Geburtstag

Danke!

Die Stofftiere hat Margot Friedländer von Schülern geschenkt bekommen, denen sie aus ihrem Leben berichtete. Foto: Christine Schmitt

Margot Friedländer ist eine elegante Erscheinung. Immer ist sie gut gekleidet, hat ein gewandtes Auftreten und wirkt sehr freundlich. Mit ihrem frischen und neugierigen Blick wendet sie sich anderen interessiert zu. Klein war sie schon immer, mittlerweile ist sie auch sehr zart. In diesen Tagen – am Sonntag, dem 5. November, feierte sie mit Freunden ihren 102. Geburtstag – erreicht man sie erst am Nachmittag, denn sie braucht die Vormittage, um sich vom Trubel auszuruhen. Zig Interviews hat sie gegeben und viele Leute empfangen.

»Margot ist eine beeindruckende Persönlichkeit, sie hat sich durch die furchtbaren Erfahrungen der Schoa nicht verbittern lassen, mit ihrem weiten Herzen liebt sie die Menschen, insbesondere die jungen Menschen«, sagt André Schmitz, ehemaliger Chef der Berliner Staatskanzlei und Kulturstaatssekretär, und ein guter Freund von ihr. Sie sei ein grandioses Beispiel dafür, dass man sich in jedem Lebensalter noch einmal neu erfinden könne. »Nach 60 Jahren ist sie in ihre Heimatstadt Berlin zurückgekehrt und hat uns allen die Hand zur Versöhnung ausgestreckt.« Dafür sei er ihr dankbar. Und Alt-Bundespräsident Joachim Gauck betont: »Sie ist uns allen Vorbild. Sie ist Versöhnerin und Mahnerin. Sie ist Aufklärerin und Mutmacherin. Für ihr unermüdliches Engagement bin ich ihr mit vielen Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes von Herzen dankbar.«

FREUNDE »Ich kann jetzt gerade nicht, die Jüdische Allgemeine ist bei mir«, sagt sie mit ihrer warmen, besonnenen Stimme am Telefon zu Bella, die mit ihr besprechen möchte, wann sie ihr das Essen für den Schabbat vorbeibringen kann. Freunde hat sie viele – darunter mancher Prominente, Politiker und Künstler.

Was sie beunruhigt, ist die aktuelle Situation in Israel.

»Ich rufe zurück.« Sie legt den Hörer auf und nimmt wieder Platz auf ihrem Sofa, auf dem auch viele Stofftiere platziert sind, die sie von Schülern geschenkt bekommen hat. Ihre Katze springt zu ihr und fordert Streicheleinheiten. Fotos von ihrem verstorbenen Mann stehen auf einem kleinen Tisch. Bücher liegen gestapelt auf einem anderen. »Es geht mir nicht mehr so richtig gut«, sagt sie. Das Herz mache ihr zu schaffen, und sie spüre, dass sie schwächer werde. Was sie beunruhigt, ist die aktuelle Situation in Israel. »Ich konnte es nicht glauben, dass so etwas nach dem Holocaust noch einmal geschieht. Diese Bitterkeit, die darin zum Ausdruck kommt.« Sie appelliere an die Menschlichkeit. »Hass ist etwas Schreckliches und bringt nichts.« Es gebe kein christliches, muslimisches oder jüdisches Blut. »Wir haben alle dasselbe.« Dass es irgendwann mal mehr keinen Antisemitismus mehr geben wird – das kann sie sich nicht vorstellen.

Lange unterhalten mag sie sich an diesem Herbstnachmittag nicht. »Ich habe alles über mein Leben gesagt, Sie können es doch nachlesen«, erklärt sie leicht erschöpft. Doch dann möchte sie doch erzählen, was sie bewegt: »Seit 13 Jahren gehe ich in Schulen und spreche zu Menschen. Das ist meine Mission. Was ich zu sagen habe, soll weiter gehört werden.« Solange sie könne, wolle sie für die sprechen, die es nicht mehr können. Nicht nur für die sechs Millionen Menschen, die man umgebracht hat, weil sie Juden waren, sondern für alle Menschen, die ermordet wurden. »Man ist mir dankbar für das, was ich tue. Warum habe ich die Anerkennung bekommen? Doch nicht für mich, sondern für meine Aufgabe!« Dann steht sie doch auf und holt Ordner mit Briefen. Geschrieben wurden sie von Kindern und Jugendlichen, in deren Schulen Margot Friedländer von ihrem Leben erzählt.

