Talmudisches

Spenden für die Freiheit

»Gebt mit offener Hand«, sagte Rabbi Schimon. »Macht euch keine Sorgen um morgen, denn G’tt sorgt für euch. Und das Wichtigste: Haltet alle Spenden schriftlich fest.« Foto: Getty Images / istock

Rabbi Schimon Bar Jochai, einer der führenden Weisen des Talmuds, erschien am Tag nach Rosch Haschana vor dem Haus seiner Neffen. Er trug ihnen vor, wie wichtig es sei, an den Bedürftigen Wohltätigkeit zu üben.

Obwohl die Neffen nur wenig Geld besaßen und die Dringlichkeit dessen, was ihr Onkel sagte, nicht völlig verstanden, hörten sie aufmerksam zu. Dies verlangte von ihnen das würdige Benehmen einem Gelehrten gegenüber.

»Gebt mit offener Hand«, sagte Rabbi Schimon. »Macht euch keine Sorgen um morgen, denn G’tt sorgt für euch. Und das Wichtigste: Haltet alle Spenden schriftlich fest. Jeden Dinar, den ihr gebt, schreibt auf und tragt die Liste immer bei euch! Zum Jahresende möchte ich dann eine große Summe in der Aufzählung sehen.«

Sie versprachen ihrem Onkel, den Auftrag zu befolgen, und Rabbi Schimon ging fort.

Kaum ein Jahr später bekamen die Neffen seltsamen Besuch von einer Truppe römischer Soldaten mit einem Befehl, sie festzunehmen. Jemand hatte sie beschuldigt, Seide verkauft zu haben, ohne die Steuern an die Regierung abzuführen. Sie protestierten gegen die Anschuldigung und beteuerten ihre Unschuld – doch ohne Erfolg.

strafe Zitternd vor Angst wurden sie ins Gefängnis gebracht, wo sie vor die Wahl gestellt wurden, entweder eine hohe Strafe von 600 Dinar zu zahlen oder dem König ein teures Seidengewand anzufertigen. Doch beides überstieg bei Weitem ihre Möglichkeiten. Sie waren nicht in der Lage, die Bedingungen zu erfüllen.

Als Rabbi Schimon hörte, was geschehen war, eilte er zum Gefängnis und erhielt die Sondergenehmigung, seine Neffen zu besuchen.

»Wo ist der Bericht über die Summen der Spenden, die ihr den Bedürftigen gegeben habt?«, fragte er. »Wie hoch ist der Gesamtbetrag eurer Spenden?«

»Hier«, antworteten sie, und einer von ihnen zog ein kleines Pergament aus seiner Tasche.

Rabbi Schimon nahm den Bericht, sah ihn sich an und merkte, dass sie seit Rosch Haschana fast 600 Dinar gespendet hatten – nur sechs Dinar fehlten noch bis zu dieser Summe.

»Habt ihr Geld bei euch?«, fragte Rabbi Schimon.

Die Neffen hatten vorsorglich für den Notfall einige Münzen in ihre Kleidung eingenäht. Sie rissen die Nähte auf, und es fanden sich darin genau sechs Dinar. Rabbi Schimon nahm das Geld und bestach einen der Beamten. Daraufhin ließ man die Anklage fallen, und die Neffen kamen frei.

Nun erklärte ihnen Rabbi Schimon, was geschehen war: »Am vergangenen Rosch Haschana bin ich eingenickt und habe geträumt, dass die Regierung von euch 600 Dinar verlangen würde. Deshalb sagte ich am nächsten Tag zu euch, ihr sollt wohltätig sein und spenden. Denn durch eure guten Taten würde das böse Verhängnis, die ›Gesera‹, von euch abgewendet werden.«

Wohltätigkeit Bis heute betet man an Rosch Haschana: »U’Teschuwa u’Tefila u’Zedakka ma­awirin et Ro’a HaGesera« – »Und Buße und Gebet und Wohltätigkeit entfernen das harte Dekret«.

Die Neffen fragten Rabbi Schimon, warum er ihnen das nicht gleicht erzählt habe. »Wir hätten das Geld sofort gespendet und uns eine Menge Ärger und Angst erspart.«

»Wenn ihr es gewusst hättet«, antwortete Rabbi Schimon, »hättet ihr die Mizwa vermutlich nicht ›leSchem Schamajim‹ – um ihrer selbst willen – erfüllt, sondern nur aus Angst vor dem bösen Verhängnis.«

München

Knobloch lobt Merz-Rede in Synagoge

Am Montagabend wurde in München die Synagoge Reichenbachstraße wiedereröffnet. Vor Ort war auch der Bundeskanzler, der sich bei seiner Rede berührt zeigte. Von jüdischer Seite kommt nun Lob für ihn - und ein Appell

von Christopher Beschnitt  16.09.2025

Rosch Haschana

Jüdisches Neujahrsfest: Bischöfe rufen zu Verständigung auf

Stäblein und Koch betonten in ihrer Grußbotschaft, gerade jetzt dürfe sich niemand »wegducken angesichts von Hass und Antisemitismus«

 16.09.2025

Bayern

Merz kämpft in Synagoge mit Tränen

In München ist die Synagoge an der Reichenbachstraße feierlich wiedereröffnet worden, die einst von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Der Bundeskanzler zeigte sich gerührt

von Cordula Dieckmann  17.09.2025 Aktualisiert

Ki Tawo

Echte Dankbarkeit

Das biblische Opfer der ersten Früchte hat auch für die Gegenwart eine Bedeutung

von David Schapiro  12.09.2025

Talmudisches

Schabbat in der Wüste

Was zu tun ist, wenn jemand nicht weiß, wann der wöchentliche Ruhetag ist

von Yizhak Ahren  12.09.2025

Feiertage

»Zedaka heißt Gerechtigkeit«

Rabbiner Raphael Evers über Spenden und warum die Abgabe des Zehnten heute noch relevant ist

von Mascha Malburg  12.09.2025

Chassidismus

Segen der Einfachheit

Im 18. Jahrhundert lebte in einem Dorf östlich der Karpaten ein Rabbiner. Ohne je ein Werk zu veröffentlichen, ebnete der Baal Schem Tow den Weg für eine neue jüdische Strömung

von Vyacheslav Dobrovych  12.09.2025

Talmudisches

Stillen

Unsere Weisen wussten bereits vor fast 2000 Jahren, was die moderne Medizin heute als optimal erkennt

von David Schapiro  05.09.2025

Interview

»Die Tora ist für alle da«

Rabbiner Ethan Tucker leitet eine Jeschiwa, die sich weder liberal noch orthodox nennen will. Kann so ein Modell auch außerhalb New Yorks funktionieren?

von Sophie Goldblum  05.09.2025