Antisemitismus

Beängstigende Zahlen

Die Zahl der antisemitischen Straftaten ist in Bayern 2019 deutlich gestiegen. Wie das Innenministerium unter Bezug auf Erkenntnisse des Landeskriminalamtes (LKA) mitteilte, wurden im vergangenen Jahr 307 Fälle registriert. Das entspricht im Vergleich zum Vorjahr einem Zuwachs von 40 Prozent.

»Der bestmögliche Schutz der hier lebenden Jüdinnen und Juden ist uns außerordentlich wichtig. Das ist ein Kernanliegen bayerischer Sicherheitspolitik«, erklärte ein Sprecher des Innenministeriums. Mit Bezug auf die hohe Zahl antisemitischer Straftaten sprach er von einer »besorgniserregenden Entwicklung«.

Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG), sieht sich durch die Zahlen in ihren Befürchtungen bestätigt, auf die sie schon seit mehreren Jahren immer wieder hinweist. »Antisemitismus, Israelfeindlichkeit und Rassismus haben den rechten Rand verlassen und sind wieder bis in die Mitte unserer Gesellschaft hinein salonfähig geworden«, stellte sie wiederholt fest.

gewalt Der Mord an Regierungspräsident Walter Lübcke in Kassel, der Anschlag auf die Synagoge in Halle und jetzt das Blutbad in Hanau, alles innerhalb weniger Monate: Nicht nur die nackten Zahlen der Straftaten mit antisemitischem und/oder rassistischem Hintergrund explodieren, auch die Spirale der Gewalt dreht sich so schnell wie noch nie.

Der Sprecher des Innenministeriums wies darauf hin, dass die Polizei in Bayern antisemitische Vergehen mit hoher Priorität verfolge.

Eine erste Analyse der 307 in Bayern bekannt gewordenen Straftaten mit judenfeindlichem Hintergrund lässt die immer stärker werdenden rechten Strukturen innerhalb der Gesellschaft deutlich hervortreten. Bis auf wenige Ausnahmen werden alle Taten nach Einschätzung der bayerischen Sicherheitsbehörden dem rechten politischen Spektrum zugerechnet.

Der Sprecher des Innenministeriums wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Polizei in Bayern antisemitische Vergehen mit hoher Priorität verfolge. »Wir bekämpfen antisemitische Straftaten mit allen rechtlich und tatsächlich möglichen präventiven und repressiven Maßnahmen«, sagte er. Wichtig sei, dass möglichst alle Straftaten der Polizei auch gemeldet würden.

einschätzung Damit sprach der Vertreter des Innenministeriums indirekt die Einschätzung von Fachleuten an, die von einer hohen Dunkelziffer antisemitischer Straftaten ausgehen. Charlotte Knobloch hat das Phänomen der nicht beachteten Zahlen, die das Ausmaß von Antisemitismus in Form von Straftaten nur ungenau widerspiegeln, schon mehrfach thematisiert. »Die Gründe, warum viele Juden keine Strafanzeige stellen, sind unterschiedlich«, weiß sie aus vielen Gesprächen mit Betroffenen. Die Präsidentin selbst ist ständiges Ziel von Hassbotschaften und Verleumdungen in allen Formen.

Fachleute gehen von einer hohen Dunkelziffer antisemitischer Taten aus.

Eine Welle des Hasses erfasste sie und die jüdische Gemeinde, als sie im vergangenen Jahr in einer Rede vor dem Bayerischen Landtag scharfe Kritik an der AfD übte und einen konsequenteren Gegenkurs von Politik und vor allem auch der Gesellschaft forderte. Sie verwendete dabei den Begriff von einer notwendigen »Kultur des Hinschauens«.

thüringen Mit einem erheblichen Maß an Fassungslosigkeit verfolgte die IKG-Präsidentin deshalb auch den mehr als peinlichen Politpoker in Thüringen und die zumindest zeitweise Annäherung der FDP an die AfD. »Der Schaden, der dadurch entstanden ist, die Politikverdrossenheit, die dadurch weiter zunimmt, wird nur sehr schwer wieder zu beheben sein«, lautet ihre Einschätzung, mit der sie nicht alleine ist.

Umso zufriedener zeigt sich Charlotte Knobloch über die entschlossene Haltung von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, der als erster namhafter Politiker auf das unsägliche »Polit-Theater« in Thüringen reagierte, sich klar positionierte und jegliche Zusammenarbeit aller demokratischen Parteien mit der AfD als völlig inakzeptabel abgelehnt hatte.

Für Charlotte Knobloch ist Söders konsequente Haltung gegenüber der AfD angesichts eines allgemeinen Rechtsrucks ein Lichtblick.

afd Für Charlotte Knobloch ist Söders konsequente Haltung gegenüber der AfD angesichts eines allgemeinen Rechtsrucks ein Lichtblick, zugleich aber auch alternativlos. »Mit einer Partei zusammenzuarbeiten, in der ein Mann wie Björn Höcke, der als Neonazi und geistiger Brandstifter bezeichnet werden darf, eine führende Rolle spielt, das erinnert an den Beginn finsterster Zeiten in Deutschland«, lautet das kompromisslose Fazit der IKG-Präsidentin.

Ihrer Ansicht nach sind neue »Spielregeln« im Internet unumgänglich. »Hier werden Hass, Rassismus, Antisemitismus, Menschenverachtung und vergleichbare Parameter kreiert und nahezu ungefiltert verbreitet. Das muss unterbunden werden«, fordert IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch.

Wie der Sprecher des Innenministeriums erklärte, will das Landeskriminalamt bei der Auswertung und Analyse der mehr als 300 antisemitischen Strafverfahren ohnehin einen besonderen Blick auf die Hasspostings im Netz werfen.

Pessach

Auf die Freiheit!

Wir werden uns nicht verkriechen. Wir wollen uns nicht verstecken. Wir sind stolze Juden. Ein Leitartikel zu Pessach von Zentralratspräsident Josef Schuster

von Josef Schuster  19.04.2024

Sportcamp

Tage ohne Sorge

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin und Makkabi luden traumatisierte Kinder aus Israel ein

von Christine Schmitt  18.04.2024

Thüringen

»Wie ein Fadenkreuz im Rücken«

Die Beratungsstelle Ezra stellt ihre bedrückende Jahresstatistik zu rechter Gewalt vor

von Pascal Beck  18.04.2024

Berlin

Pulled Ochsenbacke und Kokos-Malabi

Das kulturelle Miteinander stärken: Zu Besuch bei Deutschlands größtem koscheren Foodfestival

von Florentine Lippmann  17.04.2024

Essay

Steinchen für Steinchen

Wir müssen dem Tsunami des Hasses nach dem 7. Oktober ein Miteinander entgegensetzen

von Barbara Bišický-Ehrlich  16.04.2024

München

Die rappende Rebbetzin

Lea Kalisch gastierte mit ihrer Band »Šenster Gob« im Jüdischen Gemeindezentrum

von Nora Niemann  16.04.2024

Jewrovision

»Ein Quäntchen Glück ist nötig«

Igal Shamailov über den Sieg des Stuttgarter Jugendzentrums und Pläne für die Zukunft

von Christine Schmitt  16.04.2024

Porträt der Woche

Heimat in der Gemeinschaft

Rachel Bendavid-Korsten wuchs in Marokko auf und wurde in Berlin Religionslehrerin

von Gerhard Haase-Hindenberg  16.04.2024

Berlin

Zeichen der Solidarität

Jüdische Gemeinde zu Berlin ist Gastgeber für eine Gruppe israelischer Kinder

 15.04.2024