Teschuwa

Reparatur fällig

Handwerk als Metapher für das Leben Foto: Fotolia

Die meisten Menschen versuchen nicht, kaputtgegangene Dinge zu reparieren. Jeder Mensch, der mit »zwei linken Händen« geboren ist, sollte am besten viel Geld haben. Wenn etwas zerbricht, muss man sehr kreativ sein, um herauszufinden, wie man die Scherben nochmals verwenden kann. Ein beschädigter Schrank ist viel einfacher zu reparieren. Es gibt dafür aber unterschiedliche Methoden.

Der eine ist verärgert und nutzt die Gelegenheit, einen neuen Schrank zu kaufen, da der beschädigte schon alt ist und die Scharniere quietschen, die Farbe nicht mehr passt. Der andere wird sich zwar ärgern, aber sagen, dass der Schaden noch klein ist und man mit einer Neuanschaffung warten kann, bis der Schrank richtig kaputt ist. Derjenige, der handwerklich begabter ist, wird Zeit in die Reparatur investieren, damit sich der Schaden nicht verschlimmert und er den Schrank noch viele Jahre benutzen kann.

Dies ist eine Metapher für unser Leben. Wenn jemand einen anderen verletzt, wird er sich genauso wie der Besitzer eines Schrankes verhalten und sich für eine der drei Methoden entscheiden. Entweder wird er die Freundschaft kündigen und sich andere Freunde suchen, oder er wird die Freundschaft fortsetzen, bis der Bruch schlimmer wird, und sich erst dann neue Freunde suchen. Im Idealfall wird er jedoch alles dafür tun, mit seinem Freund zusammenzusitzen, um die gegenseitigen Probleme zu besprechen, damit die Freundschaft verbessert und vertieft wird.

fehler Ab Beginn des Monats Elul und danach im Monat Tischri und während der Feiertage Rosch Haschana und Jom Kippur können wir oft von »Teschuwa« (Umkehr) hören. Man muss zur Religion umkehren! Man muss seine Wege korrigieren! Man muss mit den schlechten Taten aufhören! Viele Menschen denken dann: Umkehr? Verbesserung unserer Wege? Wieso? Ich bin ganz in Ordnung! Ab und zu habe ich Fehler gemacht, aber allgemein gesehen bin ich seit meiner Geburt nicht der größte Sünder aller Zeiten, wohin soll ich dann umkehren?

Die Tora macht es uns nicht leicht mit dem Versuch, diese Frage zu beantworten. In der Tora steht: »Dass Du zurückkehrst zu dem Ewigen, Deinem Gotte« (5. Buch Moses 30,2), aber es wird nicht erläutert, wohin wir umkehren sollen.

Die Umkehr zur Religion ist etwas tiefer Gehendes als die Reparatur dieser oder jener Tat. Trotzdem dürfen wir nicht jede schlechte Tat leicht nehmen, denn für jede schlechte Tat muss der Mensch umkehren. Das ähnelt dem Bau eines Wolkenkratzers. Ein Fehler von nur einem Millimeter im Fundament kann zur Schieflage in den oberen Etagen führen. Aber die wahre Umkehr ist viel tiefer.

Wir können sehen, dass sich gerade die größten Gerechten mehr mit Umkehr als wir beschäftigen. Wieso tun sie das, da sie doch schon Gerechte sind?

Die Umkehr bedeutet eine innere Verbindung und
Rückkehr zu dem Wesentlichen eines Menschen. Der Mensch ist im Innersten mit dem Guten verbunden.

Einfluss Eine unserer größten Schwierigkeiten ist es, unserem Inneren zuzuhören. Wir wären viel gesünder, wenn wir unsere innere Stimme hören könnten. Aber wir bevorzugen zu leben, wie die Mode diktiert.

