Shani Leiderman

Das Gesicht des 25. Jüdischen Filmfestivals

»Ich stehe zwischen Tradition und Neuanfang – beides trage ich in mir«: Shani Leiderman (36) lebt in Berlin. Foto: Maria Ugoljew

Shani Leiderman

Das Gesicht des 25. Jüdischen Filmfestivals

Die 36-jährige Berlinerin ist Restaurantchefin und Patin der Kinotage

von Maria Ugoljew  09.09.2019 15:12 Uhr

Im Leben kommt alles, wie es kommen soll – daran glaube ich. Ich bin 36 Jahre alt und leite seit März das Restaurant »Beba« im Berliner Martin-Gropius-Bau. Hätten Sie mir vor 15 Jahren gesagt, dass das meine Berufung sein würde, ich hätte Sie wohl ungläubig angeschaut und mit dem Kopf geschüttelt. Auch, dass ich einmal Festivalpatin und Titelgesicht des 25. Jüdischen Filmfestivals Berlin & Brandenburg sein würde – »Come on, are you kidding?«, wäre sicherlich meine Antwort gewesen. Diese Dinge sind nun alle eingetreten, das ist ein unbeschreibliches Glück.

Seit 2012 wohne ich in Berlin. Die Stadt ist quirlig, so wie ich. Ich habe viele israelische Freunde, das macht das Leben hier noch angenehmer.
Ich komme gebürtig aus Kfar Saba, das liegt etwa 15 Kilometer nordöstlich von Tel Aviv. Meine Eltern und mein Bruder leben dort noch. Ich skype oft mit ihnen, so bleibe ich auf dem Laufenden.

Mit 21 Jahren bin ich von zu Hause ausgezogen. Mich hat Europa interessiert. In Amsterdam wollte ich Tanz und Theater studieren – und wenn ich mir etwas in den Kopf setze, dann bringt mich keiner so schnell davon ab. Klar, meine Eltern hatten sicherlich ihre Bedenken, trotzdem haben sie mich gehen lassen – und mich im Studium unterstützt. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar.

Den Sinn fürs Schöne habe ich von meiner Oma geerbt – wie auch die Liebe zum Kochen.

Die Jahre in Amsterdam möchte ich nicht missen. Neben Tanz und Theater habe ich mich mit Musik auseinandergesetzt. Ich habe dort mein künstlerisches Interesse ausgelebt. Ich war Teil einer Band, wir haben Konzerte gegeben und Performances gemacht. Eine tolle Zeit. Dann wollte ich etwas Neues ausprobieren – und bin nach Berlin gezogen.

INFARM Es hat etwas gedauert, bis ich hier beruflich Fuß fassen konnte. Unter anderem auch deshalb, weil ich Mutter geworden bin. Mein Sohn ist heute fünfeinhalb Jahre alt.

Nach der Elternzeit bewarb ich mich bei einem Start-up. Infarm nennt sich das Unternehmen, das Inhouse-Gewächshäuser herstellt, die in Supermärkten und Restaurants frisches Gemüse und Kräuter wachsen lassen. Als ich dort anfing zu arbeiten, waren wir zu fünft, saßen jeder mit seinem Laptop in einem Büro in Kreuzberg. Als ich 2018 aufgehört habe, waren es bereits 250 Mitarbeiter.

Ich habe dort aufgehört, weil ich mir vorgenommen hatte, ein eigenes Restaurant zu eröffnen. Eine Idee, die ich schon länger mit mir herumtrug. Bereits in Amsterdam habe ich neben meinem Studium als Köchin gejobbt und ein kleines Catering-Unternehmen gegründet. Ich war also kein unbeschriebenes Blatt. Mit einem Businessplan in der Tasche habe ich nach passenden Räumlichkeiten gesucht.

Eines Abends lernte ich auf einem Networking-Event Cynthia Barcomi kennen. Sie ist eine erfahrene Gastronomin und erzählte mir davon, dass der Martin-Gropius-Bau einen neuen Betreiber für das Res­taurant suchte. Eigentlich habe man ihr diesen Job angeboten, doch sie habe ihn abgelehnt. Sie versicherte der Museumleiterin allerdings, dass sie nach jemand Passendem Ausschau halten würde.

Soll ich das nun Zufall oder Schicksal nennen? Zwei Tage später saß ich mit Cynthia im Büro von Stephanie Rosenthal, der Museumsleiterin. Es folgten einige Kennenlern- und Verhandlungsgespräche. Das Test-Menü, das ich mit meiner Köchin Anat Barak entwickelt hatte, mein Konzept – es hat die Menschen überzeugt. Cynthia begleitet mich bis heute als Mentorin.

REMINISZENZ In meinem Restaurant gibt es jüdische Küche, mit Rezepten aus allen Ecken der Welt. Die Gerichte kommen leicht daher, die Vorbereitung fällt aber eher in den Bereich Slow Cooking. Zum Beispiel haben wir das Pulled Beef Sandwich auf unserer Speisekarte stehen, bei dem das Rindfleisch sechs Stunden lang gegart wird. Wir legen Gemüse ein, machen alle Soßen sowie das Fladen- und Hefebrot selbst.

Salate und Gewürze kommen aus den Infarm-Gewächshäusern. Die Vitrinen stehen direkt im Restaurant. Man kann den Pflanzen also beim Wachsen zuschauen.

Schon als Kind faszinierte mich, wie meine Eltern es schafften, 35 Gäste – oder mehr – mit dieser Lockerheit und Professionalität zu verköstigen.

