Ausstellung

»Botschaften der Hoffnung«

Frau Hasson, »Coming Home Soon« ist ein Kunstprojekt. Was leistet ein Kunstwerk, was Politik oder politischer Aktivismus nicht können?
Kunst ermöglicht ein Storytelling mit Emotionen und schlägt Brücken auf der Gefühlsebene. Gerade bei so schrecklichen Ereignissen wäre das für den Einzelnen sonst sehr schwer. Deshalb wollen wir bewusst eine persönliche Verbindung schaffen, die Besucher sollen sich praktisch und empathisch beteiligen können. Ich war allerdings in der ersten Zeit nach dem 7. Oktober sehr verwundert, wie schnell und unbegründet die Kunstwelt sich auf eine Seite geschlagen hat. Ich konnte zum Beispiel nicht fassen, dass keiner meiner Künstlerfreunde, die sonst sehr für Frauenrechte eintreten, sich getraut hat, in der Kunst die sexualisierte Gewalt aufzugreifen.

Die Ausstellung ist eine Art Happening, das sich erst durch die Beteiligung des Publikums voll entfaltet. Was genau können, was sollen die Besucher tun?
Zu jedem der 220 Verschleppten liegt ein Buch vor. Wir laden die Besucher ein, in diesen Büchern zu lesen und Botschaften zu hinterlassen. Wer »Coming Home Soon« besucht, soll eine persönliche Verbindung zu den Entführten haben. Über die Lektüre, über eigene Texte oder Zeichnungen in den Büchern oder auch nur durch stille Reflexion kann jeder einzelne Besucher direkt mit ihnen in Verbindung treten. Mitten im öffentlichen Raum erlebt man etwas sehr Privates.

Sie betonen immer wieder, »Coming Home Soon« ist ein Gemeinschaftsprojekt. Wer steht noch hinter diesem Label?
Hinter »Coming Home Soon« steht ein reines Frauenteam. Grafikdesignerin Katya Morozkin ist Urheberin der bunten und doch sensiblen Bildsprache, Caren Pardovitch und Leslie de Swaan übernehmen Entwicklung und PR, Lilach Tal das Management. Zafrit Lewin ist für Content zuständig, Lorna Lewi für Texterstellung, Ilana Sussan für alles Operative und Tamar Shilo für die Pflege der Bücher. Dazu kommen noch viele weitere talentierte Frauen, einschließlich unserer neuen Teammitglieder hier in München.

Bereits im Winter wurde die Ausstellung an Ihrem Wohnort Amsterdam gezeigt. Wie haben die Besucher reagiert?
Das leere Blatt Papier ist eine heftige Aufgabe. Welche Worte richtet man an einen 85-Jährigen in Geiselhaft oder an eine junge Frau, von der man weiß, was sie Furchtbares erlebt hat? Die Reaktionen in Amsterdam waren entsprechend verschieden, von Tränen über Schweigen bis zu sehr persönlichen Botschaften. Es wurde schnell klar, dass so ein Projekt auch eine wichtige therapeutische Funktion erfüllt, sowohl kollektiv als auch individuell. Man kann dem eigenen Schmerz, aber auch dem Mitgefühl für die betroffenen Familien auf diese Weise Ausdruck verleihen.

Sie stammen aus Israel und leben inzwischen in Europa. Haben Sie das Gefühl, dass das Bewusstsein für die Situation der Geiseln in den vergangenen sechs Monaten hierzulande abgenommen hat?
Ich weiß nicht genau, wie es in Deutschland aussieht, aber in den Niederlanden habe ich den Eindruck, die Situation der Geiseln ist seit November mehr und mehr aus dem Blick geraten. Deshalb waren die Reaktionen auf das Projekt auch umso interessanter, viele Besucher, die die israelische Perspektive nicht direkt kennen, haben echte Aha-Momente erlebt. Viele hatten das Ausmaß der Tragödie rund um die Geiseln überhaupt nicht im Blick. Allgemein waren viele Menschen sehr überrascht über die Vielfalt der Entführten. Man konnte jedes Mal die Verwunderung beobachten, wenn die Besucher feststellten, dass unter den Entführten auch Muslime und Christen sind, dazu andere Nationalitäten. Da setzt dann ein Gefühl ein, das am Anfang so nicht da war. Mich hat zum Beispiel sehr bewegt, als ein Mädchen in einer Burka einen Kommentar für den 19-jährigen Soldaten Edan Alexander hinterlassen hat. Das war ein besonderer Moment.

