Rezension

Das Klima wird rauer

Rezension

Das Klima wird rauer

In ihrem neuen Buch beschreibt Juna Grossmann ihre Erfahrungen mit Judenhass

von Jérôme Lombard  06.05.2019 14:16 Uhr

Für die Autorin Juna Grossmann gehören antisemitische Anfeindungen zum Alltag. Ihre Erfahrungen hat die gebürtige Berlinerin, die den Blog »irgendwiejuedisch.de« betreibt, in ihrem Buch Schonzeit vorbei – Über das Leben mit dem täglichen Antisemitismus aufgeschrieben. Auch ein Jahr nach seiner Veröffentlichung hat das Buch nichts an Aktualität verloren. »Ich hätte ja lieber über etwas anderes, etwas Schöneres geschrieben«, sagt Juna Grossmann im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen. Der Antisemitismus sei jedoch ein Thema, das ihr von außen aufgedrängt werde und »dem ich mich als jüdische Deutsche nun einmal nicht entziehen kann«.

Die Berichte beruhen auf Erfahrungen, die Grossmann in ihrem privaten und beruflichen Umfeld gemacht hat. Auch Erlebnisse, die ihr von Freunden zugetragen wurden, hat die Autorin einfließen lassen. »Auf der Straße bin ich als Jüdin nicht erkennbar«, sagt Grossmann. »Deswegen bin ich wahrscheinlich auch noch nie tätlich attackiert worden.« Für ihre männlichen jüdischen Freunde sehe das ganz anders aus. »Ich kenne keinen männlichen Juden, der nicht schon einmal aufgrund seiner Kippa bespuckt und körperlich bedrängt wurde«, erzählt sie.

Juna Grossmann möchte ihre Leser mit dem Buch wachrütteln.

BAYERN Die Autorin schildert Vorfälle wie jenen im Jüdischen Museum Berlin. Dort hatte Grossmann als Studentin eine Zeit lang als Mitarbeiterin in den Ausstellungsräumen gearbeitet. »Einmal kamen zwei ältere Männer einer katholischen bayerischen Reisegruppe auf mich zu, es war gerade ökumenischer Kirchentag in Berlin«, erzählt Grossmann. »Sie fragten mich zunächst relativ harmlos, warum denn jetzt die ganzen Juden nach Deutschland kämen.« Im weiteren Gesprächsverlauf habe sich gezeigt, dass die beiden Männer die Kontingentflüchtlinge aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunionen meinten.

»Das Gespräch spann sich dann immer weiter, bis die beiden irgendwann sagten, dass sie der Meinung seien, dass doch bitte schön alle Juden, also auch die in Deutschland geborenen, nach Israel gehen sollten.« Dieses Gespräch habe ihr zum ersten Mal »den Boden unter den Füßen« weggezogen. Dass jemand ihr abspricht, dort zu leben, wo sie geboren wurde und wo sie sich zu Hause fühlt, war ihr bis zu diesem Zeitpunkt noch nie passiert. »Ich habe sehr, sehr lange gebraucht, um über diese Begegnung hinwegzukommen.« So richtig verarbeitet habe sie das Erlebnis bis heute nicht. »Sonst hätte ich ja auch nicht darüber geschrieben«, sagt sie

Die Erfahrungen mit Antisemitismus aufzuschreiben und sie auf diese Weise mit anderen Menschen zu teilen, helfe ihr, sie zu verarbeiten. Juna Grossmann hat ihr Buch aber noch aus einem anderen Grund geschrieben. Sie will die Angst vor dem zunehmend rauer werdenden gesellschaftlichen Klima nicht akzeptieren.

»Ich bin eine unverbesserliche Optimistin, mein Berlin will ich mir nicht kaputt machen lassen«, sagt Grossmann.

OPTIMISTIN Die Autorin möchte ihre Leser wachrütteln. »Ich will mich nicht mit dem wachsenden Klima von Angst und Hetze abfinden«, sagt Grossmann. Die Berichte sollen jedermann zeigen, wie ernst die Lage sei, aber auch, dass man nicht den Kopf hängen lassen darf. »Ich bin eine unverbesserliche Optimistin, mein Berlin will ich mir nicht kaputt machen lassen.« Da sie die Hoffnung und den Glauben an die Vernunft nicht aufgeben will, engagiert sich Grossmann ehrenamtlich bei dem Projekt »Rent a Jew«, bei dem Juden in Schulklassen gehen und aus ihrem Alltag berichten.

»Bei Kindern und Jugendlichen kann man wirklich noch etwas bewegen«, ist Grossmann überzeugt. »Bei ihnen sind die Stereotypen und Ressentiments noch nicht so festgefahren wie bei den Erwachsenen.« Einmal war sie in einer Berliner Schulklasse, in der Sticker mit »Free Palestine«-Aufschriften und den Umrissen Israels in den Farben Palästinas an den Tischen und Stühlen klebten. Nach ihrem Besuch und mehreren engagierten Gesprächen der Lehrerin mit den Schülern über den Nahostkonflikt waren die Aufkleber irgendwann verschwunden.

Juna Grossmann: »Schonzeit vorbei – Über das Leben mit dem täglichen Antisemitismus«. Droemer Knaur, München 2018, 157 S., 14,99 €

Immobilie

Das jüdische Monbijou

Deutschlands derzeit teuerste Villa auf dem Markt steht auf Schwanenwerder und soll 80 Millionen Euro kosten. Hinter dem Anwesen verbirgt sich eine wechselvolle Geschichte

von Ralf Balke  28.12.2025

Geburtstag

»Der Tod war etwas Gegebenes«

Der Holocaust-Überlebende Leon Weintraub wird am 1. Januar 100 Jahre alt

von Gabriele Ingenthron  28.12.2025

Dating

Auf Partnersuche

Matchmaking mit Olami Germany – ein Ortsbesuch

von Jan Feldmann  23.12.2025

München

Ein kraftvolles Statement

Beim Gemeindewochenende nahmen zahlreiche Mitglieder an Diskussionen, Workshops und Chanukka-Feierlichkeiten teil

von Esther Martel  23.12.2025

Erfurt

Die Menschen halfen einander

Pepi Ritzmann über ihre Kindheit in der Gemeinde, ihre Familie und Antisemitismus. Ein Besuch vor Ort

von Blanka Weber  22.12.2025

Didaktik

Etwas weniger einseitig

Das Israel-Bild in deutschen Schulbüchern hat sich seit 2015 leicht verbessert. Doch der 7. Oktober bringt neue Herausforderungen

von Geneviève Hesse  22.12.2025

In eigener Sache

Die Jüdische Allgemeine erhält den »Tacheles-Preis«

WerteInitiative: Die Zeitung steht für Klartext, ordnet ein, widerspricht und ist eine Quelle der Inspiration und des Mutes für die jüdische Gemeinschaft

 24.12.2025 Aktualisiert

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  20.12.2025

Aufgegabelt

Apfel-Beignets

Rezept der Woche

von Katrin Richter  20.12.2025