Berlin-Wilmersdorf

Das blaue Haus

Das Blau der Fliesen springt einem schon an der Straßenecke ins Auge. Noch versperren in der Westfälischen Straße hohe Gitterzäune den Eingang zur Baustelle, wo in Kürze der Pears Jüdischer Campus eingeweiht werden soll. Sergei Tchoban kommt im langen schwarzen Mantel, mit schwarzer Hose und schwarzen Schuhen zum Eingang.

Der Architekt wohnt in der Nähe und geht öfters vorbei, doch heute hat er noch einen weiteren Grund, er möchte einen Baustellenrundgang machen und sich ein eigenes Bild davon verschaffen, was schon fertig ist und wo noch Hand angelegt werden muss. Vor der blauen Fassade hält er inne. »Es ist ein langer Weg, bis so ein Bau abgeschlossen werden kann«, sagt er. Und immer gebe es Überraschungen, manches klappt besser als gedacht, anderes braucht mehr Aufmerksamkeit.

eingangsportal Aber die nachtblau-vio­lett glasierte Klinkerfassade ließe einen guten Zusammenhang zwischen dem blau-weiß verglasten Eingangsportal zum jüdischen Bildungs- und Kulturzentrum im vorderen Grundstücksteil entdecken. Die Bedeutung der Farbe Blau ziehe sich durch die Geschichte des Judentums bis in die Gegenwart: Der Farbton korres­pondiert mit der Farbe der göttlichen Offenbarung.

»Das Blau soll an den Himmel erinnern, denn im Judentum steht er für Israel«, sagt Tchoban. Zufällig kommt Rabbiner Yehuda Teichtal von der Jüdischen Gemeinde Chabad Berlin auch zum Eingang, denn er erwartet Politiker, um ihnen das Projekt vorzustellen. Der Rabbiner und der Architekt umarmen sich. »Dieses Haus soll hell und positiv sein, es zeigt die Zukunft des jüdischen Lebens«, sagt Teichtal. Und für ihn stehe das Blau auch dafür, dass alles ein stetiger Fluss ist.

Auf drei Säulen steht der Inhalt des Campus: Bildung, Sport und Kultur. Es werden ein Kino, eine Kita, Schulen und eine Turnhalle eingerichtet. Die Idee dafür hatte er vor Jahren. Allerdings wurde die Bauzeit immer länger, da die Pandemie die Arbeiten bremste. Die Grundsteinlegung war im Sommer 2018. Mehrmals musste die Eröffnung verschoben werden.

Der Architekt hat immer einen Stift zum Zeichnen dabei.

Die Kosten stiegen wegen der Verzögerung und den immer weiter steigenden Materialkosten von 25 auf 33 Millionen Euro, sagt Rabbiner Teichtal. Allerdings gibt es eine Etage mehr, als ursprünglich geplant war. 8000 Quadratmeter sind es geworden. Als sich die beiden vor ein paar Jahren trafen, erzählte Teichtal Tchoban von seiner Idee, einen Bildungscampus zu bauen. Der Architekt zückte sofort seinen Stift und fing an, Zeichnungen anzufertigen.

vision Er hatte von Beginn an eine klare Vision. Gemalt und gezeichnet hat der Architekt schon als Kind in St. Petersburg, wo er aufgewachsen ist. Seine Eltern waren beide Naturwissenschaftler. Nach der Schule überlegte er, Kunst zu studieren, wechselte dann aber doch zu Architektur. »Das Wesen eines Hauses interessierte mich doch mehr«, sagt er und geht jetzt rasch voran. 1991 zog es ihn nach Deutschland, mit dem Gedanken, dass er hier viel planen und bauen könnte – was er auch realisieren konnte.

An der Seite des Campus bleibt er stehen. »Die Mischung aus dem Grau der Metallpaneele und den blauen Fliesen wirkt«, sagt er. Dann betrachtet er den runden Bau und die weitere geschwungene Form. »Ein frei stehender Solitär. Es ist selten, so eine unpragmatische Form auszuwählen«, meint er.