»Ich habe keine Angst. Das Leben hat mich geprägt.«

»Liebe Margot«, heißt es da, »ich finde dich toll und würde dir immer helfen, wenn du Hilfe brauchst«, so ein Schüler. »Manche nennen mich beim Vornamen, andere beim Nachnamen«, sagt Margot Friedländer. Allerdings fehle ihr mittlerweile die Kraft, die Briefe zu beantworten. Aber sie heftet sie ab. »Wir haben heute viel Spannendes und auch Schreckliches von der Geschichte im Unterricht erfahren. Ich muss sagen, dass ich es furchtbar finde, wie die Menschen behandelt worden sind«, heißt es in einem anderen Brief. Margot Friedländer hält ihre eigene Geschichte hoch. In ihrer Autobiografie Versuche, dein Leben zu machen berichtet sie, wie sie die Schoa überlebt hat.

»Es ist total zerfleddert, schauen Sie«, sagt sie. Viele Lesezeichen hat sie zwischen die Seiten gelegt, damit sie bei ihren Gesprächen in den Schulen immer sofort die richtigen Stellen findet. Ein anderes Buch rettete ihr während der Schoa das Leben: das Adressbuch, in dem die Namen von Freunden und Bekannten notiert waren, die ihr helfen würden. Ihre Mutter konnte noch eine Handtasche mit diesem Adressbuch und einer Bernsteinkette bei Nachbarn deponieren, bevor sie sich der Polizei stellte, um ihren Sohn Ralph zu begleiten, der von der Gestapo gefangen genommen worden war. Und die Nachbarn übermittelten Margot auch die Nachricht ihrer Mutter: »Versuche, dein Leben zu machen« – diese Worte wurden ihre Lebensmaxime. Die Bernsteinkette trägt sie bei ihren Lesungen in den Schulen.

Margot fand verschiedene Verstecke. Doch im Frühjahr 1944 wurde sie verhaftet und nach Theresienstadt gebracht. Dort traf sie Adolf Friedländer wieder, den sie von ihrer Arbeit als Kostümschneiderin beim Jüdischen Kulturbund kannte, wo er Leiter der Verwaltung war. Margot und Adolf heirateten und reisten 1946 per Schiff nach New York. Dort nahmen sie die amerikanische Staatsbürgerschaft an und schrieben ihren Nachnamen nun »Friedlander«. »Wir sind trotzdem Europäer geblieben«, berichtet sie. Sparsam seien sie gewesen, hätten sich niemals Geld geborgt und außerdem viel deutsches Essen gekocht. Sie arbeitete in New York als Änderungsschneiderin und Reiseagentin.

1997 starb Adolf Friedländer. Nach seinem Tod besuchte sie einen Kurs für biografisches Schreiben. Eine ihrer ersten Geschichten handelt von ihrer Befreiung aus dem Konzentrationslager. In dem Kurs merkte sie, wie wenig die anderen über die Schoa wussten. »Das war der Moment, in dem ich beschlossen habe, dass ich meine Geschichte der Öffentlichkeit erzählen muss.« Vor 20 Jahren nahm sie eine Einladung des Berliner Emigrantenprogramms an und besuchte ihre Heimatstadt. Später entschied sie sich, zurückzukehren. Seit 2010 lebt sie wieder in Berlin und ist als Zeitzeugin aktiv.

STIFTUNG Viele Freunde kommen zu ihr. »Wenn ich in ihrer Gegend bin, rufe ich an und frage, ob es passt, dass ich kurz vorbeikomme. ›Klar, Mäxchen, komm rauf‹, sagt sie dann meistens«, so der Sänger Max Raabe, einer ihrer Freunde. »Sie berichtet mir dann von ihren Projekten, weiß immer, was in der Welt geschieht, und wenn ich ihr Persönliches erzähle, fragt sie noch nach Monaten präzise nach, wie der aktuelle Stand der Dinge ist.« Wenn man mit ihr spreche, sei ihr Alter sofort vergessen. »Margot sitzt im Sessel, streichelt ihre Katze oder beobachtet lächelnd das Tier, während es die Polstermöbel zerlegt.«

In den Tag hineinleben mag sie nicht. Jüngst hat sie die Margot Friedländer Stiftung gegründet. Zweitzeugen sollen mithilfe der Stiftung ihre Geschichte weitererzählen. Mit dem Preis, der ihren Namen trägt, werden Schülerprojekte ausgezeichnet. »Ich habe keine Angst. Das Leben hat mich geprägt. Nur wünschte ich, dass ich etwas jünger wäre«, sagt Margot Friedländer, und sie steht auf, um sich an der Tür zu verabschieden.

Das Dokudrama »Ich bin! Margot Friedländer« des Regisseurs Raymond Ley ist in der ZDF-Mediathek abrufbar.

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