München

Denkmal für die Landjuden

Dass bayerische Geschichte auch jüdische Geschichte ist, lässt sich in der Reihe Studien zur Jüdischen Geschichte und Kultur in Bayern aus dem Berliner Wissenschaftsverlag De Gruyter nachverfolgen. Die gibt es seit 2007. Herausgeber der Bände sind die beiden Historiker Michael Brenner, Professor für Jüdische Geschichte und Kultur an der Universität München, und Andreas Heusler, im Münchner Stadtarchiv für Zeitgeschichte und jüdische Geschichte zuständig.

Zu den Bänden von Monografien, Biografien, Quelleneditionen, Studien zu einzelnen Zeitabschnitten und Regionen kam jetzt ein elfter, an die 700 Seiten starker hinzu, der einen Gesamtüberblick über die Jüdische Geschichte in Bayern liefert: Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Autor des schwergewichtigen Werks – fünf Jahre hat er daran gearbeitet – ist Rolf Kießling, von 1994 bis 2007 Inhaber des Lehrstuhls für Bayerische und Schwäbische Landesgeschichte an der Universität Augsburg.

Schuld Präsentiert wurde das Werk am 3. Juli an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität von der Abteilung für Jüdische Geschichte und Kultur sowie der Israelitischen Kultusgemeinde München (IKG). Bernd Sibler (CSU), bayerischer Staatsminister für Wissenschaft und Kunst, wies in seinem Grußwort deutlich darauf hin, dass Bayern in der Vergangenheit Schuld auf sich geladen habe, »und wir sind uns dieser Schuld bewusst«. Kießlings umfangreiche Abhandlung wertete er daher auch als Handreichung, »den besonderen Aufgaben, die wir in Bayern haben, besser nachkommen zu können«.

Die Anfänge jüdischer Geschichte in Deutschland verorten viele »irgendwo im Nebulösen«, sagt Josef Schuster.

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern, betonte die Bedeutung, jüdische Geschichte als historisches Geschehen zu begreifen, »das sich über alle Bereiche von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft bis zur Kultur erstreckte«. »Otto Normalbürger« würde jüdische Geschichte in Deutschland meist nur »im Zeitraum von 1933 bis 1945« wahrnehmen. Deren eigentliche Anfänge verorteten viele, so Schuster, »irgendwo im Nebulösen«. Aber gerade Unwissen, Wissenslücken seien es, die Vorurteile und falsche Schlüsse zur Folge hätten.

Wissen Vor der Schoa, beschrieb Schuster, seien im Gegensatz zu heute viele nichtjüdische Deutsche mit dem Alltag ihrer jüdischen Nachbarn vertraut gewesen. Es habe ein selbstverständliches Wissen gegeben. Aber auch dieses sei mit der Schoa »buchstäblich vernichtet worden«. Sich mit der jüdischen Historie zu beschäftigen, und das leiste Kießlings Buch, diene zudem dazu, gegen populistische Versuchungen gewappnet zu sein.

Auf den Versuch, bereits Anfang der 60er-Jahre mit einem Buch zur Geschichte der Juden in Bayern durch Wissen »Vorurteile abtragen zu helfen, das Gift des Hasses in Einsicht und Verständnis aufzulösen und zum Nachdenken anzuregen«, wie es in dem Vorwort hieß, wies Brenner hin. Er erinnerte damit an Stefan Schwarz’ in interessierten Kreisen verbreiteten Titel Die Juden in Bayern im Wandel der Zeit, der sich jedoch vor allem mit der Emanzipationsgeschichte des 19. Jahrhunderts befasst.

Quellen Stefan Schwarz hätte sich jedenfalls sicher darüber gefreut, sagt Brenner, »dass sich über ein halbes Jahrhundert nach seinen ersten Versuchen, nun ein angesehenes Mitglied der Historikerzunft daran machte, eine sich über alle Epochen erstreckende Geschichte der Juden in Bayern zu verfassen«.

Josef Kießling gab einen Einblick über die Komplexität und Dichte der jüdischen Geschichte in Bayern.

Dieses »angesehene Mitglied«, Rolf Kießling, gab dem Publikum dann einen ersten Eindruck dessen, was in seinem Werk an Wissen enthalten ist. Und obwohl er sich dabei mehr oder weniger auf eine Epoche, die des Landjudentums, konzentrierte, lieferte er einen einführenden Überblick, sodass seine Zuhörer einen Eindruck von der Komplexität und Dichte der Thematik erhielten, aber auch davon, welche Lebendigkeit bis heute von Quellen, Gemälden, Funden ausgeht, wenn man sie wissend und genau betrachtet. Das Landjudentum in seiner Ausprägung, das zeigte Kießling, war Folge eines Strukturwandels im 15. zum 16. Jahrhundert. Ausweisungen aus den Reichsstädten und Herzogtümern zerstörten funktionierende und vollgültige Kehillot.

Die Provinz trat als jüdische Landschaft in den Vordergrund. Juden lebten in Kleinstädten und Dörfern, in denen sich häufig Doppelgemeinden befanden, in denen neben jeder Kirche eine Synagoge stand, in denen »Juden aber eben auch zunehmende Integration in die kommunalen Strukturen« erfuhren. Detailliert beleuchtete Kießling für sein Publikum Momente jüdischer Geschichte in Bayern. Sein Buch wünscht man vor allem vielen Studierenden als Lesestoff.

Taglit

Zehn Tage, die bleiben

Vor 25 Jahren wurde die Organisation, die junge Leute nach Israel bringt, gegründet. In »Clärchens Ballhaus« wurde gefeiert

von Katrin Richter  22.06.2025

NRW

Fenster in die Gemeinden

Ein Marathon: Die Jüdischen Kulturtage Rhein-Ruhr bieten mehr als 80 Veranstaltungen in zehn Städten

von Helmut Kuhn  22.06.2025

Ethik

Zentralrat will sich für Schächten auf europäischer Ebene einsetzen

In manchen Ländern und Regionen Europas ist das Schächten verboten

 22.06.2025

München

Vor dem Vergessen bewahren

Experten diskutierten die Frage, inwiefern die biografische Forschung neue Perspektiven auf jüdische Geschichte und Kultur eröffnet

von Luis Gruhler  21.06.2025

Porträt der Woche

Die Stimme erheben

Yossi Herzka engagiert sich bei »KlimaStreik« und möchte Theaterdramaturg werden

von Gerhard Haase-Hindenberg  21.06.2025

Thüringen

Fundstücke mit Haken und Ösen

Erstmals und vorerst einmalig wurden in Erfurt vier neu gefundene Stücke aus dem mittelalterlich-jüdischen Schatz vorgestellt

von Esther Goldberg  20.06.2025

Jewrovision

»Wir hatten den Süßheitsfaktor«

Die Juze-Leiter Sofia aus Aachen und Lenny aus Köln über Gänsehaut, ihren ersten gemeinsamen Sieg und eine NRW-After-Jewro-Party

von Christine Schmitt  19.06.2025

Illustratorin

Gemaltes Augenzwinkern

Lihie Jacob erhielt den Jüdischen Kinderbuchpreis 2025. Ein Besuch bei der Künstlerin

von Alicia Rust  19.06.2025

Sicherheit

Spürbare Sorgen

Infolge des Kriegs mit dem Iran wurde der Schutz jüdischer Einrichtungen verstärkt. In Mannheim wurde schon die »Meile der Religionen« abgesagt. Wie stellen sich Gemeinden auf die neue Bedrohungslage ein? Wir haben nachgefragt

von Christine Schmitt  19.06.2025