Köln

Auflösung statt Feier

Dienst am Menschen: Karitative Arbeit steht in der Logen-Agenda ganz oben. Foto: imago

Final? Unser Stadium ist eher postfinal», sagt Miguel Freund und legt die Stirn in Falten. Der Versicherungsmanager kennt sich aus mit klinischen Begriffen, die Dramatik seiner Worte ist bewusst gewählt. Sein Befund gilt der Rheinland-Loge, der Kölner Filiale des B’nai B’rith. Miguel Freund ist Mentor der Loge und führt als solcher derzeit die Geschäfte. Bald ihr Nachlassverwalter zu werden, das möchte er verhindern. Bei der Neugründung der Rheinland-Loge 1991 war Freund bereits mit dabei. Und gerne würde er sich jetzt mit ersten Planungen für die 20-Jahr-Feier beschäftigen.

Doch es ist fraglich, ob die Loge ihr Jubiläum erleben wird. «Wenn wir nicht mehr als 40 aktive Mitglieder zusammen bekommen, stirbt die Loge aus», befürchtet Freund. Immer mehr Logenmitglieder zogen sich in den vergangenen Jahren altersbedingt zurück, Präsident Franz Rudolf Golling legte unlängst aus beruflichen Gründen sein Amt nieder. So kam es, dass im Laufe dieses Jahres bereits die Selbstauflösung der Rheinland-Loge beschlossen wurde. Doch so schnell wollte Miguel Freund nicht aufgeben. «Lasst es uns noch mal versuchen», forderte er den Vorstand auf.

Wohltätigkeit Würde die Loge aufgeben, es wäre der zweite Bruch in einer mehr als 120 Jahre alten Traditionslinie. 1888 hatten jüdische Bürger in Köln die Rheinland-Loge gegründet. Es war eine der ersten deutschen Dependancen des 1843 in New York gegründeten Bundes B’nai B’rith, zu Deutsch «Söhne des Bundes». Die ehrenamtliche Organisation verstand sich lose als konfessionell geschlossene, jüdische Variante der Freimaurer. Bruderliebe, Eintracht und innerjüdischer Wohltätigkeit hatte sich der B’nai B’rith-Orden verschrieben.

Wachsender Antisemitismus führte bald zu Logengründungen auch in Deutschland. Über 100 waren es in den 20er-Jahren. «Einen überaus günstigen Verlauf» habe die Entwicklung der Mitgliederzahlen genommen, «wahrhaft vorbildlich» sei der Betätigungsdrang der Mitglieder, so berichtet Isidor Caro in seiner Jubiläumsschrift von 1913 über das erste Vierteljahrhundert der Rheinland-Loge. 280 Mitglieder zählte sie damals. Ein durchaus elitärer Kreis Kölner Bürger traf sich monatlich im stattlichen Logenhaus in der Cäcilienstraße im Herzen der Innenstadt.

zerschlagung Dort, wo sich dieser Ausdruck jüdischen Bürgerstolzes befand, wird heute eine Verkehrsinsel von einer sechsspurigen Straße umspült. Wie alle der damals über 100 Logen in Deutschland wurde auch die Rheinland-Loge 1937 gewaltsam zerschlagen. Der Kölner Logensitz wurde als Ghettohaus vor der Deportation missbraucht.

Es sollte mehr als 50 Jahre dauern, bis an den brutal gerissenen Traditionsfaden wieder angeknüpft wurde. 1991 trafen sich 72 Mitglieder der Synagogen-Gemeinde Köln zur Neugründung der Rheinland-Loge. Damit sei man damals eine Mammutorganisation innerhalb der jüdischen Gemeinden gewesen, erinnert sich Freund. Hatten sich die Logenbrüder 1913 noch vorgenommen, die Beteiligung von Frauen auf längere Sicht «zu prüfen», waren bei der Neugründung weibliche Mitglieder selbstverständlich willkommen.

Das sind sie bis heute auf das Herzlichste; wie jedes Mitglied einer jüdischen Gemeinde über 25 Jahren, das bereit ist, aktiv mitzumachen – und den jährlichen Mitgliedsbeitrag entrichten kann und will. Der wurde gerade empfindlich gesenkt. Doch hat sich die Loge einen Rest an Elitebewusstsein bewahrt, und das versteht sich auch monetär.

Schließlich sind die Beiträge der Mitglieder kein Selbstzweck. Karitative Arbeit steht weiterhin ganz oben auf der Agenda. Unter den vielen bislang unterstützten Projekten sind die Kinder- und Jugend-Aliyah, Hilfe für Bedürftige im westukrainischen Lviv, oder man stattete die Kölner Synagogen-Gemeinde mit russischsprachigen Gebetbüchern aus. Der Wandel in der Gemeinde sei selbstverständlich auch in der Loge Thema. Dass man Israel gegenüber Verantwortung trage, das sei klar, sagt Miguel Freund. Doch genauso fühle man sich verantwortlich gegenüber der Gemeinde und ihren vielen neu zugezogenen Mitgliedern.

