Bibel

Sakrileg oder Fortschritt?

Es gibt viele Arten, die Bibel zu lesen. Foto: Getty Images

Sefaria.org, eine Online-Bibliothek für jüdische Texte, hat eine neue »geschlechtersensible« Übersetzung der hebräischen Bibel ins Englische veröffentlicht – und damit für heftige Diskussionen gesorgt. Denn der Text verzichtet auf geschlechtsspezifische Pronomen für Gott.

Die Nachrichtenagentur »Jewish Telegraphic Agency« berichtet darüber und schreibt, dass sich die neue Übersetzung im Gegensatz zu fast allen anderen Bibelübersetzungen nicht mit männlichen Pronomen auf Gott beziehe: »Es werden auch keine weiblichen Pronomen verwendet: Stattdessen wird Gott im gesamten Text als ›Gott‹ bezeichnet.«

JESAJA Als Beispiel wird aus dem Prophetenbuch Jesaja (55,6) zitiert – in der neuen Version: »Suchet Gott, solange ihr könnt, rufet, solange (Gott) nahe ist.« In anderen Übersetzungen heißt es dagegen: »Suchet den Herrn, solange er zu finden ist, rufet zu ihm, solange er nahe ist.«

Dies habe in den sozialen Medien zu zahlreichen Reaktionen geführt, »die diese Änderung als Sakrileg betrachten«. Einige hatten sich gegen die Übersetzung gewandt, sogar angekündigt, dass sie die digitale Bibliothek nicht mehr nutzen würden.

Die Übersetzung ist relativ neu, die Frage uralt: Ist Gott männlich oder weiblich? Die einen sagen »männlich«, schließlich sei in der gesamten Tora-Literatur vom Herrn, Vater, König, Herrscher und dem Ewigen die Rede.

SCHECHINA Andere verweisen beispielsweise auf das hebräische Wort »Schechina«, das Gottes Gegenwart in unserer Welt beschreibt. Schechina ist ein weibliches Wort. Was es im Hebräischen übrigens nicht gibt, ist das »es«. Also sei kein geschlechtsneutrales Pronomen zu finden, und so sei Gott im Hebräischen weder männlich noch weiblich, sondern beides.

David E. S. Stein, Projektmanager der Übersetzung, verweist auf Harry M. Orlinsky, den ehemaligen Chefredakteur der Übersetzung der New Jewish Publication Society (NJPS). Er habe häufig betont, dass die bekanntesten Bibelversionen bestimmte hebräische Substantive zu oft mechanisch als auf Männer bezogen wiedergegeben hätten, »wodurch Frauen relativ unsichtbar erschienen«.

So heiße es beispielsweise in klassischen Übersetzungen, dass Gott »die Schuld der Väter (Awot) an den Kindern heimsucht« (2. Buch Mose 20,5), obwohl andere Bibelstellen darauf hinwiesen, dass auch die Mütter und ihre Sünden gemeint waren. Orlinsky sei der Ansicht gewesen, dass solche Übersetzungen den biblischen Text falsch wiedergeben; die Lösung habe seiner Meinung nach in einem kontextbezogenen, idiomatischen Übersetzungsansatz gelegen. Und so betont auch Stein die Notwendigkeit einer »geschlechtersensiblen Version«, einer geschlechtsneutralen Sprache – auch in Bezug auf »Israels Gott«.

meinung Nicht alle sind dieser Meinung. Beispielsweise fragt der kanadische Rabbiner und Autor Tzvi Freeman: »Wir sprechen über den Einen, der die Zeit ins Leben rief, den Raum gründete und jedes Ereignis im Universum fortwährend verkörpert; den die Philosophen ›das absolute Wesen‹ und die Kabbalisten ›das unendliche Licht‹ nennen. Welchen Platz hat das Geschlecht in all dem?«

So weit die aktuelle Diskussion. Bemerkenswert ist, wie die Menschen in biblischen Zeiten Gott ein Geschlecht zuschrieben. Dazu schreibt Stein: »Wissenschaftler können keine eindeutige Schlussfolgerung über das Geschlecht in den altisraelitischen Darstellungen der biblischen Gottheit ziehen, denn nirgendwo in der Bibel steht, dass die Person der Gottheit männlich ist oder nicht. Wir müssen uns mit Andeutungen begnügen, die letztlich Argumente des Schweigens sind.«

Dennoch könne mit Fug und Recht behauptet werden, dass man damals »die Persona der Gottheit als geschlechtsunabhängig« aufgefasst habe.

