Woche der Brüderlichkeit

Am Scheideweg

Die Buber-Rosenzweig-Medaille Foto: dpa

Mit seinem Motto zur Woche der Brüderlichkeit, »Mensch, wo bist Du? Gemeinsam gegen Judenfeindschaft«, hat sich der Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit 2019 die Bekämpfung von Antisemitismus auf die Fahnen geschrieben. Als Abwesenheit und Abwehr von Verantwortungsbewusstsein identifiziert Reinhard Kardinal Marx, der Vorsitzende der Katholischen Bischofskonferenz, den grassierenden Judenhass.

Der Rabbiner, Historiker und jüdische Präsident des Koordinierungsrates, Andreas Nachama, spitzt die Formulierung zu und fragt in seinem Beitrag zum Themenheft: »Ist der Islam antijüdisch? Gehört der Antisemitismus zum Islam?« Ja und nein, antwortet Nachama, es gebe schließlich nicht »den« Islam, nicht »das« Christentum oder »das« Judentum, daher könne es auch nicht pauschal verurteilt werden. Es gebe antijüdische Christen, wie es antichristliche Juden gebe oder juden- und christenfeindliche Muslime.

Hoffnung »Wir können nur gemeinsam die Probleme dieser Welt lösen«, schreibt Nachama. Sein Vertrauen, dass dies geschehen kann, stützt er auf eine Aussage von Heinz Galiniski (1912–1992). Der Auschwitz-Überlebende und Vorsitzende des Zentralrats der Juden setzte auf das Prinzip Hoffnung und bezichtigte sich des positiven Selbstbetrugs.

Als Jude in Deutschland werde man immer als Vertreter Israels angesehen, berichtet Michael Rubinstein.

»Ich habe überlebt, indem ich mir etwas vorgemacht habe, Illusionen vorgegaukelt habe. Aber so habe ich mir selbst Mut eingeflößt in der vagen Hoffnung, vielleicht doch einmal herauszukommen«, zitiert ihn Nachama. Judenfeindschaft zu begegnen, hängt vom Umgang miteinander ab, so Nachama weiter. »Alle, die an einer besseren Welt mitwirken wollen, müssen in Chatrooms eintreten, Chatrooms des Dialogs zwischen Juden und Christen oder zwischen Christen und Juden oder auch des Tri-Dialogs von Christen und Muslimen einerseits und Juden andererseits.«

»Wir brauchen mehr Mut, Zivilcourage und vor allem eigenes Engagement«, fordert Michael Rubinstein in seinem Beitrag. Der Geschäftsführer des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein sieht den Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Besonders perfide sei er in der Form der Israelkritik. Als Jude in Deutschland sei man »gleichzeitig Israeli oder zumindest dazu berufen, sich als Vertreter des Staates Israel bitte Kritik an dessen Politik anhören zu müssen«.

Trialog Gerade heute benötige man »dringender denn je einen festen und womöglich auch konstituierten Dialog zwischen Juden und Christen, wie auch zwischen Juden und Muslimen und einen Trialog miteinander«. Antisemitismusbeauftragte und die Einrichtung von Meldestellen für antisemitische Vorfälle veränderten kein Bewusstsein und keine Geisteshaltung, betont Rubinstein. »Was wir dringend benötigen, ist eine Bildungspolitik, die sich den neuen Gegebenheiten anpasst.«

Dass Antisemitismus nie aufgehört hat zu existieren, betont der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland, Felix Klein. Doch heute sei er zu einem ernsten Problem geworden. Ein Problem, das die demokratische Gesellschaft in Gänze gefährde.

Gegen Judenhass helfe nur Bildung, Aufklärung und Zivilcourage, ist Katharina von Schnurbein überzeugt.

Antisemitismus sei schwer in Zahlen zu fassen, umso bedeutender sei die Einrichtung der Meldestellen. Sie ermöglichen, »dass die gleichen Kategorien verwendet werden, wenn antisemitische Vorfälle gemeldet werden«. Das bundesweite Meldesystem mit Anlaufstellen, in denen Opfer sich beraten lassen können, soll auch Hemmungen abbauen, Vorfälle überhaupt zu melden, so Klein.

