Hollywood

Zaddik im Pelz

Diese Woche neu im Kino: das Hollywood-Drama »Noah« mit Russell Crowe in der Hauptrolle Foto: Paramount

Die Welt, die wir da auf der Leinwand sehen, ist die schlechteste aller Welten: Es herrschen Gesetzlosigkeit und das Recht des Stärkeren. Die Umwelt macht ebenfalls einen sehr ausgezehrten Eindruck. In dieser Umgebung lebt Noach mit seiner Familie. So sieht es jedenfalls der Film Noah, der an diesem Donnerstag in den deutschen Kinos anläuft.

In dem Streifen kommt, aus dramaturgischen Gründen, Endzeitstimmung auf. Noach ist informiert über das baldige Ende der Zivilisation und beginnt mit dem Bau der Arche. Im Film ist die Arche, genau wie in der Tora, kein Schiff, sondern ein Kasten (hebräisch: Tewa). Aber anders als in der Tora bekommen im Film die Nachbarn Wind von der Sache, und Noach kriegt eine Menge Ärger: Jeder möchte sich einen Platz auf der rettenden Arche sichern – natürlich mit Gewalt. Das scheint der Fokus des Films zu sein: die Endzeitstimmung und das Handeln des Menschen angesichts ultimativer Verzweiflung. Wie die Geschichte ausgeht, wissen wir.

Spezialeffekte Eigentlich verwundert, dass der Stoff nicht schon längst mit bombastischen Spezialeffekten verfilmt wurde. Dass die Geschichte aus der Tora nur Vorlage für das Drehbuch ist, verwundert hingegen nicht, denn um einen Abend zu füllen, benötigt der Film ein paar andere Elemente, als sie die Tora enthält. Das Erzähltempo ist dort ein gänzlich anderes.
Betrachten wir also den Noach aus der Tora und schauen auf sein Hollywoodhelden-Potenzial: Von Noach wird gesagt, er ging mit G’tt und war in seiner Zeit ein gerechter und aufrichtiger Mann – ein Zaddik. Ihm wird verkündet, dass seine Generation in einer Flut sterben wird. Nur er und seine Familie würden gerettet werden.

Das Mittel dazu sei der Bau einer Arche. Noach zimmert sie, und als G’tt ihm sagt, er solle hineingehen, tut er es. Dann kommt die Flut. Noach harrt aus, und als die Wasser zurückgehen, wartet Noach, bis G’tt ihm sagt, er solle die Arche verlassen. Das tut er. Dass er während dieser Zeit irgendetwas sagt, ist in der Tora nicht überliefert. Sein einziger Satz ist: »Verflucht sei Kenaan! Ein Knecht der Knechte sei er seinen Brüdern« (1. Buch Mose 9,25). Noachs erster und letzter Satz ist also ein Fluch.

Die Situation dieser Äußerung ist sehr drastisch. Aus dem Gerechten, dem »Isch Zaddik«, wird ein »Isch Adama«, ein »Mann des Erdbodens«, der einen Weinberg pflanzt und, offensichtlich nackt, seinen Rausch ausschläft. Er ist nicht ansprechbar, seine Söhne bedecken seine Nacktheit.

Sturz Noachs Heldenpotenzial ist überschaubar und hat die jüdischen Weisen seit jeher beschäftigt. Der Sturz vom Zaddik zum »Isch Adama« könnte allerdings Thema eines Hollywooddramas sein. Noach – ein gebrochener Mann?
Schon allein die Formulierung »Noach ging mit G’tt« wurde als gewisse Einschränkung empfunden. Frei nach dem Midrasch (Bereschit Rabba 30,10) kann man auf eine Erfahrung verweisen, die Eltern machen: Solange ihre Kinder noch klein und unselbstständig sind, werden sie wollen, dass ihre Kinder mit oder neben ihnen gehen. Sind sie etwas älter, dann dürfen sie schon vorlaufen – so wie G’tt Awraham aufforderte: »Geh vor mir her!« (1. Buch Mose 17,1).

