Pflege

Achtsamkeit als Prinzip

Betti Khaikiné (l.) und Dorothea Arnon leben im Nelly-Sachs-Haus. Foto: Alexandra Roth

Pflege

Achtsamkeit als Prinzip

Das Nelly-Sachs-Haus beteiligt sich an einem Wohlfahrtsprojekt

von Annette Kanis  25.09.2017 19:49 Uhr

Stress und Belastung bei den Fachkräften im Pflegebereich, in der Altenhilfe und ganz allgemein im Gesundheitswesen sind ein weit verbreitetes Phänomen. Häufig geht dies zulasten der Pflegebedürftigen und Bewohner von Senioreneinrichtungen. Dann wird der Umgangston ungeduldig bis ruppig. Es fehlt an Zuwendung und Aufmerksamkeit. Im schlimmsten Fall kann es zu Gewaltanwendung kommen.

Mit dem Modellprojekt »Achtsamkeitsförderung in der stationären Altenhilfe« versucht die Arbeiterwohlfahrt, genauer der AWO Bezirksverband Westliches Westfalen, hier ein Zeichen zu setzen und präventiv zu wirken. Die Jüdische Gemeinde Düsseldorf ist eine kleine, aber nicht unwichtige Partnerin für das Modellprojekt. Zwölf Einrichtungen der AWO sind involviert sowie das Düsseldorfer Elternheim Nelly-Sachs-Haus.

zusammenarbeit Bereits vor zwei Jahren war die AWO an die Düsseldorfer Gemeinde herangetreten und hatte angefragt, ob das Nelly-Sachs-Haus aufgrund seiner speziellen Ausrichtung externer Projektpartner werden möchte. Es war nicht die erste Zusammenarbeit. »Bereits beim Aufbau eines Wohnbereichs für Menschen jüdischen Glaubens in einem unserer Seniorenzentren haben wir schon einmal sehr konstruktiv zusammengearbeitet«, sagt Ulrike Weiß, Abteilungsleiterin Qualitätsmanagement beim AWO-Bezirksverband.

Bert Römgens, Leiter des Nelly-Sachs-Hauses, ergänzt: »Da in unserer Einrichtung Schoa-Überlebende wohnen, ist der Zugang zu den Bewohnern sensibilisierter als in einer nichtjüdischen Einrichtung.« Das Nelly-Sachs-Haus ist damit eine Modelleinrichtung mit Vorbildcharakter. »Ich glaube, dass wir einen empathischen und respektvollen Umgang mit den Bewohnerinnen und Bewohnern haben, den wir auch achtsam nennen können.«

konzept Ulrike Weiß arbeitete in Absprache mit Bert Römgens im vergangenen Jahr eine Projektkonzeption aus und reichte sie bei der Stiftung Wohlfahrtspflege ein. Diese befand das Projekt als förderungswürdig. Zwölf Seniorenzentren der AWO und das Nelly-Sachs-Haus beteiligen sich daran. Etwa 90 Mitarbeiter nahmen an den mehrtägigen Schulungen teil.

»Hierbei hat sich das gegenseitige Kennenlernen der unterschiedlichen Sichtweisen und der Auseinandersetzung mit Themen- und Fragestellungen als konstruktiv und bereichernd herausgestellt«, sagt Ulrike Weiß. Sie selbst habe durch den Kontakt mehr über das jüdische Gemeindeleben und von dem, was Gemeindemitglieder beschäftigt, erfahren. So mag es nicht nur der Projektleiterin gegangen sein. Alle Teilnehmer des Projektes besuchten das Nelly-Sachs-Haus und informierten sich vor Ort über das Elternheim.

Man traf sich in den vergangenen Monaten mehrmals in Arbeitsgruppen, aus allen Ebenen nahmen Mitarbeiter an den mehrtägigen Projektmodulen teil. »Achtsamkeit ist immer notwendig, nicht nur in der Pflege«, erläutert Bert Römgens. Sie zeige sich im Zwischenmenschlichen, im respektvollen Umgang miteinander, aber auch in der Achtung vor sich selbst. »Achtsamkeit ist auch im Alltag wichtig, aber sie ist besonders wichtig, wenn wir mit Menschen arbeiten, die Hilfe und Unterstützung brauchen.«

Entspannung So lernten die Mitarbeiter beispielsweise Entspannungsmethoden kennen, um dem Stress etwas entgegenzusetzen. Nur Mitarbeiter, die auf sich selbst achten und achtsam gegenüber sich selbst sind, können auch achtsam gegenüber dem anderen sein – so sieht es das Grundkonzept des Modellprojektes vor. Auch kommunikative Elemente sowie gruppendynamische Instrumente seien vermittelt worden.

