Conservative Yeshiva

Traditionell und weltoffen

Grübeln, lesen, diskutieren: So eignet man sich jüdisches Wissen an. Foto: Flash 90

Keine Seminararbeiten, keine Scheine und keine Noten, stattdessen zu zweit, gebeugt über Talmudseiten, grübeln, sich gegenseitig die Sätze vorlesen, kommentieren, streiten: So lernen jüdische Studenten in einer Jeschiwa – einer Talmudschule. In der Conservative Yeshiva in Jerusalem eignen sich Juden aus der ganzen Welt bessere Kenntnisse ihrer Religion an. Die Unterrichtssprache ist Englisch.

»Wie andere Talmudschulen studieren wir die klassischen jüdischen Texte«, sagt der Direktor der Religionsschule, Rabbiner Daniel Goldfarb. »An vier Vormittagen in der Woche lesen wir zu zweit den Talmud, denn das ist einfach der klassische jüdische Text. Jüdische Philosophie, jüdisches Gesetz, Sitten und Gebräuche sind aus dem Talmud abgeleitet.«

Unterschiede Doch es gibt große Unterschiede zu den traditionellen Jeschiwot. Dort lernen ausschließlich Männer die traditionellen Gesetze und beten vor. An der Conservative Yeshiva lernen und beten Männer und Frauen hingegen gemeinsam. »Ein Unterschied betrifft die Rolle der Frau, ein anderer die Frage, ob Homosexuelle Rabbiner oder Kantoren sein können«, erläutert Daniel Goldfarb. »Wir finden, dass man die klassischen Texte auf solche Fragen hin untersuchen muss und modernere Positionen einnehmen sollte. Man muss nach Wegen suchen, die Menschen innerhalb der Möglichkeiten des traditionellen jüdischen Gesetzes willkommen zu heißen. Ich bin sehr froh, dass wir solche Wege gefunden haben.«

Jüdisches Wissen auffüllen kann man in dem »konservativen Lehrhaus« während eines ganzen Studienjahrs, mit Sommerkursen in einigen Wochen oder Monaten in Jerusalem oder auch durch Onlinekurse am heimischen Computer. Neue Wege gehen, aber dabei die Tradition achten: Diese Maxime gilt für das konservative oder Masorti-Judentum insgesamt. Masorti bedeutet: traditionell.

mittelposition Die Bewegung nimmt im jüdischen Spektrum zwischen liberal und orthodox eine Mittelposition ein. Wie in Reformsynagogen gehören Frauen zum Minjan, zum Quorum, das den jüdischen Gottesdienst trägt. Aber wie in orthodoxen Synagogen ist zum Beispiel die Betätigung eines Lichtschalters am Schabbat ein Tabu. Besonders in den USA ist Masorti verbreitet, es gibt aber auch in Deutschland konservative Rabbiner der Bewegung. Demnächst sollen konservative Rabbinatsstudenten in Potsdam die Hochschulbank drücken.

An der Conservative Yeshiva in Jerusalem sind Rabbinerinnen eine Selbstverständlichkeit, Schwule und Lesben trifft man häufig. Das offene, liberale Klima macht es für viele zudem möglich, sich wieder ihrem Judentum zuzuwenden und sich größeres Wissen anzueignen – mit 60 Jahren genauso wie mit 20. Der 22-jährige Joseph Jason aus Manchester hat gerade sein Studium abgeschlossen und will demnächst Buchhalter werden. Vorher stellt er sich die Frage, wie sein künftiges Leben als Jude aussehen soll. »Ich bin in England zwar jüdisch aufgewachsen, aber ich halte mich nicht an besonders viele jüdische Regeln«, sagt Joseph. »Man erzählt uns ja gerne, was wir alles tun sollen und wann wir es tun sollen. Aber ich weiß häufig gar nicht, welche Texte die Basis für die Verhaltensregeln sind.«

regeln Da wäre zum Beispiel das Verbot, am Schabbat elektrische Geräte ein- oder auszuschalten. Joseph fragt sich, ob solche Regeln noch zeitgemäß sind. Heute brauche man doch Technik für fast alles. An der Conservative Yeshiva hat er zum Beispiel Kurse über jüdische Ethik, über das »Dilemma des Fleischessens« und Hebräischunterricht belegt. Die Frage nach den Schabbatregeln hat die 27-jährige Tamara Wolf aus New Jersey schon für sich beantwortet. »Ich finde, Schabbat sollte ein Tag sein, den man mit seinen Freunden oder seiner Familie verbringt. Was soll schlecht daran sein, wenn ich in mein Auto steige und meine Großeltern besuche? Solche Regeln haben für mich einfach keinen Sinn«, sagt sie.

Das Talmudstudium an der Conservative Yeshiva hat Tamara Wolf gut gefallen. Denn der Talmud zeige doch selbst, wie Regeln über die Jahrhunderte entstanden, wie kontrovers sie diskutiert wurden und wie veränderbar sie seien. Auch das jüdische Gesetz, die Halacha, sei sehr flexibel, findet sie.

Die gesamte jüdische Tradition können die Studenten an der Conservative Yeshiva jedoch nicht kennenlernen. Denn allein der Talmud ist ähnlich lang wie der Große Brockhaus, und mehr als eine Talmudseite ist am Tag nicht zu schaffen. »Wer die jüdische Literatur nicht sehr gut kennt, der merkt nicht, welches Wissen ihm fehlt«, sagt Direktor Daniel Godfarb. »Viele Teilnehmer merken bei uns erst, was sie alles nicht wissen.«

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