Wir leben nach der herrschenden Kultur, nach Marken, danach, was »in« und »out« ist. Aber es passt gar nicht zu uns. Viele Menschen investieren viel, um zu werden, was sie eigentlich nicht sind, und sind verzweifelt, wenn sie dabei scheitern. Wenn sie mehr auf sich selbst hören würden, hätten sie von Anfang an gewusst, dass etwas nicht zu ihnen passt.

Im Aufruf zur Umkehr bittet uns die Tora darum, auf unsere innere Wahrheit zu hören. Die Welt hat eine allgemeine Orientierung, der Mensch wiederum hat seine Seele. Sie können wunderbar miteinander umgehen wenn sich der Mensch auf dem richtigen Weg und Ort verwirklicht. Wir sind so sehr von der Umgebung beeinflusst, dass wir nicht mehr wissen, was eigentlich unsere Seele bedeutet.

Jeden Morgen beten wir: »Mein G’tt, die Seele, die Du in mich gegeben, rein ist sie.« Kann jeder sagen, dass seine Seele rein ist? Aber wir müssen an dieser Stelle hervorheben, dass die Seele tief in uns unabhängig von den Taten existiert, die wir begangen haben. Sie bleibt rein und ruft uns täglich auf, ein neues Blatt zu wenden und umzukehren.

Der Prozess der Umkehr stellt die Verbindung des Menschen mit seiner Quelle wieder her. Der Sünder hat die Harmonie mit G’tt verletzt. G’tt hat uns in die Welt gesetzt, um die Welt zu reparieren, damit sie besser wird. Zuallererst sollten wir die Welt moralisch durch gute Taten verbessern. Jede Sünde entfernt uns von der Verbesserung der Welt.

Rabbiner Joseph B. Soloveitchik erklärt, dass das Wort »Khet« (Sünde) vom Verb »LeHakhti« (verfehlen) stammt. Die Welt geht in die eine Richtung und der Sünder in die andere, deshalb treffen sich beide nicht.

Der Jude hat eine viel größere Aufgabe. Es wird von uns erwartet, dass wir uns dem besonderen Ziel des Volkes Israel in der Welt anschließen. So oder so ist das Ziel der Umkehr, sich nicht mit den kleinen Details der Sünde zu beschäftigen, sondern die ganze Welt zu verbessern. Die ganze Welt wartet darauf, dass das Volk Israel umkehrt und als Beispiel für alle Völker dient. Dann wird auch die Einstellung G’ttes gegenüber der Welt viel besser sein.

Zeit Die Tage zwischen Rosch Haschana und Jom Kippur werden die »Zehn Tage der Umkehr« genannt. Nachdem wir G’tt an Rosch Haschana als unseren König krönen, und bevor er als Richter an Jom Kippur sitzt und für alle Erdbewohner Urteile trifft, wird seine Herrschaft auf der Welt bereits präsent sein.

»Suchet den Ewigen, da er sich finden lässt« (Jesaia 56, 6). Man soll nicht verzweifeln und die Situation so lassen, wie sie ist, um das Beispiel des kaputten Schranks zu benutzen. Es ist jetzt die Zeit, alles zu reparieren.

In dieser Zeit hat der Mensch die Chance, trotz aller Risse und Brüche, trotz aller Verfehlungen, alles reparieren zu können. Die Umkehr ist kein einfacher Prozess, aber zuallererst soll das Ziel gesteckt werden. Der Wille, wieder jüdisch zu leben, unser Leben nicht nach dem Geist der Straße zu führen, sondern es nach der Tradition des Volkes Israel seit Generationen zu steuern, ist der Schlüssel für die vollständige Umkehr.

»Das Wichtigste an der Umkehr ist, dass sie die Dunkelheit sofort erleuchtet, wenn der Mensch zu sich selbst kehren wird, zu der Wurzel seiner Seele, wird er sofort zu G’tt umkehren, dem G’tt alle Seelen« (Orot HaTeshuva 16, 10. Rabbiner Kuk).

Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Kultusgemeinde Groß-Dortmund.

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