ZUSAMMENLEBEN Dennoch betonte Lehrer auch das Positive. »Es ist der jüdischen Gemeinschaft sehr wichtig aufzuzeigen, dass es über den Antisemitismus, die Schoa und die Pogrome im Mittelalter hinaus auch immer wieder Phasen eines gedeihlichen Zusammenlebens zwischen Juden und Nichtjuden gegeben hat. Die jüdische Gemeinschaft trägt einen großen Anteil daran, wie positiv diese Staatsform sich entwickelt hat, bis hin zu den demokratischen Strukturen, die wir heute so stolz bewachen, wenn die Bundesregierung uns wegen Corona Einschränkungen auferlegt.«

Am Instagram-Chat, den der Bochumer Journalist und Medienberater Hellen organisiert hatte, nahmen auch der FDP-Bundestagsabgeordnete Olaf in der Beek, der NRW-Landtagsabgeordnete Serdar Yüksel von der SPD, der Bochumer CDU-Kreisvorsitzende Fabian Schütz sowie die Kabarettistin und Schauspielerin Esther Münch teil.

Yüksel sagte, er habe sich nie ausmalen können, »dass nach den ausländerfeindlichen Anschlägen und Pogromen, die wir Anfang der 1990er-Jahre erlebt haben, eine solche Zeit nochmals kommen könnte.« Heute ginge die Gefahr von rechts nicht nur von Leuten »mit Springerstiefeln und Glatzen« aus, sondern – in Anspielung auf die AfD – von Politikern »in Anzügen und Krawatten, im bürgerlichen Gewand« in den Parlamenten. Das sei ein Armutszeugnis, so der SPD-Politiker.

AfD »Wir stellen fest: Anscheinend lernen wir doch nicht aus der Geschichte. Anders kann man das nicht beschreiben.« Er sei zwar nicht pessimistisch, aber durchaus in Sorge um die Demokratie, weil es fast täglich immer wieder Tabubrüche gebe.

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Fabian Schütz schlug in die gleiche Kerbe. »Wir haben einen Antisemitismus, einen Rassismus und eine Ausländerfeindlichkeit von hoch gebildeten Leuten, die bewusst die Geschichte leugnen.« Es sei nicht mehr Unkenntnis des Nationalsozialismus, die sich da manifestiere, sondern das Gegenteil: »Wir haben eine gebildete, bürgerliche, rechtsradikale Schicht, die genau weiß, was zwischen 1933 und 1945 passiert ist, was die Schoa ist, was die Pogrome im Mittelalter waren, und die trotzdem diese Gesinnung an den Tag legt. Das macht sie so gefährlich.«

Von Sascha Hellen gefragt, ob die AfD mittlerweile ihre Avancen an die Adresse des Zentralrats aufgegeben habe, erklärte Abraham Lehrer: »Wir haben seit Langem keine Gesprächsangebote von der AfD oder ihren Funktionären und Abgeordneten mehr bekommen. Da ist bei der AfD, glaube ich, die Erkenntnis durchgedrungen, dass wir wirklich nichts mit denen zu tun haben wollen und zu tun haben werden. Das haben sie verstanden.«

VERFASSUNGSSCHUTZ Die Überwachung der Partei durch den Verfassungsschutz nannte Lehrer »richtig« – auch wenn am Ende dabei herauskomme, dass sich die AfD nichts Böses im Schilde führe. »Wir haben nach wie vor Vertrauen in unserer Sicherheitsorgane«, sagte der Zentralratsvize, auch wenn es in jüngster Zeit einige Einzelfälle mangelnder Gesetzestreue bei Polizei und Bundeswehr gegeben habe.

Die Polizei müsse über jeden Zweifel erhaben sein, betonte auch Serdar Yüksel. Diejenigen, die einen Eid auf die demokratische Grundordnung geschworen hätten und sich nicht daran hielten, müssten aus dem Polizeidienst entfernt werden.

Der FPD-Politiker in der Beek pflichtete Yüksel bei. Eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz würde auch helfen, auf problematische Tendenzen bei der Polizei aufmerksam zu werden. Man müsse aber generell in der Gesellschaft wieder lernen, miteinander zu streiten und zu debattieren.

UNTERRICHT »Wir haben es verlernt, tolerant miteinander umzugehen«, so in der Beek. In den »digitalen Blasen« herrsche oft auch keine Debattenkultur. Der Bundestagsabgeordnete nannte in diesem Zusammenhang auch die lautstarke Diskussion um die Aktion #allesdichtmachen zahlreicher Schauspieler.

Esther Münch sagte, sie würde ungern auf die Barrikaden gehen – »da sind ja schon alle«. Kritisch äußerte sie sich zur Bildungspolitik. »Wir haben nicht mangelnde Bildung. Aber Unterricht verkommt etwas. Man könnte vor allem den Geschichtsunterricht erlebbarer machen – zum Beispiel durch Fahrten in ein ehemaliges Konzentrationslager.«

Gefragt, was er von Impfgegnern halte, die mit einem »Judenstern« am Revers auf Corona-Demonstrationen gingen, wurde Abraham Lehrer – Sohn zweier Holocaustüberlebender – deutlich. »Ich bin manchmal froh, dass ich da nicht vor Ort bin. Denn ich fürchte, sonst würden meine Emotionen überkochen.«

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