Auch Awraham wird verkündet, dass Menschen sterben werden, weil sie böse sind. Awraham aber wehrt sich dagegen und will nicht, dass Sedom untergeht. Er setzt sich für die Menschen ein, obwohl deren Schlechtigkeit bekannt ist.

Noach gehorcht zwar dem, was G’tt ihm sagt, aber das Ideal der Tora scheint eine gewisse Selbstständigkeit zu sein, das sehen offenbar auch die Rabbinen so. Als Noach feststellt, dass das Land trocken ist, bleibt er so lange in der Arche, bis G’tt ihm sagt, er dürfe aussteigen. Obwohl es keinerlei Einschränkungen zur Verweildauer in der Arche gegeben hat. Noach hätte auch schon zuvor entscheiden können, den Kasten zu verlassen. Er wartet jedoch auf das eindeutige Kommando. Rabbi Jehuda bar Ilai sagt im Midrasch (Tanchuma, Noach 13), er hätte an Noachs Stelle nicht darauf gewartet.

Noch mehr als für Awraham, der vor G’tt ging, gilt die Selbstständigkeit für Mosche. Ihm wird ein ähnliches Angebot gemacht wie Noach. Alle werden sterben – mit Ausnahme von Mosche: »Nun denn, lass mich, dass mein Zorn über sie entbrenne und ich sie vernichte; dich aber will ich zu einem großen Volk machen« (2. Buch Mose 32,10). Mosche jedoch lehnt ab.

verknüpfungen Überhaupt scheint Mosche eine Art Gegenmodell zu Noach zu sein. Es gibt auffällige Verknüpfungen zwischen den beiden, aber sie haben gegensätzliche Eigenschaften. Der Korb, in dem Mosche gerettet wird, wird in der Tora »Tewa« genannt. Mosche war 40 Tage auf dem Berg, Noachs Arche wartete nach der Flut 40 Tage. Aber im Gegensatz zu Noach, der vom Zaddik zum »Isch Adama« wird, strebt Mosche voran und wird von einem »ägyptischen Mann« (2. Buch Mose 2,19) zu einem »Mann G’ttes« (5. Buch Mose 33,1). So beschreibt es jedenfalls Rabbi Berechia in einem Midrasch (Bereschit Rabba 36,3).

Großbritanniens früherer Oberrabbiner Jonathan Sacks verweist gern darauf, wie Chassidim Noach sehen. Für sie ist er ein »Zaddik im Pelzmantel«. Man kann sich nämlich auf zwei Arten warm halten, wenn es kalt ist: einen Pelz tragen oder ein Feuer entzünden. Wenn man ein Feuer entzündet, können sich auch andere daran wärmen.

Zerstörung Mosche lehnt die Sicherheit der »Tewa« ab und versucht, möglichst viele Menschen zu retten. Noach ist mit seiner eigenen Rettung schon ganz zufrieden. Im Midrasch aus dem Sohar wird das überspitzt (Midrasch Hane’elam, Noach). Nach diesem Midrasch sei Noach entsetzt über die Zerstörung des Lebens, als er die Arche verlässt. Und er fragt G’tt, ob das barmherzig sei. G’tt stellt fest, dass es Noach doch nicht gestört habe, als er den Auftrag erhielt, nur für sich und seine Familie eine Arche zu bauen. Damals habe er auch nicht nach Barmherzigkeit gefragt, sondern sei zufrieden gewesen, dass er gerettet wird.

Zwei Probleme zeigt die Geschichte von Noach also auf. Erstens: Blinder religiöser Gehorsam gehört nicht zu dem, was das Judentum anstrebt. Und zweitens: Es ist gefährlich, sich nicht für andere zu interessieren, sondern sich mit der eigenen Rettung zufrieden zu geben. Wir sehen, komplexe und vielschichtige Stoffe eignen sich nicht unbedingt für einen Blockbuster, aber für eine interessante Diskussion.

Ki Tawo

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