Jahrestag

Der Versöhner

Ignatz Bubis sel. A. Foto: dpa

Ignatz Bubis war ein Bauchmensch. Seine direkte, manchmal nicht ganz diplomatische Art machte ihn vielen Menschen sympathisch, handelte ihm aber auch viel Ärger ein. Er galt nach dem etwas spröden und mahnenden Zentralratsvorsitzenden Heinz Galinski, den er 1992 im Amt beerbte, als der Versöhner. Am 12. Januar wäre Ignatz Bubis sel. A. 85 Jahre alt geworden.

Bubis wurde in Breslau als jüngster Sohn einer Familie mit sieben Kindern geboren. Seine Mutter starb, als er 13 war. Sein Vater, mit dem er zusammen nach Treblinka deportiert wurde, überlebte das Vernichtungslager nicht. Auch ein Bruder und eine Schwester wurden ermordet. Bubis selbst überlebte Treblinka, wo er ab Ende 1944 in einer Munitionsfabrik arbeitete. Am 16. Januar 1945 wurde das Vernichtungslager von der Roten Armee befreit, da war Bubis 18.

Handel Er geht nach Deutschland. Der Handel wird sein Metier. Zuerst macht er Geschäfte in der Sowjetischen Besatzungszone, 1949 muss er wegen der Verfolgung durch die sowjetische Geheimpolizei in den Westen flüchten, da er des Schwarzmarkthandels mit großen Mengen Kaffees beschuldigt wird. In Berlin und Pforzheim betätigt er sich im Schmuck- und Goldhandel.

1956 kommt Bubis mit seiner Frau Ida, die er 1953 geheiratet hat, nach Frankfurt, wo er unter anderem ins Immobiliengeschäft einsteigt und 1969 Mitglied der FDP wird. Weil er im Westend alte Gründerzeitvillen abreißen lässt, um dort Bürohäuser zu bauen, zieht er sich den Hass der Hausbesetzerszene zu. Der Theater- und Filmregisseur Rainer Werner Fassbinder verarbeitet die »Häuserkämpfe« in seinem Stück Der Müll, die Stadt und der Tod. 1985 beteiligt sich Bubis an dem Protest gegen die Aufführung.

Gemeindezentrum Seit Längerem engagiert er sich in der Jüdischen Gemeinde und setzt sich für ein neues jüdisches Zentrum ein. 1986 wird er Mitglied des Gemeindevorstands, im selben Jahr wird das Zentrum eröffnet. »Es ist eine Stein gewordene Botschaft, die ins ganze Land hinein strahlt«, sagt Zentralratspräsident Dieter Graumann zum 25-jährigen Jubiläum im Dezember 2011. Anfangs als »gigantomanisch« verschrien, hätten die Zuwanderer aus den Ländern der GUS das Gemeindezentrum »sehr schnell mit Leben gefüllt«, fährt Graumann fort, an die Weitsicht seines Vorgängers zu erinnern.

Auch an der Zuwanderung der Juden aus der ehemaligen Sowjetunion hatte Bubis als Zentralratsvorsitzender großen Anteil. Und als es in den Anfangsjahren zu sehr hakte, weil »sowjetische« Mentalität und deutsche Bürokratenwirklichkeit sich manchmal nicht vertrugen, griff er beherzt ein. So ließ er es sich nicht nehmen, eine Gemeindeversammlung in Halle (Saale), in der es wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten hoch her ging, selbst zu leiten. Und wenn es nötig wurde, übernahm er auch die Übersetzung in Russische.

Bruch In allem, was er tat, war Bubis mit Leib und Seele dabei. Und als Martin Walser 1998 seine Rede in der Paulskirche über die »Auschwitzkeule« hielt, blieben nur Ignatz Bubis und seine Frau Ida wie erstarrt sitzen. Diese Rede wirkte wie ein endgültiger Bruch in seiner unverbrüchlich geglaubten Liebe zu Deutschland. Der Versöhner fragte sich, ob sein Wirken wirklich Sinn gemacht habe. Waren alle Freundschaftsbekundungen deutscher Politiker nur aufgesetzt? Mit diesem Zweifel starb er am 13. August 1999 – wie es schien, nicht nur am gebrochenen Leib. Der Tod kam nach langer Krankheit nicht unerwartet und erschreckte doch viele Juden wie Nichtjuden. Beerdigt wurde Bubis in Israel.

Noch auf dem Rückflug von der Trauerfeier, so erzählt Graumann, habe man beschlossen, das Frankfurter Gemeindezentrum nach Ignatz Bubis zu benennen. »Und jeder von uns wusste: ›Ja, so ist es richtig, so muss es sein.‹« Im Jahr 2000 wurde die Frankfurter Obermainbrücke in Ignatz-Bubis-Brücke umbenannt – ebenfalls ein steinernes Andenken an einen kleinen temperamentvollen Herrn.

Sachsen

Landesbeauftragter: Jüdisches Leben auch in Sachsen gefährdet

Die Hemmschwelle, in eine Synagoge zu gehen, sei größer geworden, sagt Thomas Feist (CDU)

 25.04.2024

Pessach

Vertrauen bewahren

Das Fest des Auszugs aus Ägypten erinnert uns daran, ein Leben in Freiheit zu führen. Dies muss auch politisch unverhandelbare Realität sein

von Charlotte Knobloch  22.04.2024

Pessach

Das ist Juden in Deutschland dieses Jahr am wichtigsten

Wir haben uns in den Gemeinden umgehört

von Christine Schmitt, Katrin Richter  22.04.2024

Bayern

Gedenkveranstaltung zur Befreiung des KZ Flossenbürg vor 79 Jahren

Vier Schoa-Überlebende nahmen teil – zum ersten Mal war auch der Steinbruch für die Öffentlichkeit begehbar

 21.04.2024

DIG

Interesse an Israel

Lasse Schauder über gesellschaftliches Engagement, neue Mitglieder und die documenta 15

von Ralf Balke  21.04.2024

Friedrichshain-Kreuzberg

Antisemitische Slogans in israelischem Restaurant

In einen Tisch im »DoDa«-Deli wurde »Fuck Israel« und »Free Gaza« eingeritzt

 19.04.2024

Pessach

Auf die Freiheit!

Wir werden uns nicht verkriechen. Wir wollen uns nicht verstecken. Wir sind stolze Juden. Ein Leitartikel zu Pessach von Zentralratspräsident Josef Schuster

von Josef Schuster  19.04.2024

Sportcamp

Tage ohne Sorge

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin und Makkabi luden traumatisierte Kinder aus Israel ein

von Christine Schmitt  18.04.2024

Thüringen

»Wie ein Fadenkreuz im Rücken«

Die Beratungsstelle Ezra stellt ihre bedrückende Jahresstatistik zu rechter Gewalt vor

von Pascal Beck  18.04.2024