Die Bauleiterin Jasmin Jesberger kommt freudig auf ihn zu. »Gut, dass Sie da sind, ich habe eine Frage. Können wir es uns kurz etwas anschauen?« Die beiden begutachten einen Abstand zwischen der Tür und der Fassade. Das Schwierige an dem Gebäude sind die geschwungenen Linien und die Rundungen. Das seien ganz andere Herausforderungen, als wenn man kastenförmig baue, sagt der Architekt. Gärtner sind schon dabei, die Außenanlagen anzulegen. Die Erde haben sie bereits ausgebracht, nun fehlen noch die Pflanzen.

zwischenstopp Das Problem konnte geklärt werden, jetzt schreitet Tchoban ins Innere. Über eine runde Treppe gelangt man in sieben Etagen. Bei der dritten Etage macht er einen Zwischenstopp, denn hier ist die zweigeschossige Turnhalle. Es riecht nach Eichenholz, das die Wände vertäfelt. Der Fußboden ist noch nicht im Endstadium, aber die Basketballkörbe hängen bereits, eine Lüftung ist eingebaut und die Metalldecke, die die Lampen schützt, fertig. »Das war wichtig, dass sie gut gesichert ist, sodass auch ein Ball gegen die Decke kommen kann, ohne dass etwas passiert.« Allerdings sei sie dadurch auch teurer geworden.

Viele Gespräche hätte es zur Gestaltung der Turnhalle gegeben, da dort eine multifunktionale Nutzung möglich sein sollte, Feste oder Versammlungen, kulturelle Veranstaltungen wie religiöse Feierlichkeiten oder Seminare und Konferenzen. Deshalb müsse sie so neutral wie möglich gehalten werden, erklärt Tchoban. Turnbänke, Sprossenwände und Barren sind schon da. »Aber die Fenster wirken schon sakral.«

Es geht nun hoch zu einem seiner Lieblingsplätze: die Terrasse. Doch davor noch einen kurzen Halt in der fünften Etage, wo der Kinosaal eingebaut wird. Dann gleich weiter. Von der Terrasse aus habe man einen guten Ausblick. Oben stößt er die Tür auf. Rabbiner Teichtal ist mit seinem Besuch ebenfalls da. »Das Wichtigste ist, dass der Bauherr Vertrauen zu seinem Architekten hat«, sagt Tchoban. Und das setze der Rabbiner in ihn. Vor 20 Jahren sind sie sich zum ersten Mal begegnet und seitdem befreundet. Die größte Auszeichnung sei für ihn, dass der Rabbiner ihn einfach machen ließe.

blockstadt »Schauen Sie, die umliegenden Häuser sind alle quadratisch.« Die Anordnung erinnere an eine Blockstadt. Zwischendrin stehen hohe Bäume. Aber auch hier sehe man Spuren des Krieges, weil Gebäude zerbombt und durch neue ersetzt wurden. »Berlin hat eine spannungsgeladene Geschichte.« Und der Campus gebe nun dank seiner Frische und seinem Glanz eine neue Kraft – die des jüdischen Lebens.

Auch die Fläche für die Kita wurde größer. Eine weitere Etage kam dazu.

Es geht die Treppe wieder runter, zig Handwerker kommen ihm entgegen. Plötzlich stoppt Tchoban. »An dieser Stelle sollte eigentlich ein eher untergeordneter Raum sein, aber jetzt wird auf Wunsch des Rabbiners sogar eine Nutzung als Konferenzraum möglich sein«, sagt der Architekt. Es wird mehr Platz gebraucht. Auch die Quadratmeter für die Kita, die hier einziehen wird, wurden immer mehr, ebenso wächst die Schule.

lebensbäume Von der vorletzten Etage aus schaut er ins Foyer, das zweigeschossig ist und einladend luftig wirkt. Dort sollen Lebensbäume der Künstlerin Anna Nezhnaya aufgestellt werden. Aber der Hit in dieser Phase sei die spiegelnde Decke. »Das Foyer wirkt dadurch größer und erhabener.«

Nun noch kurze Blicke in den zukünftigen Speisesaal und die koschere Küche. Alles im grünen Bereich. Dann geht es wieder hinaus an die frische Luft. »Die Mauer vor dem Eingang wird noch mit Graffiti des Künstlers TOBO alias Tobias Friesike besprüht werden, damit sie nicht so grau wirkt«, sagt er. Er schaut sich noch einmal prüfend den Campus an: »Es war eine lange Geburt. Aber ich denke, es ist etwas geworden.«

Um nochmals 1,5 Millionen Euro für das Projekt zusammenzubekommen, läuft seit Sonntag, 4. Juni, eine Spendenkampagne. Jede Spende werde dabei in den 36 Stunden der Aktion nochmals verdreifacht. Weitere Infos: www.charidy.com/campus

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