Porträt der Woche

Der Autodidakt

«Während die Mitschüler auf dem Bolzplatz waren, habe ich autodidaktisch Programmiererfahrungen gesammelt«: Michael Movchin (25) Foto: Lydia Bergida

Porträt der Woche

Der Autodidakt

Michael Movchin ist Unternehmer und leitet den Studentenverband VJSB

von Gerhard Haase-Hindenberg  22.01.2023 10:04 Uhr

In meiner Schulzeit habe ich sehr viel Zeit vor dem Rechner verbracht und mir selbst technisches Wissen angeeignet. Während die Mitschüler auf dem Bolzplatz waren, habe ich autodidaktisch Programmiererfahrungen gesammelt. Als dann an der Schule Computerkurse angeboten wurden, kannte ich mich da nicht schlechter aus als die Lehrerin.

Bald schon war ich für sie eine Art Hilfsperson, die sie in diesem Kurs unterstützt hat. Diese Schulzeit fand in München statt, der Stadt, in der ich geboren wurde, aufgewachsen bin und auch heute noch lebe. Schon sehr früh habe ich mich selbstständig gemacht. Mit der Zustimmung meiner Eltern ging ich als 16-Jähriger zur entsprechenden Stelle bei der Münchner Stadtverwaltung, um mir behördlicherseits genehmigen zu lassen, dass ich als Minderjähriger ein Gewerbe gründen durfte. Ich habe dann als Freiberufler Webseiten gebaut.

alltag Mein Alltag sah oft so aus, dass ich nach der Schule entweder nach Hause zum Arbeiten oder zu Kunden gefahren bin. In einem Alter, in dem andere Zeitungen austrugen oder Schülerjobs hatten, verdiente ich ein super Salär. Meine Kunden haben so relativ günstig engagierte und motivierte Leistungen erhalten. Da war sicher nicht alles perfekt, weil ich mir das ja selbst beigebracht hatte, aber es war trotzdem ein klassisches Win-win-Business.

Meine Großeltern und Eltern waren aus der Sowjetunion gekommen, und dort ist es nicht erwünscht gewesen, eine Religion auszuleben. Von daher war meine Familie zwar jüdisch, aber eher säkular. Die Bedeutung der Feiertage kannte ich nur aus den Erzählungen meiner Oma. Aber dennoch waren wir auch damals schon Mitglieder der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, und die Eltern meines Vaters sind in der Gemeinde in Frankfurt.

Im Alter von zehn Jahren, vielleicht war ich auch ein bisschen jünger, bin ich zum ersten Mal im Jüdischen Jugendzentrum gewesen. In der Teenagerzeit besuchte ich es jeden Sonntag und machte mit bei den ganzen Aktivitäten. Das hat mir ganz wesentlich den jüdischen Blick auf die Feiertage vermittelt und auch Wissen über die Traditionen. Manches kannte ich schon von daheim oder vom Hörensagen, aber kaum die Hintergründe. Die wurden mir nun hier in unserem Jugendzentrum vermittelt.

machanot Irgendwann bin ich dann auch auf Machanot gefahren. Als Kind war ich nicht in Bad Sobernheim, später aber dann in Italien, in Bellaria, und das mehrere Jahre hintereinander. Natürlich war ich auch bei den Winter-Machanot. Als ich etwas älter war, sogar als Madrich.

Nachdem ich das Gymnasium absolviert hatte, entschied ich mich ganz bewusst dafür, nicht zu studieren. Schließlich hatte ich da schon seit einiger Zeit meine Firma und habe mich gefreut, dass ich nun nicht mehr nur den halben Tag dafür Zeit hatte, sondern einen ganzen Arbeitstag. Natürlich könnte ich das Studium noch nachholen, aber ich wüsste nicht, was mir das bringen sollte. Auf dem Feld, auf dem ich aktiv bin, geht es um die Leistung und um das, was man im Kopf hat. Auch um die Fähigkeit, mal um die Ecke zu denken.

In meinem Feld geht es um Leistung und auch um die Fähigkeit, mal um die Ecke zu denken.

Da gibt es viele Dinge, die man aus meiner Sicht nicht im Studium lernt. Ganz im Gegenteil. Ich sehe doch bei anderen Leuten, dass ihnen im Studium nicht wirklich das beigebracht wurde, was man im Berufsalltag braucht, um erfolgreich zu sein. Aber auch ohne Studium engagiere ich mich seit mehr als fünf Jahren im Verband Jüdischer Studenten in Bayern (VJSB), und seit drei Jahren bin ich dessen gewählter Vorsitzender.