Bildung Auch Katharina von Schnurbein, seit 2015 erste Antisemitismusbeauftragte der EU-Kommission, zeigt sich alarmiert. »Europa steht am Scheideweg«, schreibt von Schnurbein und nennt Orte und Länder in denen sich Judenhass in den vergangenen Jahren zeigte: Paris, Bonn, Berlin, London, Österreich, Ungarn, Bulgarien, Belgien, Spanien und Italien. »In Europa 2018 finden sich antisemitische Vorurteile, Diskriminierungen und Hass in allen Ausprägungen, in allen Ländern, in allen Schichten.«

Dagegen helfe nur Bildung, Aufklärung und Zivilcourage. Es sei daher wichtig, dass »nicht nur Geschichtslehrer im Laufe ihres Studiums etwas über Holocaust und Antisemitismus erfahren, sondern auch die angehenden Sport- oder Mathelehrer«. Antisemitismus kontaminiere die ganze Gesellschaft.

Dass sich der Koordinierungsrat in diesem Jahr diesem großen Thema stellt, ist eine Bürde, aber auch eine riesige Chance, gehört zu werden. Die feierliche Eröffnung zur Woche der Brüderlichkeit findet am 10. März in Nürnberg statt. In diesem Rahmen erhalten die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA) und das Netzwerk für Demokratie und Courage e.V. (NDC) die Buber-Rosenzweig-Medaille.  hso

www.deutscher-koordinierungsrat.de

Potsdam

Abraham-Geiger-Kolleg ordiniert zwei Rabbinerinnen

In Deutschlands größter Synagoge Rykestraße in Berlin-Prenzlauer Berg werden an diesem Donnerstag zwei Rabbinerinnen ordiniert. Zu der Feier wird auch Polit-Prominenz erwartet

 05.11.2025

Berlin

Davidstern-Gemälde an East Side Gallery beschmiert

Ein Gemälde an der bekannten East Side Gallery ist Ziel einer antisemitischen Schmiererei geworden. Der Tatverdächtige konnte gefasst werden. Bei der Begehung seines Wohnhauses fand die Polizei mehrere Hakenkreuze

 05.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 6. November bis zum 13. November

 05.11.2025

Auswärtiges Amt

Deutschland entschärft Reisehinweise für Israel

Nach Beginn des Gaza-Krieges hatte das Auswärtige Amt vor Reisen in Teile Israels gewarnt. Dies gilt so nicht mehr. Der Außenminister begründet das mit gewachsenem Vertrauen in den Friedensprozess

 04.11.2025

Würdigung

Margot Friedländer wird mit Sonderbriefmarke geehrt

Wie das Finanzministerium mitteilte, war die Sonderbriefmarke für Friedländer ein »besonderes Anliegen« von Bundesfinanzminister Lars Klingbeil

 04.11.2025

B’nai B’rith

»Wie eine große Familie«

Delegierte aus 20 Ländern kamen zusammen, um sich eine neue Organisationsstruktur zu geben

von Ralf Balke  03.11.2025

Berlin

Jüdische Gemeinde erinnert an November-Pogrome

Zum 87. Jahrestag der NS-November-Pogrome von 1938 werden am Sonntag ganztägig die Namen der im Holocaust ermordeten Berliner Jüdinnen und Juden vorgelesen. Bei einem Gedenken am Abend wird Berlins Regierender Bürgermeister sprechen

 03.11.2025

Gedenkstätten

Gedenkzeichen für jüdische Ravensbrück-Häftlinge

Zur feierlichen Enthüllung werden unter anderem Zentralratspräsident Josef Schuster, die brandenburgische Kulturministerin Manja Schüle (SPD) und der Beauftragte für Erinnerungskultur beim Kulturstaatsminister, Robin Mishra, erwartet

 03.11.2025

Porträt der Woche

Zufluchtsort Musik

Naomi Shamban ist Pianistin, lebt in Dresden und hat eine Schwäche für Märchenfilme

von Alicia Rust  03.11.2025