Talmudisches

Wahre Freunde

Fühlen sich wohl beieinander: zwei Jungen unterwegs Foto: Getty Images/iStockphoto

Der Talmud kann aus ein und demselben Thema unterschiedliche Folgerungen und moralische Lehren ziehen. Im Traktat Schabbat 105b lernen wir, dass ein wütender Mensch nach der talmudischen Ethik mit einem Götzendiener zu vergleichen ist. Und im Traktat Eruwim 65b zieht der Talmud aus derselben Quelle ähnliche, aber doch differenzierte Maßstäbe für das Verhalten eines Menschen.

Wir lesen dort, dass es drei Dinge gibt, die die wahre Natur eines Menschen offenbaren. Dies basiert auf drei hebräischen Wörtern, die alle derselben grammatikalischen Wurzel entstammen: Kosso – sein Becher, Kisso – seine Tasche und Ka’asso – sein Zorn.

Einblick Alle drei Begriffe gehen auf das hebräische Verb »eingeben«, »betreten«, »eintreten« zurück. Der Talmud stellt sie in einen inneren Zusammenhang. Dies legt nahe, dass jemand durch diese verschiedenen Hinweise und Aktivitäten einen tieferen Einblick in die wahre Persönlichkeit eines Menschen gewinnen kann, der sich als Freund ausgibt. Anhand dieser drei Begriffe lässt sich herausfinden, so unsere Weisen, ob es sich um eine echte Freundschaft handelt oder ob sie nur vorgegeben, geheuchelt und oberflächlich ist.

Der erste Hinweis – »sein Becher« – bezieht sich auf die Trinkgewohnheiten der Person. Ist dieser Mensch, auch wenn er trinkt und einen Rausch hat, dennoch friedlich, gutmütig und voller Heiterkeit? Oder ist er dann laut, aggressiv und gewalttätig? Was sagt er, wenn er getrunken hat oder gar high ist? Redet er Worte der Weisheit, oder spricht er über Themen, die er möglicherweise nicht ansprechen würde, wenn seine Mutter am Tisch säße? Ist er sich auch des Hungers und der Not anderer bewusst? Stellt er sicher, dass die Armen und Bedürftigen genug zu essen haben?

Der zweite Hinweis – »seine Tasche« – bezieht sich darauf, wie er sein Geld verwaltet. Handelt er ehrlich in seinen Geschäften? Gibt er sein Geld für seine Familie und Freunde aus? Achtet er darauf, Wohltätigkeit zu üben, zahlt er seine Kredite zurück? Oder ist er jemand, der sein Vermögen hortet und den man erst vor Gericht bringen muss, damit er die Forderungen begleicht? Oder noch schlimmer: Weigert er sich gar zu zahlen, selbst nachdem das Gericht gegen ihn entschieden hat? Gibt er sein Geld für Dinge aus, die keinen Segen in die Welt bringen, oder sieht er sein Vermögen als Geschenk, um die Welt zu einem besseren Ort für alle zu machen?

Fürsorge Und wie verhält es sich mit seiner Fürsorge einem Freund gegenüber? Weiß er über die Situation seines Freundes Bescheid? Weiß er, ob es seinen Freunden gut geht oder ob sie seine Hilfe benötigen? Bemüht er sich herauszufinden, wie es um ihr Wohlbefinden steht, indem er sie fragt und dann geeignete Maßnahmen ergreift, um zu helfen? Oder vergisst er sie, wenn er sie länger nicht sieht?

Der dritte Hinweis: »Ka’asso«. Einerseits tritt der Zorn als heftiger Ärger, wutähnlicher Affekt, als Jähzorn oder als Zornesausbruch auf, der zu unkontrollierten Handlungen oder Worten führen kann. Der Zorn erscheint dann als Beherrscher des Menschen, der seinerseits seine Gefühlsregungen nicht mehr kontrolliert.

Wie geht der Mensch mit seinem Zorn um? Ist er streitsüchtig? Wird er wütend und zornig über Dinge, über die er nicht wütend werden sollte? Wie lange hält sein Groll an? Entschuldigt er sich bei denen, die er möglicherweise beleidigt hat? Oder ist er jemand, der seinen Zorn kontrollieren kann? Ist er angesichts von Schicksalsschlägen und Prüfungen in seinem Leben dennoch demütig und bleibt ruhig?

Einige unserer Weisen sprechen noch von einem vierten Hinweis: dem Lachen. Was findet ein Mensch lustig oder amüsant? Lacht er über das Unglück anderer, oder kommt sein Lachen durch wahre Freude? Die Weisen sahen diese Charaktereigenschaften als Türen, durch die man hinter die Fassade eines anderen treten und erkennen kann, worum es ihm tatsächlich geht. Es ist eine gute Handhabung, um herauszufinden, wer wirklich Freund ist und wer nicht.

Umfrage

Studie: Deutsche vertrauen Zentralrat der Juden signifikant mehr als der christlichen Kirche und dem Islam

Die Ergebnisse, die das Meinungsforschungsinstitutes Forsa im Auftrag des »Stern«, RTL und n-tv vorlegt, lassen aufhorchen

 23.12.2025

Essay

Chanukka und wenig Hoffnung

Das hoffnungsvolle Leuchten der Menorah steht vor dem düsteren Hintergrund der Judenverfolgung - auch heute wieder

von Leeor Engländer  21.12.2025

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  20.12.2025

Wajigasch

Mut und Hoffnung

Jakow gab seinen Nachkommen die Kraft, mit den Herausforderungen des Exils umzugehen

von Rabbiner Jaron Engelmayer  19.12.2025

Mikez

Füreinander einstehen

Zwietracht bringt nichts Gutes. Doch vereint ist Israel unbesiegbar

von David Gavriel Ilishaev  19.12.2025

Meinung

Heute Juden, morgen Christen

Judenhass führt konsequent zum Mord. Dafür darf es kein Alibi geben

von Rafael Seligmann  19.12.2025

Chanukka

»Wegen einer Frau geschah das Wunder«

Zu den Helden der Makkabäer gehörten nicht nur tapfere Männer, sondern auch mutige Frauen

von Rabbinerin Ulrike Offenberg  18.12.2025

Chanukka

Berliner Chanukka-Licht entzündet: Selbstkritik und ein Versprechen

Überschattet vom Terroranschlag in Sydney wurde in Berlin am Mittwoch mit viel Politprominenz das vierte Licht an Europas größtem Chanukka-Leuchter vor dem Brandenburger Tor entzündet

von Markus Geiler  18.12.2025

Chanukka

Wofür wir trotz allem dankbar sein können

Eine Passage im Chanukka-Gebet wirkt angesichts des Anschlags von Sydney wieder ganz aktuell. Hier erklärt ein Rabbiner, was dahinter steckt

von Rabbiner Akiva Adlerstein  17.12.2025