Dresden

An einem Tisch

Erstes Treffen von »Coexist« in Dresden: Muslime, Juden und Christen wollen sich besser kennenlernen. Foto: Karin Vogelsberg

An der Straße vor dem Marwa Elsherbiny Kultur- und Bildungszentrum in Dresden stehen Container für Papier und Altglas. Etwas nachdenklich blickt Hildegart Stellmacher, evangelische Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Dresden, auf die Behälter und sagt: »Ich stelle mir gerade vor, wie es wäre, wenn man dort auch einen Container für Vorurteile zu stehen hätte.« Gebrauchen könnte man so einen Sammelbehälter zur Entsorgung von Kleingeistigkeit auf jeden Fall, das stellen die Teilnehmer des Treffens der Gruppe »Coexist« an diesem Sommerabend in Dresden immer wieder fest.

»Coexist«, das ist ein Zusammenschluss von Religionsgemeinden in der Dresdner Innenstadt. Daran beteiligt sind die Jüdische Gemeinde zu Dresden, das Marwa Elsherbiny Kultur- und Bildungszentrum und die Evangelisch-Lutherische Kirchgemeinde Johannes-Kreuz-Lukas. Vor zwei Jahren hatten sich Vertreterinnen und Vertreter dieser Gemeinden zusammengeschlossen, um sich durch gemeinsame Veranstaltungen besser kennenzulernen und das friedliche Miteinander zu fördern.

Verschiebung Man will miteinander reden statt übereinander. An vier offenen Abenden pro Jahr geht es um religiöse, politische und soziale Themen. Gastgeber sind die beteiligten Religionsgemeinden im Wechsel. Weil die Corona-Pandemie dazwischenkam, konnte das erste Treffen in diesem Jahr erst Ende Juli stattfinden. Zum Schutz vor Ansteckung mit dem Virus traf man sich im Freien vor dem Marwa Elsherbiny Kulturzentrum in der Johannstadt.

Elena Tanaeva von der jüdischen Gemeinde sprach über die Geschichte der Synagogen in Dresden.

Um »Starthilfe« für die Gespräche zu leisten, beginnen die offenen Abende mit Impulsreferaten. Das Thema diesmal waren die Gotteshäuser in der Johannstadt. Hildegart Stellmacher berichtete von den Kirchen im Stadtteil vor und nach dem Zweiten Weltkrieg. Elena Tanaeva, jüdische Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, sprach über die Geschichte der Synagogen in Dresden. Vor fast 20 Jahren wurde die neue Synagoge am Hasenberg errichtet. Durch ihre geradlinige Architektur unterscheidet sie sich radikal von ihrer Vorläuferin, der Semper-Synagoge, die von den Nationalsozialisten zerstört wurde.

Die neue Synagoge setzt nun ein Zeichen für die Zäsur im jüdischen Leben vor und nach der NS-Zeit. »Ich bin mit Besuchen in der Großen Choral-Synagoge in St. Petersburg groß geworden und musste mich an das schlichte Gebäude in Dresden erst gewöhnen«, sagt Elena Tanaeva, »aber die Atmosphäre in der Synagoge ist sehr warm. Unsere Gemeinde fühlt sich wohl dort.«

Zwar liegt die neue Dresdner Synagoge nicht in der Johannstadt. Wohl aber das Provisorium, in dem die jüdische Gemeinde nach dem Krieg und bis zum Jahr 2001 zum Gebet zusammenkam: die Totenhalle auf dem jüdischen Friedhof in der Fiedlerstraße.

Provisorium Die Erfahrung, mit einem provisorischen Gebetshaus auskommen zu müssen, teilt die jüdische Gemeinde mit dem islamischen Kulturverein, der nach Marwa Elsherbiny benannt ist, jener Ägypterin, die 2009 im Dresdner Landgericht aus ausländer- und islamfeindlichen Motiven von einem Russlanddeutschen erstochen worden war.

