Potenzial

Stärker als das Bedürfnis zu atmen

Im Meer des Lebens Foto: Thinkstock

Es war im Monat Nissan, als wir Ägypten Hals über Kopf verließen. Wir warfen unsere Taschen über die Schultern, rannten und warteten nicht, bis unser Brot aufgegangen war. Nach all den Wundern und Plagen, die Gott für uns bewirkt hatte – wieso mussten wir am Ende Ägypten in solcher Eile verlassen? Hätte Gott es nicht so einrichten können, dass wir uns für das Packen und die Organisation unserer Abreise hätten Zeit lassen können?

In der schmalen Lücke zwischen dem Bekannten und dem Unbekannten muss die Veränderung blitzschnell stattfinden. Es ist schwer, das Vertraute zurückzulassen. Es ist schwer, unsere tröstlichen Gewohnheiten loszulassen. Das ist es, was der Nissan von uns fordert: von vorne anzufangen. Das Meer zu überqueren, um zu einer Wüste zu gelangen, die nicht durch Zeit oder Raum definiert ist. Uns und unser Leben neu zu definieren an einem Ort, den wir nur erreichen können, wenn wir uns der Macht einer einzigen Minute bewusst werden.

Denn wenn wir mit Leidenschaft ein Ziel anstreben, wenn wir über das, was wir heute sind, hinausgelangen wollen, gerinnt die Routine unseres Lebens zu einer kurzen, einmaligen Gelegenheit. Aus diesem Grund können wir nicht schlafen, essen, atmen, wenn eine einzigartige Entschlossenheit uns erfüllt, unser Ziel zu erreichen.

motivationstrainer Der Motivationstrainer Eric Thomas erzählt folgende Geschichte: Es war einmal ein junger Mann, der viel Geld verdienen wollte. Er ging zu einem Guru und sagte: »Ich möchte so erfolgreich wie du werden.« Der Guru sagte: »Wenn du so erfolgreich wie ich sein willst, treffen wir uns morgen früh um vier am Strand.«

Um vier Uhr früh war der junge Mann am Strand und trug seinen besten Anzug. Shorts wären besser gewesen. Der alte Mann ergriff seine Hand und sagte: »Wie stark ist dein Wunsch, erfolgreich zu sein?« »Ungeheuer stark.« Der Guru sagte: »Geh ins Wasser.« Der junge Mann watete bis zum Bauch ins Wasser und dachte dabei: Dieser Kerl ist verrückt. Ich möchte Geld machen, und er lässt mich schwimmen. Ich will doch kein Bademeister werden!

»Geh tiefer ins Wasser«, sagte der Guru. Er ging ein Stück weiter hinaus, bis ihm das Wasser bis zu den Schultern reichte. »Noch weiter.« Jetzt stand ihm das Wasser bis zum Mund. Der junge Mann ging zurück und sagte zu sich: Weiter – als bis dahin – gehe ich nicht. Und der alte Mann sagte: »Ich dachte, du willst erfolgreich sein! Geh weiter hinaus.« Dann drückte er den Kopf des jungen Mannes unter Wasser und hielt ihn fest. Nach einer Weile ließ er ihn los, und als der junge Mann sich aufgerichtet hatte, sagte der Guru: »Ich habe eine Frage an dich. Wie stark ist dein Wunsch, erfolgreich zu sein? Denn wenn dein Wunsch nach Erfolg genauso stark ist wie dein Wunsch zu atmen, dann wirst du Erfolg haben.«

bestreben Ebenso ehrgeizig waren die Juden in ihrem Bestreben, aus Ägypten herauszukommen. Dieser Wunsch war stärker als der zu essen, zu schlafen, ja, stärker noch als der zu atmen. Als sie ans Rote Meer gelangten, steckten sie fest zwischen den Feinden hinter ihnen und dem Wasser vor ihnen. Doch vielleicht stärker noch als ihr eigener Wille, von der Sklaverei in die Freiheit zu gelangen, war schließlich der Wille Gottes, sie zu befreien.

