Korach

Um Himmels willen

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Die aktuelle Parascha gehört zu den dramatischsten Episoden in der Tora. Sie erzählt die Geschichte eines Aufstandes, der nicht nur gegen Mosche und Aharon, sondern letztlich gegen Haschem selbst gerichtet ist. Doch unter der Oberfläche dieser Rebellion verbergen sich zeitlose Lektionen über Macht, Eifersucht, wahre Größe – und vor allem über den Wert von Frieden.

Korach, ein Levit aus der Familie Kehat, erhebt sich gemeinsam mit Datan, Aviram und 250 angesehenen Männern aus dem Volk Israel gegen Mosche und Aharon. Ihr Vorwurf: »Ihr nehmt euch zu viel heraus!« Korach behauptet, dass alle Mitglieder des Volkes heilig seien und es daher ungerecht sei, Mosche und Aharon über die Gemeinde zu stellen.

Korach ging es um Macht, Ansehen und persönlichen Stolz

Auf den ersten Blick klingt Korachs Argument fast demokratisch: Warum sollte es in einem heiligen Volk eine Hierarchie geben? Doch die Tora gibt uns Hinweise darauf, dass es ihm nicht um das Wohl des Volkes ging, sondern um Macht, Ansehen und persönlichen Stolz. Der Midrasch erklärt, dass Korach eifersüchtig war, weil er nicht selbst zum Fürsten seines Familienzweigs ernannt wurde.

Die Reaktion Haschems ist eindeutig: Er lässt die Erde Korach und seine Anhänger verschlingen – ein nie da gewesenes Wunder, das die gʼttliche Unterstützung Mosches bestätigt. Es bleibt die Frage: Wie konnte es dazu kommen? Der Talmud sagt: »Eifersucht, Begierde und Streben nach Ehre entfernen den Menschen aus der Welt« (Pirkej Awot 4,21). Und genau diese drei Triebkräfte finden wir alle in Korach: Eifersucht auf die Führungsrolle von Aharon, Begierde nach mehr Einfluss und Kontrolle sowie Streben nach Ehre durch die Unterstützung von 250 angesehenen Männern.

Korachs Tragödie liegt darin, dass er nicht das Beste für das Volk wollte, sondern für sich selbst. In seiner Gier zerstörte er nicht nur sich selbst, sondern auch seine Familie und seine Anhänger.

Kritik per se ist nichts Schlechtes – im Gegenteil: Sie gehört dazu. Die Tora erlaubt Kritik. Mosche selbst diskutiert oft mit Haschem und bittet für das Volk. Auch die Propheten Israels übten oft Kritik an sozialen Missständen. Aber zwischen kons­truktiver Kritik und destruktiver Rebellion gibt es einen erheblichen Unterschied.

Korach stellt keine Fragen. Er führt keine Diskussion. Er beginnt mit einem öffentlichen Angriff, ohne vorher ein Gespräch zu suchen. Sein Ziel war nicht Verständnis, sondern Spaltung. Die Weisen lehren: »Jeder Streit, der um des Himmels willen geführt wird, hat Bestand.

Doch ein Streit, der nicht um des Himmels willen geführt wird, hat keinen Bestand« (Pirkej Awot 5,17). Korachs Streit war nicht »um des Himmels willen«. Er war um seinetwillen. Deshalb hatte er keinen Bestand – und endete in der Vernichtung Korachs. Wir erleben einen wichtigen und lehrreichen Perspektivwechsel, wenn wir nun den Fokus von Korach, dem Anführer der Rebellen, auf denjenigen verlagern, der gestürzt werden sollte: Mosche.

Mosches Reaktion auf die Rebellion ist bemerkenswert

Mosches Reaktion auf die Rebellion ist bemerkenswert. Anstatt sofort zu bestrafen oder sich zu verteidigen, »fiel er auf sein Angesicht« (4. Buch Mose 16,4). Er sucht das Gespräch. Er gibt den Rebellen sogar die Möglichkeit, sich durch den Test des Räucheropfers zu beweisen.

Diese Geduld und Selbstbeherrschung sind Ausdruck der Demut, für die Mosche bekannt war. In der Tora lesen wir: »Mosche war sehr demütig, mehr als alle Menschen auf der Erde« (12,3).

Daraus lassen sich für uns wichtige Lektionen für die Gegenwart ableiten. Auch heute erleben wir oft Diskussionen, Meinungsverschiedenheiten und sogar Konflikte in unseren Gemeinden, Familien oder in der Gesellschaft. Der Fall Korach erinnert uns daran, wie gefährlich es ist, wenn Meinungsverschiedenheiten in persönlichen Angriffen oder Machtkämpfen enden. Jede Gemeinschaft braucht Führung. Doch diese Führung muss aus Verantwortung und Demut kommen – nicht aus Stolz oder Eigennutz.

Und wenn wir Kritik üben, müssen wir prüfen: Dient diese dem Wohl des Ganzen oder kommt sie aus persönlichem Groll? Üben wir Kritik an den Machthabern und Entscheidungsträgern, sollten wir uns genau hinterfragen, ob wir damit das Wohl aller im Sinn haben.

Aharon, das Gegenbild zu Korach, wird in der Mischna so beschrieben: »Er liebte den Frieden und jagte ihm nach« (Pirkej Awot 1,12). Der Kli Yakar, Rabbi Shlomo Ephraim Luntschitz (1550–1690), erklärt, dass Aharons Friedensliebe ihn würdig machte, das geistige Zentrum des Volkes zu sein. Der Kohen Gadol war nicht nur ein Experte in rituellen Fragen, sondern auch ein Friedensstifter, ein Vermittler zwischen Menschen und zwischen Mensch und G’tt.

Vielleicht liegt genau hier der Unterschied zwischen Aharon und Korach: Aharon wollte Einheit, Korach Spaltung. Aharon diente dem Volk, Korach wollte über das Volk herrschen.

Die Parascha Korach ist nicht nur ein Rückblick auf einen alten Machtkampf. Sie ist ein Spiegel. Wo stehen wir heute? Sind wir wie Aharon und stiften Frieden – oder sind wir wie Korach und suchen Konflikte? Nutzen wir unsere Stimme, um zu heilen oder um zu spalten? In einer Zeit, in der Meinungsverschiedenheiten oft in Polarisierung und Streit enden, erinnert uns die Tora daran, dass wahre Größe in Demut, Dialog und Liebe zum Frieden liegt.

Die Erde verschlang Korach – aber die Tora beschließt das Kapitel nicht mit Zorn, sondern mit Hoffnung. Direkt nach der Rebellion wird Aharons Stab zum Blühen gebracht – ein Symbol des Lebens, des Friedens und der gʼttlichen Bestätigung.

Möge auch in unserem Leben der »Stab Aharons« blühen – durch Geduld, Frieden und dem Streben nach echtem, ehrlichem Dienst für das Gute.

Der Autor studiert am Rabbinerseminar zu Berlin.

inhalt
Korach und seine Anhänger Datan und Aviram rebellieren gegen die beiden Anführer Mosche und Aharon. Der Ewige selbst bestraft den Putschversuch und lässt sowohl Korach als auch seine Anhänger vom Erdboden verschlingen. Andere Sympathisanten Korachs werden durch ein himmlisches Feuer verzehrt. Dennoch herrscht Unmut unter den Israeliten. Darauf folgt eine Seuche, die von Aharon beendet wird. Um seine Position an der Spitze zu verdeutlichen, sollen die Anführer jedes Stammes ihren Stab ins Stiftszelt bringen. Und siehe da: Aharons Stab treibt Blüten.
4. Buch Mose 16,1 – 18,32

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