Sie stehen mit den Familien der Geiseln in Kontakt. Welche Reaktionen auf Ihr Werk haben Sie erlebt?
Die Begegnung mit den Familien der Geiseln macht demütig. Wenn wir sehen, wie sie das Unvorstellbare verarbeiten und jeden Tag der Ungewissheit trotzen, dann gibt das auch uns Kraft für unsere Arbeit. Einige der Familien haben sich sehr aktiv in das Projekt eingebracht, haben Texte und Bilder geschickt und selbst Änderungen angeregt. Viele haben die Website des Projekts weiterverbreitet und Freunde und Verwandte zur Teilnahme aufgefordert. Natürlich finden nicht alle Familien diese Kraft, viele sind psychisch und physisch am Ende. Unsere ursprüngliche Befürchtung, dass vielen nicht genügend geholfen wird, hat sich traurigerweise oft bestätigt. Auch deshalb sammeln wir Botschaften der Unterstützung, der Hoffnung und der Zuneigung, um sie den Heimgekehrten hoffentlich bald überreichen zu können.

Was erhoffen Sie sich von der Ausstellung hier in München?
Mit der Ausstellung schaffen wir einen Rahmen für direkte und vorurteilsfreie Verbindungen zwischen Menschen. Es soll Platz für Empathie sein. Wir zeigen die Entführten als die Individuen, die sie waren und sind. Wir verstehen uns dabei als unpolitisch, unsere Sorge gilt den Unschuldigen in Gaza, die unter der Hamas-Terrorherrschaft leiden, genauso wie den Verschleppten. Aber wir weisen sehr klar darauf hin, dass die Heimkehr der Geiseln die Voraussetzung für alles Weitere sein muss. Erst wenn sie wieder zu Hause sind, wird ein wirkliches Gespräch möglich, das man dann mit Mut und Offenheit auf Grundlage unserer verbindenden Menschlichkeit führen kann.

Gab es einen Kommentar, der Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?
Sehr viele sogar, aber einen muss ich herausgreifen. Ori Danino sammelte während des Angriffs auf das Nova-Festival mit seinem Auto andere Gäste auf, anstatt sich selbst in Sicherheit zu bringen. Zu viert wurden sie am Ende nach Gaza entführt, zwei aus der Gruppe, Itay und Maya Regev, kamen Wochen später frei. Im Februar schrieb Itay in Oris Buch: »Ori, my brother, from the little I got to know you, I met a man, a hero. Stay strong, my brother. Iʼm doing everything to bring you back.«

Mit der israelischen Künstlerin sprach Leo Grudenberg.
»Coming Home Soon« ist im Saal der ehemaligen Karmeliterkirche (Karmeliterstraße 1) vom 13. bis 18. April täglich von 11 bis 18 Uhr zu sehen, am 17. April von 11 bis 20 Uhr. Mehr Informationen unter www.cominghomesoon.online

Chabad Berlin

Ein offenes Haus

Pears Jüdischer Campus: Seit einem Jahr ist die Bildungsstätte von Chabad in Betrieb – ein Besuch

von Pascal Beck  04.11.2024

München

Trauer und Sorge um Israel

Buchvorstellung: Der »Jüdische Almanach« beschäftigt sich mit dem Massaker vom 7. Oktober 2023 und dessen Folgen

von Nora Niemann  04.11.2024

Berlin

Eine Tora für Ohel Hachidusch

Dank Spenden konnte sich die Gemeinde eine neue Rolle leisten. Sie stammt aus den USA und wurde von der Soferet Esther Kontarsky restauriert

von Christine Schmitt  04.11.2024

Jewish Quiz

»Eine Riesen-Mischpacha«

Das Jugendzentrum Neschama aus München gewinnt den Wettbewerb in Frankfurt

von Eugen El  03.11.2024

Porträt der Woche

Vom Tramp zum Stammbeter

Georg Gabriel Potzies lernte Konditor, war Antiquitätenhändler und wurde religiös

von Frank Toebs  03.11.2024

Deutschland

Blick in die Zukunft

Laut der Shell-Studie sind Jugendliche beunruhigt über die Lage in der Welt, schauen aber dennoch überwiegend optimistisch auf die nächsten Jahre. Gilt das auch für Jüdinnen und Juden?

von Christine Schmitt  03.11.2024

Berlin

»Etwas Himmlisches«

Am Donnerstagabend wurden in Berlin kleine, glitzernde Tropfen der Hoffnung gefeiert. So war die Verleihung des achten Shimon-Peres-Preises

von Sophie Albers Ben Chamo  01.11.2024

Düsseldorf

»Die Schuld war individuell. Verantwortung aber ist von Dauer«

IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch hat an der Heinrich-Heine-Universität ihre erste Gastvorlesung gehalten. Wir dokumentieren sie im Wortlaut

 01.11.2024

Makkabi

Aus der Sukka zur Maccabiah

Im kommenden Jahr erwartet die Makkabäer der große Wettbewerb in Israel. Nun kamen die Athletinnen und Athleten zum Training zusammen

von Stefan Laurin  31.10.2024