»Es gibt hier Vorbehalte und ein großes Unwissen.«

Pfarrer Tobias Funke

Doch im Unterschied zur jüdischen Gemeinde ringt das Marwa Elsherbiny Kulturzentrum noch um den Bau eines Gotteshauses. Derzeit nutzen die Mitglieder des Zentrums für Gebete, soziale Programme und Bildungsangebote einen hellgrün getünchten Flachbau, der früher dem Energieversorger Drewag gehörte. Das Kulturzentrum hat bei der Stadt Dresden einen Bauantrag für eine Moschee gestellt, doch der wurde abgewiesen – aus planerischen Gründen und weil der Bauantrag unvollständig sei, heißt es seitens der Bauaufsicht.

Die islamische Gemeinde ist überzeugt, dass der Moscheebau in Dresden, wo AfD und Pegida viele Anhänger haben, politisch nicht gewollt ist. »Aber die Hoffnung stirbt zuletzt«, sagt Saad Elgazar, Vorsitzender des islamischen Kulturzentrums. Er unterstreicht die Bedeutung einer Moschee für die Muslime in der westlichen Welt: »Sie ist nicht nur ein Ort für das Gebet, sondern auch ein Treffpunkt, ein multikultureller Ort.«

Bezug nimmt der gebürtige Ägypter auch auf die Vorwürfe des Verfassungsschutzes, er stehe der als extremistisch eingestuften Muslimbruderschaft nahe. Das Amt beziehe sich dabei vor allem auf Facebook-Posts. Weiter heißt es beim Verfassungsschutz: »Einige seiner (Elgazars) Äußerungen in sozialen Netzwerken spiegeln zudem seine dezidiert antisemitische Grundeinstellung wider.«

AntisemitismusVorwurf Den Vorwürfen widerspricht Saad Elgazar – insbesondere dem Antisemitismusvorwurf. Den Dresdner Rabbiner Akiva Weingarten nennt Elgazar seinen Freund, und er betont: »Ich bin kein Antisemit.« Er habe auch nicht das Existenzrecht des Staates Israel infrage gestellt.

Das Verhältnis zwischen den drei Vertretern der Gemeinden, Akiva Weingarten, Saad Elgazar und Pfarrer Tobias Funke, wirkt harmonisch. Den Widerspruch gegen die Ablehnung des Moschee-Bauantrags haben die Mitglieder von »Coexist« gemeinsam verfasst. Zu ihren gemeinschaftlichen Treffen kommen Menschen, die gute Absichten verfolgen, offen für einen Austausch sind, andere Religionen achten und mehr darüber wissen wollen.

Außerhalb der Gruppe geht es nicht immer so tolerant zu, fast jeder weiß von Anfeindungen zu berichten.

Doch außerhalb dieser Gruppe geht es nicht immer so tolerant zu, das wird in den Gesprächen zwischen Muslimen, Christen und Juden sehr schnell deutlich. Rasch entspinnt sich ein lebhafter Gedankenaustausch auf Deutsch, Russisch, Hebräisch, Englisch und Arabisch. Die muslimischen Teilnehmer sind neugierig auf die Juden und haben viele Fragen, zum Beispiel: »Wie lebt es sich als Muslim in Jerusalem?« oder »Welche Feste feiert ihr?«.

Es geht um Antisemitismus in der islamischen Welt und um Diskriminierung von Muslimen in Deutschland – zweimal wurde die Fassade des Hauses mit Farbe beschmiert, einmal versammelten sich Rechtsextreme vor dem Gebäude, um das Freitagsgebet zu stören.

Pfarrer Tobias Funke meint, im atheistisch geprägten Ostdeutschland hätten alle Religionen einen schweren Stand. »Es gibt hier eine ›religiöse Unmusikalität‹ – Vorbehalte, aber auch großes Unwissen.«
Ein Gegenmittel könnte die gemeinsame Jugendarbeit der drei Religionsgemeinschaften sein, schlägt Funke vor. Schließlich gebe es mehr Verbindendes als Trennendes: »Wir sind alle Menschen, und wir glauben alle an Gott.«

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