Fotografie

Den Moment festhalten

Alexandra Nocke (l.) und Micha Bar-Am diskutieren über Bilder bekannter israelischer Fortografen. Foto: Marina Maisel

Der Blick auf den Strand von Tel Aviv kann aus unterschiedlichen Perspektiven erfolgen. Damit entstehen verschiedene Bilder. Dieser individuelle Blickwinkel be- schränkt sich nicht nur auf die Fotografie. Das wurde deutlich bei der Veranstaltung »Israel im Spiegel von Fotografie, Literatur und Theater. Eine Momentaufnahme«. Eingeladen dazu hatte in den Hubert-Burda-Saal des Gemeindezentrums am Jakobsplatz das Kulturzentrum der IKG. Ihre individuelle Schau auf Israel brachten an diesem Abend drei Kulturschaffende mit ganz unterschiedlichem Hintergrund und aus verschiedenen Generationen dem Publikum nahe: Micha Bar-Am, Nava Semel und Sara von Schwarze. Moderiert wurde das von projizierten Fotos begleitete Gespräch von der Kulturwissenschaftlerin Alexandra Nocke aus Berlin.

Magnum Micha Bar-Am kam 1930 in Berlin zur Welt. 1936 konnte die Familie nach Palästina emigrieren. Die Sprache seiner Kindheit war das schwäbisch gefärbte Deutsch seiner Mutter. Seine Kindheitsjahre hat er in Ulm verbracht, mit gelegentlichen Besuchen in Berlin. Seine ersten Fotos hatte der spätere Magnum-Fotograf in einem Kibbuz gemacht. Unter anderem arbeitete er als Israel-Korrespondent für die New York Times. Seine Bilder sind in Deutschland auch in den Zeitschriften Stern und Bunte erschienen. Von 1977 bis 1993 war Bar-Am Kurator für Fotografie des Tel Aviv Museums. Er selbst bezeichnet sich als visuellen Anthropologen. Nava Semel ist Tochter einer Auschwitz-Überlebenden und eine Schriftstellerin der »second generation«. 1954 in Tel Aviv geboren, studierte sie an der dortigen Univer- sität Kunstgeschichte. Die Schriftstellerin hat Gedichte ebenso geschrieben wie Theaterstücke und Romane – für Erwachsene und für Kinder. Ein zentrales Thema für sie ist die Frage nach dem Leben mit Erinnerungen. Sara von Schwarze schließlich wurde 1968 in München geboren. Kurze Zeit später übersiedelten ihre Eltern nach Israel. Heute ist sie Schauspielerin am Cameri-Theater, Beit Lessin und an der Habima in Tel Aviv. Und sie setzt sich ein für die Rechte von Frauen und Kindern. Wenn sie in München ankommt, fühlt sie sich stets »ein wenig nach Hause gekommen«. Sie lebt, wie sie sagt, zwischen allen Identitäten.

Koffer Für die gebürtige Israelin Nava Semel ist die Sprache ein wichtiges Element der Identitätsstiftung. Sie erinnert sich an ihre Großmutter, die ihr die Lorelei vorgesungen hat. Ihrer Mutter, die heute 88 Jahre alt ist, hat sie einmal die Frage gestellt, in welcher Sprache sie träume. Die Antwort war: Deutsch, Hebräisch und Jiddisch. Gefragt nach einem Foto, das für sie große Aussagekraft hat, wählte die Schriftstellerin eine Aufnahme von russischen Einwanderern. Es zeigt drei Generationen, die auf ihren Koffern warten – warten nicht nur auf einen Anschluss, sondern auch auf das, was ihnen die Zukunft bringen wird. Dabei spiegelt sich in jedem Gesicht eine andere Erwartungshaltung wider. Ihre Identität bekommt eine neue Wendung, eine neue Chance. Die Koffer beinhalten im Blick von Nava Semel auch die neue Freiheit. Sara von Schwarze hatte das Bild einer sogenannten Feld- oder Lagerhure gewählt. An diesem Foto fesselte sie die Frage, was daran echt oder gestellt sein mochte. War es eine jüdische Frau, war es eine deutsche Frau? Bei diesem Bild, so die Theaterfrau, komme es nicht auf die Nachricht an, sondern darauf, welche Geschichten es erzählte. Ihre Folgerung: »Wir alle können auch auf der anderen Seite des Zauns stehen.«