Aktuell fand nun in diesem Zusammenhang auf Initiative der Düsseldorfer Gemeinde eine Podiumsdiskussion mit Vertretern aus verschiedenen Bereichen statt. Man habe das Thema des Projekts im gesellschaftlichen Kontext reflektieren wollen, so Bert Römgens. »Was passiert, wenn einer unserer Bewohner ins Krankenhaus kommt und auf eine Pflegekraft trifft, die ein Problem mit Juden hat?«, fragt der Heimleiter und verweist auf rechte Tendenzen in der Gesellschaft. Das Thema Achtsamkeit habe eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung.

Die ehemalige Familien- und Gesundheitsministerin Rita Süssmuth ging in ihrem Grußwort auf die Begrifflichkeiten von Achtsamkeit ein und verknüpfte sie mit dem ebenso wichtigen Aspekt der Wachsamkeit.

Verstetigung Die Theorie der Schulungsmodule soll jetzt auch zur Anwendung kommen. Derzeit läuft die Verstetigungsphase, in der bereits geschulte Mitarbeiter ihre Informationen und Erfahrungen an Kollegen weitergeben, sodass sich das Wissen und die Sensibilisierung für Achtsamkeit im Umgang möglichst weit verbreiten – nicht nur bei den Pflegekräften, die meist besonders gefordert sind, sondern in allen Bereichen der Einrichtungen.

Die Schulungen und ihre Umsetzungen werden von der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe wissenschaftlich begleitet. Die Ansätze zur Förderung der Achtsamkeit sollen später angepasst und weiterentwickelt werden. Das Interesse in anderen Verbänden an der Thematik sei groß, sagt Ulrike Weiß von der Arbeiterwohlfahrt. Es habe bereits mehrere Besuche von befreundeten Verbänden gegeben, und auch in Fort- und Weiterbildungen soll das Thema Achtsamkeit verstärkt aufgenommen werden.

Auszeichnung

Strack-Zimmermann erhält Janusz-Korczak-Preis für Menschlichkeit

Die FDP-Politikerin wird für ihre klaren Worte und ihr entschlossenes Handeln angesichts globaler Krisen geehrt

 29.06.2025

Erfurt

Ende eines Krimis

Seine Entdeckung gilt als archäologisches Wunder: Mehr als 25 Jahre nach dem Fund des Erfurter Schatzes sind vier weitere Stücke aufgetaucht

von Esther Goldberg  29.06.2025

Porträt der Woche

Heilsame Klänge

Nelly Golzmann hilft als Musiktherapeutin an Demenz erkrankten Menschen

von Alicia Rust  29.06.2025

Interview

»Wir erleben einen doppelten Ausschluss«

Sie gelten nach dem Religionsgesetz nicht als jüdisch und erfahren dennoch Antisemitismus. Wie gehen Vaterjuden in Deutschland damit um? Ein Gespräch über Zugehörigkeit, Konversion und »jüdische Gene«

von Joshua Schultheis, Mascha Malburg  29.06.2025

Solidarität

»Sie haben uns ihr Heim und ihre Herzen geöffnet«

Noch immer gibt es keinen regulären Flugbetrieb nach Israel. Wir haben mit Israelis gesprochen, die in Deutschland gestrandet sind. Wie helfen ihnen die jüdischen Gemeinden vor Ort?

von Helmut Kuhn  26.06.2025

Meinung

Mannheim: Es werden bessere Tage kommen

Wegen Sicherheitsbedenken musste die jüdische Gemeinde ihre Teilnahme an der »Meile der Religionen« absagen. Die Juden der Stadt müssen die Hoffnung aber nicht aufgeben

von Amnon Seelig  25.06.2025

Frankfurt

Lust auf jüdisches Wissen

Die traditionsreiche Jeschurun-Religionsschule ist bereit für die Zukunft

von Eugen El  23.06.2025

Interview

»Jeder hilft jedem«

Eliya Kraus über schnelle Hilfe von »Zusammen Frankfurt« und mentale Unterstützung

von Katrin Richter  23.06.2025

Leipzig

Tausende Gäste bei Jüdischer Woche

Veranstalter waren die Stadt Leipzig in Kooperation mit dem Ariowitsch-Haus

 23.06.2025