Im Kibbuz Yad Mordechai, in unmittelbarer Nähe des Gazastreifens, befindet sich eine der größten Imkereien des Nahen Ostens. Hier werden jährlich etwa 2000 Tonnen Honig produziert, etwa ein Drittel des Bedarfs in Israel. Aus einem Bericht des israelischen Landwirtschaftsministeriums aus dem Jahr 2017 geht hervor, dass davon allein im Monat Tischri 1500 Tonnen Honig im Wert von 40 Millionen Schekel konsumiert werden. Denn zum jüdischen Neujahr steht die klebrige Süßspeise auf jedem Tisch.
Mit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 musste der Betrieb unterbrochen werden, doch schon im November wurde er wiederaufgenommen, trotz der Nähe zum Kriegsgebiet.
Mehrere Zertifikate belegen, dass der Honig aus Yad Mordechai koscher ist und keine Zutaten beigemischt wurden, die ein halachisches Problem darstellen könnten.
Doch wie kann es eigentlich sein, dass Honig überhaupt koscher ist? In der Mischna (Bechorot 1,2) wird die Regel formuliert, dass jegliches Produkt eines koscheren Tieres koscher ist, während ein Produkt eines unkoscheren Lebewesens eben nicht koscher ist. So ist Kuhmilch entsprechend den Speisegesetzen rein, weil Kühe koschere Tiere sind, während Kamelmilch es nicht ist, weil Kamele keine koscheren Tiere sind. Demnach sollte Honig ebenfalls nicht erlaubt sein, weil er von Bienen erzeugt wird und diese keine koscheren Lebewesen sind.
Warum Bienenhonig dennoch koscher ist, dazu zitiert der Talmud an anderer Stelle (Bechorot 7b) zwei Meinungen: Einerseits wird erläutert, dass ein Toravers in Bezug auf geflügelte Kleintiere (3. Buch Mose 11,21) entsprechend interpretiert werden kann.
Andererseits wird erklärt, wie die Biologie der Biene und die Art ihrer Honigerzeugung damit zusammenhängen: Der Nektar, den die Bienen von den Blütenpflanzen sammeln, wird im sogenannten Honigmagen (oder »Honigblase«) zwischengelagert, mit Enzymen versetzt und zum Bienenstock transportiert. Dort wird der versetzte Nektar durch Trophallaxis an die Stockbienen übergeben, die ihn wiederum in ihrem Honigmagen aufnehmen und ihn im Bienenstock mehrmals »umtragen«, also abgeben und wiederaufnehmen. Bei diesen Vorgängen wird er mit weiteren Säuren und Enzymen vermischt, wodurch der hauptsächlich aus Saccharose bestehende Nektar in Glukose (Traubenzucker) und Fruktose (Fruchtzucker) umgewandelt wird. Anschließend wird der eingedickte Nektar in den Bienenwaben ausgebreitet, und der Wassergehalt wird durch Flügelfächeln der Bienen und die Außenluft auf etwa 18 Prozent gesenkt. Nach einer weiteren »Umtragung« wird er in Lagerzellen gebracht und mit einer Wachsschicht bedeckt (Verdeckeln). Somit wird der Nektar und später der Honig stets im Honigmagen gelagert und gelangt niemals in den »richtigen« Magen der Biene.
Dies ist laut Talmud genau der Grund, warum Honig koscher ist und nicht unter die übliche Regel fällt. Im Gegensatz zu Milch und Eiern von nichtkoscheren Tieren handelt es sich bei Honig nicht um ein Bienensekret, sondern um ein koscheres Naturprodukt, das von den Bienen lediglich aufgenommen und verarbeitet wird. Es ist aber nicht im Verdauungsprozess eingebunden.
Ein möglicher praktischer Unterschied zwischen den beiden Meinungen im Talmud ist die Frage, ob Honig aus »Honigtau« koscher ist. Ein bekanntes Beispiel dafür ist Waldhonig. Dabei handelt es sich um Honig, der nicht aus Nektar erzeugt wird, sondern aus zuckerhaltigen Ausscheidungen von Pflanzenläusen. Laut der Meinung, dass Blütenhonig erlaubt ist, weil es sich um ein verarbeitetes koscheres Naturprodukt handelt, sollte dies auf Waldhonig nicht zutreffen, weil die Ausscheidungen von Pflanzenläusen nicht koscher sind.
Laut der anderen Meinung hingegen, wonach Honig explizit von der Tora erlaubt wird, könnte man argumentieren, dass dies unabhängig vom Ausgangsprodukt gilt und somit auch Waldhonig koscher wäre. Nachmanides, der Ramban (1194–1270), schreibt, dass Honig koscher ist, weil er kein Erzeugnis von Bienen ist, sondern umgewandelter Nektar, und demnach wäre Waldhonig nicht koscher. Diese Position wird auch von den meisten Rabbinern vertreten.
Insofern können wir den Honig aus dem Kibbuz Yad Mordechai beruhigt genießen. Auch im deutschen Supermarkt kann man Blütenhonig kaufen, solange er ohne Zusatzstoffe und nicht aromatisiert ist.