Die entschiedene Unterstützung für den Staat Israel ist aus dem Selbstverständnis der Rheinland-Loge nicht wegzudenken. Noch ganz anders war das 1897, als die Kölner Logenbrüder den Zionismus «auf das Schärfste verurteilten», wie die Chronik berichtet. Er galt ihnen als «unpatriotische und gefährliche Bewegung».

Altherrenklub Auf ein ansehnliches Programm in bald 20 Jahren können Miguel Freund und seine Logenbrüder und
-schwestern verweisen. Warum also diese Endzeitstimmung? Was schiefgelaufen ist, darüber ist sich Freund im Klaren. Als ehemaliger Präsident geht das auch auf sein Konto. Es sei nicht so gewesen, dass die Nachwuchsarbeit der Loge schlecht gewesen sei – sie fand einfach nicht statt. «Aber ein Verein kann nur überleben, wenn er sich ständig erneuert», sagt Freund. Schleichend drohte man zu dem Altherrenverein zu geraten, der man nie sein wollte.

Probleme mit einer auf den Kopf gestellten Alterspyramide kennt man nicht nur am Rhein. «Überall auf europäischer Ebene plagen die Logen Nachwuchssorgen», sagt Ralf Hofmann, Vizepräsident des B’nai B’rith in Europa und Chef der Frankfurter Loge. In 27 europäischen Ländern ist der Verband vertreten, allerorten wird über Mitgliederschwund geklagt. Das Potenzial sei bei den sechs Logen in Deutschland durchaus günstig, glaubt Hofmann. Schließlich seien die Gemeinden hierzulande in den letzten beiden Jahrzehnten stark gewachsen. Die Lage etwa der Frankfurter Loge ist denn auch solide. Um die 140 Mitglieder zählt man am Main, es ist neben der Münchner Loge die größte B’nai-B’rith-Filiale in Deutschland. Nicht zuletzt nach der Einrichtung einer Jugendkommission hat sich der Verein verjüngt.

Das soll nun auch in Köln gelingen. «Die jungen Leute müssen ran.» Und Miguel Freund zeigt sich zuversichtlich. Denn die Loge habe gerade den 35- bis 50-Jährigen viel zu bieten. Wer den studentischen Organisationen entwachsen sei und sich für jüdisches Vereinsleben interessiere, sei in der Loge gut aufgehoben. Die Chance, gleich richtig mitzumischen, ist zumindest da. Im Dezember steht die Wahl eines neuen Vorstandes, des «Beamtenrates» an. Es könnte die Neugeburt der Neugründung der Rheinland-Loge werden.

München

Anschlag auf jüdisches Zentrum 1970: Rechtsextremer unter Verdacht

Laut »Der Spiegel« führt die Spur zu einem inzwischen verstorbenen Deutschen aus dem kriminellen Milieu Münchens

 02.05.2025

Auszeichnung

Margot Friedländer erhält Großes Verdienstkreuz

Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer erhält das große Verdienstkreuz der Bundesrepublik. Steinmeier würdigt ihr Lebenswerk als moralische Instanz

 02.05.2025

Sehen!

Die gescheiterte Rache

Als Holocaust-Überlebende das Trinkwasser in mehreren deutschen Großstädten vergiften wollten

von Ayala Goldmann  02.05.2025 Aktualisiert

Berlin

Tage im Mai

Am Wochenende beginnt mit »Youth4Peace« ein Treffen von 80 jungen Erwachsenen aus 26 Ländern. Sie wollen über Frieden und Demokratie sprechen. Auch Gali und Yuval aus Israel sind dabei

von Katrin Richter  01.05.2025

Frankfurt

Zwischen den Generationen

2020 führten Jugendliche gemeinsam mit Überlebenden der Schoa ein »Zeitzeugentheater« auf. Nathaniel Knops Dokumentarfilm »Jetzt?« zeigt dessen Entstehung und feierte nun Premiere

von Eugen El  01.05.2025

Berlin

Für mehr Sichtbarkeit

Wenzel Michalski wird Geschäftsführer des Freundeskreises Yad Vashem. Eine Begegnung

von Christine Schmitt  30.04.2025

Hanau

Das zarte Bäumchen, fest verwurzelt

Vor 20 Jahren gründete sich die jüdische Gemeinde – zum Jubiläum wurde eine neue Torarolle eingebracht

von Emil Kermann  30.04.2025

20 Jahre Holocaust-Mahnmal

Tausende Stelen zur Erinnerung - mitten in Berlin

Selfies auf Stelen, Toben in den Gängen, Risse im Beton - aber auch andächtige Stille beim Betreten des Denkmals. Regelmäßig sorgt das Holocaust-Mahnmal für Diskussionen. Das war schon so, bevor es überhaupt stand

von Niklas Hesselmann  30.04.2025

KZ-Befreiungen

Schüler schreibt über einzige Überlebende einer jüdischen Familie

Der 18-jährige Luke Schaaf schreibt ein Buch über das Schicksal einer Jüdin aus seiner Heimatregion unter dem NS-Terrorregime. Der Schüler will zeigen, »was Hass und Hetze anrichten können«

von Stefanie Walter  29.04.2025