Mit dem tiefen Wunsch, die Grenzen unseres vergangenen Lebens zu überschreiten, geht die Gewissheit einher, dass Gott uns helfen wird, wenn wir den Sprung wagen. Wenn wir die Entscheidung zu lange hinauszögern, verpassen wir vielleicht unsere Chance. Manchmal müssen wir morgens früh um vier am Strand sein, bereit, ins Wasser zu springen. Haben wir den Mut, das Chametz, die Schwere, das Überflüssige hinter uns zu lassen? Ins Meer hinauszugehen? Die Wüste zu durchqueren? Die Quelle unseres Lebens zu hören, die uns zuruft: »Geh ein Stück weiter hinaus!«?

Die spirituelle Kraft des Monats Nissan steht auch uns zur Verfügung. So wie Gott das jüdische Volk aus Ägypten herausholte, reißt Er uns aus der Enge und Verwirrung, die unser Leben überschatten. In diesem Monat, in dieser Minute können wir von vorn beginnen. Unser Wunsch, das Ziel zu erreichen, muss stärker sein als alles andere, und wir müssen die Gewissheit haben, dass Gott es noch mehr will als wir selbst. Wie groß ist unser Wunsch, frei zu werden? Denn der Zeitpunkt wird kommen, an dem wir zulassen müssen, dass das Wasser über unserem Kopf zusammenschlägt. Gott entgegenlaufen in der Wüste, ohne etwas mitzubringen außer unserem Herzen. Seine Liebe zu wollen, auch nur halb so sehr, wie Er unsere Liebe will. Denn dies ist der Monat, in dem jede Minute, jeder Schritt zählt.
Übersetzung und Abdruck mit freundlicher Genehmigung von aish.com

Rosch Haschana

Jüdisches Neujahrsfest: Bischöfe rufen zu Verständigung auf

Stäblein und Koch betonten in ihrer Grußbotschaft, gerade jetzt dürfe sich niemand »wegducken angesichts von Hass und Antisemitismus«

 16.09.2025

Bayern

Merz kämpft in wiedereröffneter Synagoge mit Tränen

In München ist die Synagoge an der Reichenbachstraße feierlich wiedereröffnet worden, die einst von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Der Bundeskanzler zeigte sich gerührt

von Cordula Dieckmann  16.09.2025 Aktualisiert

Ki Tawo

Echte Dankbarkeit

Das biblische Opfer der ersten Früchte hat auch für die Gegenwart eine Bedeutung

von David Schapiro  12.09.2025

Talmudisches

Schabbat in der Wüste

Was zu tun ist, wenn jemand nicht weiß, wann der wöchentliche Ruhetag ist

von Yizhak Ahren  12.09.2025

Feiertage

»Zedaka heißt Gerechtigkeit«

Rabbiner Raphael Evers über Spenden und warum die Abgabe des Zehnten heute noch relevant ist

von Mascha Malburg  12.09.2025

Chassidismus

Segen der Einfachheit

Im 18. Jahrhundert lebte in einem Dorf östlich der Karpaten ein Rabbiner. Ohne je ein Werk zu veröffentlichen, ebnete der Baal Schem Tow den Weg für eine neue jüdische Strömung

von Vyacheslav Dobrovych  12.09.2025

Talmudisches

Stillen

Unsere Weisen wussten bereits vor fast 2000 Jahren, was die moderne Medizin heute als optimal erkennt

von David Schapiro  05.09.2025

Interview

»Die Tora ist für alle da«

Rabbiner Ethan Tucker leitet eine Jeschiwa, die sich weder liberal noch orthodox nennen will. Kann so ein Modell auch außerhalb New Yorks funktionieren?

von Sophie Goldblum  05.09.2025

Trauer

Eine Brücke zwischen den Welten

Wenn ein Jude stirbt, gibt es viele hilfreiche Riten. Doch auch für Nichtjuden zeigt die Halacha Wege auf

von Rabbiner Avraham Radbil  05.09.2025