Talmudisches

Reuwen und die Giftschlange

Weil Reuwen eine große Mizwa getan hatte, wurde er davor bewahrt, durch den Biss einer Giftschlange zu sterben. Foto: Getty Images

Talmudisches

Reuwen und die Giftschlange

Wie ein jüdischer Astronom einem nichtjüdischen Astrologen begegnete

von Noemi Berger  31.01.2020 09:09 Uhr

Zur Zeit des Talmuds betrachtete man in Babylonien die Astrologie als Wissenschaft. Einige Rabbiner, darunter Rabbi Chanina, behaupteten, die Sterne hätten die Macht, das Schicksal zu bestimmen, und der Astrologe könne es entziffern.

Die beiden Weisen Rabbi Jochanan und Raw meinten, dies treffe vielleicht für Nichtjuden zu. Jedoch lehnten sie kategorisch ab, dass Sternbilder das Schicksal von Juden bestimmen – seien es Einzelpersonen oder die gesamte Nation. Denn die Astrologie zu legitimieren, würde nahelegen, dass G’tt lebenswichtige Angelegenheiten an Geschöpfe »auslagert«, so ihr Argument.

Astrologe Wir lesen im Talmud (Schabbat 156b), wie eines Tages der jüdische Astronom Schmuel, der die Astrologie ablehnte, mit dem nichtjüdischen Astrologen Awlet zusammensaß. Die beiden teilten in Gesprächen und Diskussionen ihre gemeinsame Faszination für die Sterne. Während sie so beisammensaßen, sahen sie eine Gruppe von Wanderern, die sich auf den Weg zu einem nahe gelegenen See machte.

Awlet, der behauptete, das Schicksal der Menschen durch die Ausrichtung der Sterne entschlüsseln zu können, teilte Schmuel mit, dass einer aus der Gruppe – nennen wir ihn Reuwen – während der Wanderung von einer giftigen Schlange gebissen werden würde. Infolgedessen, so Awlet weiter, werde Reuwen sterben und nicht mit den anderen zurückkehren.

Schmuel, der die Wirkung der Astrologie auf das Leben der Juden ablehnte, wies Awlets Vorhersage zurück. Er sagte: »Wenn Reuwen Jude ist, dann ist deine Vorhersage gegenstandslos, und er wird sicher zurückkehren!«

Tatsächlich kam Reuwen nach dem Ausflug zurück – und das sehr lebendig. Damit bewies er, dass Awlet unrecht und Schmuel recht hatte.

Schicksal Erstaunt über Reuwens Rückkehr erhob sich Awlet, griff nach Reuwens Rucksack und untersuchte seinen Inhalt. Er fand darin den durchgeschnittenen Kadaver einer Schlange, also genau der Schlange, von der er vorhergesagt hatte, dass sie den Wanderer töten würde. Da fragte Schmuel Reuwen: »Was hast du denn Gutes getan, dass G’tt sich deiner erbarmte? Es muss etwas sehr Verdienstvolles gewesen sein, denn dass du hier lebendig vor uns stehst und nicht von der Schlange zu Tode gebissen wurdest, zeigt, dass G’tt in dein Schicksal eingegriffen und dich vor der giftigen Schlange beschützt hat.«

Verlegen zögerte Reuwen, auf Schmuels Frage zu antworten. Er wisse nichts von einer Mizwa, die er getan haben könnte. Doch dann fiel ihm ein, dass er und seine Kameraden jeden Tag ihre Lebensmittelvorräte zusammenlegten und miteinander teilten. »Heute, am letzten Tag unseres Ausflugs, hatte einer von uns kein Brot mehr und konnte nichts zur gemeinsamen Mahlzeit beitragen. Es war ihm so peinlich, und er fühlte sich schlecht. Da sagte ich zu den anderen: ›Heute sammele ich von allen das Brot ein.‹ Als ich zu ihm kam, ließ ich es so erscheinen, als würde ich von ihm Brot nehmen, damit er sich nicht schämen muss.«

Da sagte Schmuel zu Reuwen: »Du hast eine große Mizwa erfüllt, denn du hast den Mann vor einer öffentlichen Verlegenheit bewahrt und ihm dadurch eine Wohltat erwiesen. Dieser Akt der Nächstenliebe hat dein Schicksal bestimmt, denn ›Gerechtigkeit (und wohltätige Handlungen) retten vor dem Tod‹ (Mischle 10,2).«

Konzil

»Eine besondere Beziehung«

»Nostra Aetate« sollte vor 60 Jahren die Fenster der katholischen Kirche weit öffnen – doch manche blieben im christlich-jüdischen Dialog verschlossen. Ein Rabbiner zieht Bilanz

von David Fox Sandmel  21.11.2025

Toldot

An Prüfungen wachsen

Warum unsere biblischen Ureltern Hungersnöte und andere Herausforderungen erleben mussten

von Vyacheslav Dobrovych  20.11.2025

Kalender

Der unbekannte Feiertag

Oft heißt es, im Monat Cheschwan gebe es keine religiösen Feste – das gilt aber nicht für die äthiopischen Juden. Sie feiern Sigd

von Mascha Malburg  20.11.2025

Talmudisches

Gift

Was unsere Weisen über die verborgenen Gefahren und Heilkräfte in unseren Speisen lehren

von Rabbinerin Yael Deusel  20.11.2025

Jan Feldmann

Eine Revolution namens Schabbat

Wir alle brauchen einen Schabbat. Selbst dann, wenn wir nicht religiös sind

von Jan Feldmann  19.11.2025

Religion

Rabbiner: Macht keinen Unterschied, ob Ministerin Prien jüdisch ist

Karin Priens jüdische Wurzeln sind für Rabbiner Julian-Chaim Soussan nicht entscheidend. Warum er sich wünscht, dass Religionszugehörigkeit in der Politik bedeutungslos werden sollte

von Karin Wollschläger  19.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

USA

6500 Rabbiner auf einem Foto

»Kinus Hashluchim«: Das jährliche Treffen der weltweiten Gesandten von Chabad Lubawitsch endete am Sonntag in New York

 17.11.2025

Talmudisches

Torastudium oder weltliche Arbeit?

Was unsere Weisen über das rechte Maß zwischen Geist und Alltag lehren

von Detlef David Kauschke  14.11.2025