KATEGORIEN In der jüdischen Tradition werden übrigens auch »nicht-binäre« Kategorien erwähnt. Neben männlich und weiblich gibt es dort beispielsweise »Androgynos« (Zwitter) oder »Tumtum« (Geschlechtslose). Zugleich gibt es aber auch die klare Definition in der Schöpfungsgeschichte (1. Buch Mose 1,27): »Da erschuf Gott den Menschen in seinem Ebenbilde, in dem Ebenbilde Gottes erschuf er ihn, männlich und weiblich erschuf er sie.«

Vielleicht lässt sich zusammenfassen: Gott ist weder weiblich noch männlich; Gott ist beides oder weder noch. Gott ist eine vollkommene Einheit. Beim Propheten Secharja (14,9) heißt es: »Dann wird der Herr König sein über die ganze Erde. An jenem Tag wird der Herr einzig sein und sein Name einzig.« Sefaria.org übersetzt den Text jetzt so: »Und Gott wird Souverän über die ganze Erde sein; an jenem Tag wird es einen Gott mit einem Namen geben.« ddk

Wajera

Awrahams Vermächtnis

Was wir vom biblischen Patriarchen über die Heiligkeit des Lebens lernen können

von Rabbiner Avraham Radbil  07.11.2025

Talmudisches

Rabbi Meirs Befürchtung

Über die falsche Annahme, die Brachot, die vor und nach der Lesung gesprochen werden, stünden im Text der Tora

von Yizhak Ahren  07.11.2025

Festakt

Ministerin Prien: Frauen in religiösen Ämtern sind wichtiges Vorbild

In Berlin sind zwei neue Rabbinerinnen ordiniert worden

 06.11.2025

Chassidismus

Im Sturm der Datenflut

Was schon Rabbi Nachman über Künstliche Intelligenz wusste

von Rabbiner David Kraus  06.11.2025

Rezension

Orthodoxer Rebell

Sein Denken war so radikal, dass seine Werke nur zensiert erschienen: Ein neues Buch widmet sich den Thesen von Rabbiner Kook

von Rabbiner Igor Mendel  06.11.2025

Potsdam

Abraham-Geiger-Kolleg ordiniert zwei Rabbinerinnen

In Deutschlands größter Synagoge Rykestraße in Berlin-Prenzlauer Berg werden an diesem Donnerstag zwei Rabbinerinnen ordiniert. Zu der Feier wird auch Polit-Prominenz erwartet

 05.11.2025

Vatikan

Theologe: Antisemitismus bei Vatikan-Konferenz kein Einzelfall

Der Salzburger Theologe Hoff berichtet über Eklats bei einer jüngsten Vatikan-Konferenz. Ein Schweizergardist soll sich verächtlich über Mitglieder einer jüdischen Delegation geäußert und in ihre Richtung gespuckt haben

 04.11.2025

Wittenberg

Judaistin kuratiert Bildungsort zur Schmähplastik

Die Darstellung der sogenannten »Judensau« an der Wittenberger Stadtkirche, der früheren Predigtkirche des Reformators Martin Luther (1483-1546), gehört in Deutschland zu den bekanntesten antisemitischen Darstellungen des Mittelalters

 02.11.2025

Lech Lecha

Im Sinne der Gerechtigkeit

Awraham war der Erste in der Menschheitsgeschichte, der gegen das Böse aufstand

von Rabbiner Salomon Almekias-Siegl  31.10.2025