Blickwinkel Micha Bar-Am war in seinem Beitrag auf mehrere Fotografien eingegangen. Da war das Bild von den Einwanderern, die auf dem Balkon standen, dahinter das Bild von Theodor Herzl. Und da war das berühmte Foto von David Rubinger mit den Soldaten vor der Klagemauer nach der Einnahme Ost-Jerusalems 1967. Es habe genau dem Gefühl der Zeit entsprochen. Den Zeitgeist dahinter sollte man immer beachten. Ebenso unterschiedlich wie dieser ist auch der individuelle Blickwinkel des Fotografen. Das eingangs genannte Beispiel des Strands von Tel Aviv machte das deutlich: Einmal war dieser abgebildet mit dem Blick auf das Meer, ein anderes Mal war es der Sandstrand mit einer Vielzahl von Liegestühlen. Bilder von Bar-Am und anderen Fotografen, Bücher wie das jüngste von Nava Semel bei Jacoby & Stuart erschienene »Liebe für Anfänger« und Erzählungen auf der Bühne, wie sie die Theaterfrau Sara von Schwarze präsentiert, machen Entwicklungen und Akzentsetzungen bewusst. So war dieser Abend eine Momentaufnahme, wie der Untertitel versprochen hatte. Doch diese Aufnahme umfasste viele Momente – von der Generation der Großeltern der Podiumsteilnehmer bis heute.

Sicherheit

»Keine jüdische Veranstaltung soll je abgesagt werden müssen«

Nach dem Massaker von Sydney wendet sich Zentralratspräsident Josef Schuster in einer persönlichen Botschaft an alle Juden in Deutschland: Lasst euch die Freude an Chanukka nicht nehmen!

von Josef Schuster  17.12.2025

Deutschland

»Das Licht wird nicht erlöschen«

Trotz des Terroranschlags in Sydney lassen es sich viele Juden in Deutschland nicht nehmen, öffentlich Chanukka zu feiern. Ein Stimmungsbild

von Christine Schmitt, Helmut Kuhn, Nicole Dreyfus, Ulrike Gräfin Hoensbroech  17.12.2025

Interview

Holocaust-Überlebender Weintraub wird 100: »Ich habe etwas bewirkt«

Am 1. Januar wird Leon Weintraub 100 Jahre alt. Er ist einer der letzten Überlebenden des Holocaust. Nun warnt er vor Rechtsextremismus und der AfD sowie den Folgen KI-generierter Fotos aus Konzentrationslagern

von Norbert Demuth  16.12.2025

Magdeburg

Neuer Staatsvertrag für jüdische Gemeinden in Sachsen-Anhalt

Das jüdische Leben in Sachsen-Anhalt soll bewahrt und gefördert werden. Dazu haben das Land und die jüdischen Gemeinden den Staatsvertrag von 2006 neu gefasst

 16.12.2025

Bundestag

Ramelow: Anschlag in Sydney war Mord »an uns allen«

Erstmals gab es in diesem Jahr eine Chanukka-Feier im Bundestag. Sie stand unter dem Eindruck des Anschlags auf eine Feier zum gleichen Anlass am Sonntag in Sydney

 16.12.2025

Attentat in Sydney

»Was würden die Opfer nun von uns erwarten?«

Rabbiner Yehuda Teichtal hat bei dem Attentat in Sydney einen Freund verloren und wenige Stunden später in Berlin die Chanukkia entzündet. Ein Gespräch über tiefen Schmerz und den Sieg des Lichts über die Dunkelheit

von Mascha Malburg  16.12.2025

Berlin

Chanukka-Licht am Brandenburger Tor entzündet

Überschattet vom Terroranschlag in Sydney wurde in Berlin das erste Licht am Chanukka-Leuchter vor dem Brandenburger Tor entzündet. Der Bundespräsident war dabei

 15.12.2025

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  15.12.2025

Berlin

Straße nach erster Rabbinerin der Welt benannt

Kreuzberg ehrt Regina Jonas

 12.12.2025