Ich bin täglich im Restaurant. Wenn es die Zeit zulässt, schaue ich mir die Ausstellungen im Gropius-Bau an. Dass ich an einem so inspirierenden Ort arbeiten darf, ist toll. Ich liebe es, dieses Gebäude mit seiner beeindruckenden Architektur allein schon zu betreten. Ästhetik ist mir wichtig.

Diesen Sinn fürs Schöne – vielleicht habe ich ihn von meiner Oma geerbt? Sie hieß Beba, das Restaurant ist eine Reminiszenz an sie. Ich erinnere mich gern an meine Oma, sie lebte in Argentinien. Ich habe sie oft besucht.

Wenn ich bei ihr war, gab es immer etwas Leckeres zu essen. Der Kühlschrank war stets gefüllt. Sie liebte es, Gäste zu bewirten. Ich erinnere mich daran, wie sie – eine elegante Frau, adrett gekleidet, auch in der Küche trug sie Lippenstift – das Kochen wahrlich zelebrierte und nie den Blick fürs Detail verlor. Sie ist mein Vorbild im Leben.

GASTFREUNDSCHAFT Die Liebe zum Kochen hat sie an ihre Tochter, meine Mutter, weitergegeben. Aber wenn man es genau nimmt, liebt meine ganze Familie das Kochen, meine Eltern, mein Bruder, meine Cousins, einfach alle. Sobald wir zusammenkommen, wird über Essen geredet. Mit meinem Bruder kann ich das stundenlang machen.

Gastfreundschaft ist eine Familientradition. Schon als Kind hat mich fasziniert, wie meine Eltern es schafften, 35 Gäste – oder mehr – an eine Tafel zu holen und sie mit dieser Lockerheit und Professionalität zu verköstigen. Es artete nie in Stress aus. Beeindruckend, nicht wahr? Ich habe mir davon so einiges abgeschaut.

Meine Eltern wanderten 1976, als in Argentinien die Militärdiktatur an die Macht kam, nach Israel aus.

Sobald ich einen freien Tag habe, erwische ich mich dabei, wie ich Pläne fürs Kochen schmiede, zum Telefon greife und Freunde einlade. Dann gehe ich auf den Markt, kaufe frische Produkte ein, stelle mich in die Küche, gieße mir ein Glas Wein ein – auch das tat meine Oma gern – und fange an zu schnippeln.

Entweder ich improvisiere, oder ich koche nach einem Rezept, das meine Oma in ihrem Rezeptbuch niedergeschrieben hat. Wobei – am Ende kommt es fast aufs Gleiche hinaus, denn meine Oma hat gern Angaben im Stil von »and put a little bit of salt« gemacht. Wie die Mengenangaben gemeint sind, muss man also ausprobieren.

FESTIVALPATIN Das Restaurant sehe ich als mein verlängertes Wohnzimmer an. Wer hierher kommt, ist mein Freund und Gast zugleich. Ich gucke mir gern die verschiedenen Gesichter an, die Menschen sind aus der ganzen Welt. Aufgeregt bin ich, wenn Israelis darunter sind. Die wissen nun mal am besten, wie die Gerichte zu schmecken haben. Erst wenn es ihnen schmeckt, kann ich wirklich zufrieden sein.

Meine Aufgabe ist es nun, das Geschäft weiterzuentwickeln. Ich bin derzeit für 15 Mitarbeiter verantwortlich. Mir schwirren verschiedene Ideen im Kopf herum, zum Beispiel würde ich gern Veranstaltungen ausrichten oder ausrichten lassen. Einige Events gab es hier bereits.

Mein nächstes Highlight findet abseits der Gastronomie statt. Als Titelgesicht und Festivalpatin des 25. Jüdischen Filmfestivals Berlin & Brandenburg bin ich Teil der Eröffnungsgala am 8. September in Potsdam. Auf die vielen Filme freue ich mich ebenfalls. Ich könnte zwei Tage am Stück nur ins Kino gehen! Ob ich das neben meinen Job schaffe, ist eine andere Frage.

Dass ich das Festival repräsentieren darf, empfinde ich als Privileg.

Dass ich das Festival repräsentieren darf, ehrt mich. Ich empfinde es als Privileg. Eine Bekannte hat mich dort ins Spiel gebracht. Ich denke, es hat etwas damit zu tun, dass ich so eine Art neue jüdische Frauengeneration darstelle. Ich stehe zwischen Tradition und Neuanfang – beides trage ich in mir.

TRADITION Für meine Großeltern war Religion Teil ihres Alltags, sie lebten in einer jüdischen Community, gingen stets in die Synagoge. Meine Eltern, die beide eine jüdische Schule besucht hatten, schlossen sich hingegen der zionistisch-sozialistischen Bewegung an und wanderten 1976, als in Argentinien die Militärdiktatur an die Macht kam, nach Israel aus. Mein Bruder und ich, wir sind säkular aufgewachsen, Feiertage waren aber immer wichtig.

Ich bringe mein Jüdischsein heute mehr mit der Kultur, mit Tradition und dem Essen zusammen als mit Religion. Ich bin gespannt, wie mein Sohn das einmal leben wird. Wir sprechen Hebräisch zu Hause.

Ihm die Sprache mitzugeben, das war mir von Anfang an wichtig. Alle anderen Fragen klären wir, wenn er alt genug ist.

Aufgezeichnet von Maria Ugoljew

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