Der 1947 gegründete VJSB ist keineswegs ein reiner Verband jüdischer Studierender in Bayern. Wir haben zwar auch viele Mitglieder, die an verschiedenen Universitäten in Bayern immatrikuliert sind, aber wir sind keine klassische Hochschulgruppe. De facto ist der VJSB eine Interessenvertretung von 18- bis 35-jährigen Jüdinnen und Juden in Bayern. Darunter sind viele Young Professionals, also junge Berufstätige, von denen einige nicht studierten, sondern stattdessen eine Ausbildung machten.

interessenvertretung Eigentlich wäre der richtige Name »Interessenvertretung der 18- bis 35-jährigen Jüdinnen und Juden Bayerns«. Aber der Name des Verbandes ist nun einmal so, wie er vor Jahrzehnten benannt wurde. Meinen Kenntnissen zufolge ist der VJSB übrigens die älteste Vereinigung dieser Art in Deutschland.

Als wir im vergangenen Jahr ein neues Logo erhielten, kam die Frage auf, ob der Name eigentlich noch zu dem passt, was wir sind. Aber wir haben uns dann aus zweierlei Gründen entschieden, den Namen beizubehalten. Zum einen, weil es einfach ein historisches Gut ist, das wir dankenswerterweise aufnehmen dürfen. Ich meine, wer wären wir, da den Namen zu ändern?

Und der zweite Punkt: Es gibt ja trotzdem die European Union of Jewish Students und die World Union of Jewish Students. Auch wenn wir keine Mitglieder sind, so korrespondieren wir mit den Verbänden und bringen uns ein bisschen ins Weltgefüge ein. Deswegen passt der Name dann auch ganz gut

fokus Als Vorsitzender des Verbandes lege ich seit jeher meinen Fokus darauf, uns politisch zu vernetzen; bei Politikern im Landtag, im Bundestag, im Stadtrat – um ein Ohr zu haben für die jungen jüdischen Belange. Diese Belange können manchmal durchaus ein bisschen anders sein als die der Gemeinde oder des Zentralrats, der natürlich ein starker Partner für uns ist. Aber wir dürfen durchaus eine andere Meinung haben als die, die uns institutionell fördern.

Jedenfalls ist genau diese politische Arbeit ein wichtiger Punkt meines Schaffens. Es ist mir ein persönliches Herzensprojekt, dass der VJSB jedes Mal, wenn gewählt wird, egal ob Kommunalwahl, Landtagswahl oder Bundestagswahl, junge Politiker, die für diese Positionen kandidieren, zu Diskussionsveranstaltungen einlädt.

Die politische Interessensbeteiligung empfinde ich unter unseren Mitgliedern deshalb als so wichtig, weil ich mitbekomme, dass man eben oft nicht so viel Interesse an der politischen Beteiligung hat. Politik und Wahlprogramme werden zu distanziert betrachtet. Deswegen ist es ein ganz wichtiger Aspekt meiner Vorstandsarbeit, Politik greifbar zu machen und die jüdische Perspektive dabei zu beleuchten, sodass wir junge Politiker mit diesen Fragen löchern können.

Gegner Der ehemalige Münchner Oberbürgermeister Christian Ude und ich werden wohl keine Freunde mehr. In meinem Kampf gegen den Antisemitismus, den ich nicht nur als VJSB-Vorsitzender öffentlich führe, hatte ich Ude schon vor Jahren zum Gegner. Damals habe ich eine Petition zur Umbenennung einer Straße initiiert, die nach dem Antisemiten Heinrich von Treitschke benannt ist.

Und im Moment sind wir Gegenpole in der aktuellen Debatte um die Inszenierung des Stückes Vögel von Wajdi Mouawad, das am Münchner Metropoltheater gespielt wurde. Ich hielt diese Inszenierung für höchst problematisch. Darüber haben auch die Jüdische Allgemeine und viele andere Zeitungen entsprechend berichtet. Da war Ude mal wieder auf der Gegenseite, aber das Theater hat die Inszenierung mittlerweile von sich aus abgesetzt.

Wir sind als VJSB, zusammen mit dem Jungen Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und anderen Initiativen, gegen den Karikaturisten Dieter Hanitzsch vorgegangen.

Wir sind auch als VJSB, zusammen mit dem Jungen Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und anderen Initiativen, gegen den Karikaturisten Dieter Hanitzsch vorgegangen. Der hatte in seinen Cartoons für die »Süddeutsche Zeitung« auf Stereotype zurückgegriffen, wonach die Juden extreme Macht hätten und alle anderen die Unterdrückten seien.

Als die israelische Künstlerin Netta Barzilai im Jahr 2018 den Eurovision Song Contest gewann, zeichnete er in »Stürmer«-Manier den israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu mit Hakennase, wulstigen Lippen und großen Ohren.

Ein Jahr später erhielt Dieter Hanitzsch den mit 5000 Euro dotierten Preis der Ernst-Hoferichter-Stiftung für sein Lebenswerk. Während wir draußen mit vielen Menschen in einem breiten Bündnis dagegen protestierten, hielt drinnen der Ex-OB Ude die Laudatio. Die »Süddeutsche« aber druckt Hanitzschs Cartoons nicht mehr. Der Kampf gegen den Antisemitismus bleibt wohl eine dauerhafte Aufgabe nicht nur des VJSB, sondern auch für mich ganz persönlich.

Aufgezeichnet von Gerhard Haase-Hindenberg

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