Talmudisches

Von Wut und Zorn

Wenn ein Mensch wütend wird, dann glaubt er nicht mehr an die allgegenwärtige Fürsorge des Ewigen. Foto: Getty Images / istock

Ein wütender Mensch gleicht laut dem Talmud einem, der Götzen verehrt (Schabbat 105b). Wir wissen, dass Wut großen Schaden anrichten kann. Trotzdem lesen wir in der Tora, dass Mosche, ein Mann G’ttes, gar mehrmals wütend wurde. Und die Tora erzählt, dass selbst G’tt manchmal sehr zürnte. Warum wird der Zorn dann mit Götzendienst gleichgesetzt?

Wenn ein Mensch wütend wird, bedeutet dies, dass er in dem Moment nicht mehr an die allgegenwärtige Fürsorge des Ewigen glaubt. Denn an G’tt zu glauben, heißt nicht nur, davon überzeugt zu sein, dass Er existiert. Die Annahme, dass es eine Kraft gibt, die die Welt auf eine Art und Weise lenken oder kontrollieren könnte, und dass G’tt an ihr nicht aktiv beteiligt ist, ist für den Talmud gleichbedeutend mit Götzendienst.

Warum wird der Zorn mit Götzendienst gleichgesetzt?

FRomme Wenn dies der Fall ist, warum fallen dann nicht nur areligiöse, sondern auch fromme Menschen der Wut zum Opfer? Sollte man von einem Frommen nicht erwarten, dass er für Zorn weniger empfänglich ist? Wahrhaft g’ttesfürchtige Menschen, für die das Wahrnehmen der Anwesenheit G’ttes in der Welt von großer Bedeutung ist, sollten geduldiger sein als andere und weniger schnell zornig werden. Doch trifft dies wirklich zu?

Im Talmud lernen wir, dass sich ein Mensch anhand von drei Merkmalen beurteilen lässt, die mit hebräischen Wörtern bezeichnet werden: »Kiss« (Tasche), »Koss« (Trinkglas) und »Ka’ass« (Zorn). Laut dem Talmud kann jeder Mensch nach einem oder nach allen drei Kriterien bewertet werden.

kiss Das erste Kriterium ist »Kiss« – die Tasche. Wofür der Mensch sein Geld ausgibt, zeigt uns, was er für wichtig hält. Ist er ein Verschwender oder nicht? Wenn er seinen Geldbeutel öffnet, dann tut er es für etwas, das er für wertvoll hält. Gibt er es für die Erfüllung von Mizwot aus? Oder erwirbt er Dinge, um seine Nachbarn zu beeindrucken? Versucht er, mit so wenig wie möglich auszukommen? Jede dieser Fragen und Antworten bildet einen Faktor für die Beurteilung seines inneren Wesens und seiner Persönlichkeit.

Wofür der Mensch sein Geld ausgibt, zeigt uns, was er für wichtig hält.

 

Das zweite Merkmal ist »Koss« – das Trinkglas. Wie leert er es, und wie verhält er sich nach dem Trinken? Unter dem Einfluss von Alkohol beginnt man, sich zu öffnen, seine Gefühle und Gedanken freimütiger zu zeigen. Dies sagt so manches darüber aus, wie eine Person unter ihrem Deckmantel der Nüchternheit tatsächlich ist.

Das dritte Merkmal ist »Ka’ass« – die Wut. Die meisten Menschen werden über irgendetwas wütend. Was sie wütend macht, das ist der Schlüssel zu ihrem Herzen. Der eine ärgert sich über lange Warteschlangen, der andere über Unpünktlichkeit. Dies sagt uns etwas über die Denkart und Gesinnung des Menschen.

Glas Die drei Kriterien »Kiss«, »Koss« und »Ka’ass« haben etwas gemeinsam. Die Tatsache, dass sie mit demselben hebräischen Buchstaben beginnen und mit demselben enden, zeigt, dass es eine Beziehung zwischen den drei Wörtern gibt.

Ein Glas und eine Tasche sind Behälter, in denen sich etwas befindet oder etwas verdeckt ist. Mit der Wut, »Ka’ass«, verhält es sich im übertragenen Sinne ähnlich. Sie ist ein starkes Gefühl, das im Herzen verborgen bleiben kann.

Deshalb sollte jeder Mensch eine bestimmte Tageszeit festlegen, zu der er die Ereignisse des vergangenen Tages Revue passieren lässt. Der Schlüssel zur Beherrschung besteht nicht nur darin, Wutmanagementkurse zu besuchen oder Entschlüsse zu fassen, was man selbst erreichen will. Je mehr man getan hat, um sich G’tt in dieser Welt und besonders im persönlichen Leben bewusst zu werden, desto eher kann man in schwierigen Situationen ruhig und besonnen bleiben.

Vielleicht wird dies Ihre Nachbarn nicht beeindrucken, aber es hält Sie auf dem richtigen Weg.

Konklave

Kommt der nächste Papst aus Jerusalem?

Wer wird der nächste Papst? Die geheimen Treffen im Vatikan lassen die Welt spekulieren. Als heißer Kandidat wird ein Patriarch aus Jerusalem gehandelt

 30.04.2025

Interview

»Der Dialog mit dem Vatikan ist regelrecht eingeschlafen«

Maram Stern über den künftigen Papst und den stockenden jüdisch-christlichen Dialog

von Tobias Kühn  29.04.2025

Halacha

Kann ein Jude die Beerdigung des Papstes besuchen?

Papst Franziskus wird diesen Samstag, an Schabbat, beerdigt. Observante Juden könnte das vor komplizierte Fragen stellen

von Vyacheslav Dobrovych  25.04.2025

Schemini

Offene Türen

Die Tora lehrt, auch Fremde freundlich zu empfangen

von Rabbiner Bryan Weisz  25.04.2025

Nachruf

Förderer des katholisch-jüdischen Dialogs, aber auch harter Kritiker Israels

Papst Franziskus im Alter von 88 Jahren gestorben. Sein langjähriger Gesprächspartner, Rabbiner Jehoschua Ahrens, nimmt Abschied

von Rabbiner Jehoschua Ahrens  28.04.2025 Aktualisiert

Chol Hamoed

Nur Mosche kannte die Freiheit

Warum das Volk Israel beim Auszug aus Ägypten ängstlich war

von Rabbinerin Yael Deusel  17.04.2025

Geschichte

Waren wir wirklich in Ägypten?

Lange stritten Historiker darüber, ob die Erzählung vom Exodus wahr sein könnte. Dann kamen die Archäologen

von Rabbiner Igor Mendel Itkin  17.04.2025

Berlin

Berlin: Gericht bestätigt fristlose Kündigung von Rabbiner

Das Berliner Arbeitsgericht hat die fristlose Kündigung eines Rabbiners wegen sexueller Belästigung eines weiblichen Gemeindemitglieds bestätigt

 16.04.2025

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 11.04.2025