»Versuche, dein Leben zu machen«, das sind die letzten Worte, die Margot Friedländer an einem Abend im Jahr 1943 von ihrer Mutter gehört hat. Nicht selbst – eine Nachbarin, zu der sich die junge Margot in die Skalitzer Straße begab, übermittelte sie ihr. Friedländers Mutter war zuvor mit ihrem Sohn und Margots Bruder Ralf zur Polizei gegangen, um sich zu melden. »Das sollen ihre Worte sein? Kalte Worte aus dem Mund fremder Leute.«
Gymnasien Noch heute muss Friedländer nach diesem Satz eine Pause machen. »Ein grausamer Satz«, wie sie später begriff. Ein Satz, der ihr Leben prägte, der als Titel auf ihren Memoiren steht, aus denen die 101-Jährige am späten Dienstagnachmittag im Bundesministerium der Finanzen vorliest.
Schülerinnen und Schüler von Berliner Gymnasien sind gekommen. Sie werden in der kommenden Stunde Passagen aus Friedländers Leben hören, die schmerzen. Sie werden Friedländers eindringliche Worte mit sich nehmen.
Es ist der Auftakt zur Reihe »Margot-Friedländer-Gespräch – Verantwortung weitertragen«, die zweimal im Jahr »im Sinne Margot Friedländers mit neuen Impulsen und Erinnerungen« stattfinden soll. »Erfahrene politische Führungspersönlichkeiten« sollen Gespräche führen über – ganz im Sinne der Lebensaufgabe Friedländers: »den unerlässlichen Einsatz für Freiheit, Menschenrechte und Demokratie«.
Eröffnet wurde diese erste Veranstaltung im Matthias-Erzberger-Saal von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP).
Vertrauen »Man ist ergriffen von der Nahbarkeit und der Herzenswärme, die Sie versprühen«, sagte Lindner, den »das Vertrauen, das Sie in uns, in ihre Zeitgenossinnen und Zeitgenossen setzen, niemals wieder hinzunehmen, was einst in deutschem Namen und von Deutschen getan worden ist«, berührte.
Es sei heute die gemeinsame Aufgabe aller, »die Erinnerung weiterzutragen, auch wenn immer mehr Zeitzeugen nicht mehr für das persönliche Gespräch zur Verfügung stehen«, betonte Lindner und zitierte die Historikerin und Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung, Stefanie Schüler-Springorum, mit den Worten, Erinnerungskultur sei Demokratie-Erziehung.
Und die solle auch im Bundesfinanzministerium praktiziert werden: »Nur wenn es uns gelingt, das aktuelle Zeitgeschehen zu spiegeln an den Erfahrungen der Geschichte und ihren Lehren, dann haben wir eine gute Zukunft, dann ist Mitmenschlichkeit gesichert.«
Hand Bevor Schülerinnen und Schüler vom John-Lennon-Gymnasium in Mitte oder von der Katholischen Marienschule in Potsdam ihre Fragen an Margot Friedländer stellten, erklärte Friedländer, warum sie mit 88 Jahren zurück nach Berlin kam: »Ich bin zurückgekommen, um mit euch zu sprechen, euch die Hand zu reichen. Und um euch zu bitten, dass ihr Zeitzeugen seid, die wir nicht mehr sein können. Es ist für euch, denn ich möchte nicht, dass jemals einer so etwas erleben muss, was wir erlebt haben. Das ist meine Mission geworden. Und das sage ich den Schülern: Wenn wieder etwas passiert, seid ihr dran.«
Ein Satz, den der beste Geschichtsunterricht in dieser Intensität nicht vermitteln kann.