Neulich beim Kiddusch

Red Bull am Schabbat

Unser Schabbesgoi heißt Dragan. Er ist Hauswart in unserer Synagoge und arbeitet auch am Schabbes. Er putzt die Mikwe und Toilette, bereitet den Kiddusch vor, stellt die Stühle und Bänke zurecht. Kürzlich kam ein Schreiben vom Sekretariat der Gemeinde. Dragan, so stand dort, hätte sich beschwert. Über uns. Alle würden ihn schikanieren und ständig sagen, was er zu tun habe. Damit solle jetzt Schluss sein. Ab sofort dürften ihn nur noch drei Gemeindemitglieder schikanieren.

Wie das geht, konnte ich vor einigen Wochen, an Jom Kippur, erleben. Dragan musste nämlich an dem Tag auch arbeiten. Während wir fasteten und zu Gott dem Allmächtigen flehten, kam Dragan alle zehn Minuten bei uns vorbei und öffnete die schweren Fenster. Dann ging er hinauf zur Frauenempore, kehrte nach zehn Minuten wieder zu uns zurück und schloss die Fenster. Das war seine Aufgabe an Jom Kippur. Fast hätte ich ihn darum beneidet. Ich kasteie mich, und Dragan läuft ein bisschen hoch und runter. Da bemerkte ich die Schweißperlen auf seiner Stirn. Immer hoch und runter zu steigen, schien noch anstrengender zu sein als zu beten.

Cola light Vor Mussaf musste ich dringend auf Toilette. Draußen stand Dragan und erfrischte sich mit einer Dose Cola light. Zu seinem Leidwesen war neben ihm einer der drei offiziellen Anpeitscher unserer Gemeinde. »Dragan, du bist sieben Minuten aus dem Takt gefallen. Mach schnell!«

Der arme Dragan. Mit meiner Konzentration war es nun vorbei. Den Rest des Abends überlegte ich mir, was ich eigentlich weiß über unseren Schabbesgoi. Nicht viel. Er wohnt neben dem Rabbiner, hat zwei kleine Mädchen und fährt einen alten Ford Siena. Dragan kommt aus Bosnien und ist Anfang der 90er zu uns gestoßen. An den jüdischen Feiertagen trägt er eine braune Schiebermütze, dazu ein weißes Hemd und schwarze Jeans. Gäste, die zum ersten Mal zu uns kommen, grüßen ihn mit »Gut Schabbes«. Er sieht auch tatsächlich aus wie ein Jude.

Grenzgänger Natürlich ist er nicht jüdisch, ich vermute, es drängt ihn auch nicht dazu. Was wird wohl seine katholische Großmutter über ihn denken? Ihr kleiner Dragolein ist Schabbesgoi geworden! Plötzlich bekam ich Mitleid mit ihm. Mir kam Jona in den Sinn. Der war doch auch so ein Grenzgänger. Die Nichtjuden schmissen ihn über Bord, und die Juden lästerten über ihn, weil er Gottes Befehl nicht ausführte. Nur ein großer Fisch hatte Erbarmen und schluckte ihn runter.

Als ich diesen tiefen Gedanken hatte, lief gerade Dragan an mir vorbei. Es ließ sich nicht leugnen, dass Dragan langsam nach Schweiß roch. In der Mittagspause hatte er wahrscheinlich zwei Dosen Red Bull hinuntergespült. Auch das registrierte meine feine Nase. Ich wollte Dragan ein Zeichen geben, dass ich seine Arbeit wirklich schätze. Ich nickte ihm zu und lächelte. Doch der Empfänger schaute durch mich hindurch. Armer Dragan!

Als er nach Minuten die Fenster wieder öffnete, sagte ich halblaut »Danke!« Doch hinter mir murrten die Beter »pscht!« »Ach Gott im Himmel«, ich legte den Siddur kurz auf die Seite und schaute nach oben, »wenn es stimmt, dass alle Juden in den Himmel kommen, dann nimm bitte auch den Dragan mit. Der hat es echt verdient!«

Jetzt muss ich unseren Schabbesgoi nur noch fragen, ob er das will, da oben mit allen Juden zu sein.

Ki Tawo

Echte Dankbarkeit

Das biblische Opfer der ersten Früchte hat auch für die Gegenwart eine Bedeutung

von David Schapiro  12.09.2025

Talmudisches

Schabbat in der Wüste

Was zu tun ist, wenn jemand nicht weiß, wann der wöchentliche Ruhetag ist

von Yizhak Ahren  12.09.2025

Feiertage

»Zedaka heißt Gerechtigkeit«

Rabbiner Raphael Evers über Spenden und warum die Abgabe des Zehnten heute noch relevant ist

von Mascha Malburg  12.09.2025

Chassidismus

Segen der Einfachheit

Im 18. Jahrhundert lebte in einem Dorf östlich der Karpaten ein Rabbiner. Ohne je ein Werk zu veröffentlichen, ebnete der Baal Schem Tow den Weg für eine neue jüdische Strömung

von Vyacheslav Dobrovych  12.09.2025

Talmudisches

Stillen

Unsere Weisen wussten bereits vor fast 2000 Jahren, was die moderne Medizin heute als optimal erkennt

von David Schapiro  05.09.2025

Interview

»Die Tora ist für alle da«

Rabbiner Ethan Tucker leitet eine Jeschiwa, die sich weder liberal noch orthodox nennen will. Kann so ein Modell auch außerhalb New Yorks funktionieren?

von Sophie Goldblum  05.09.2025

Trauer

Eine Brücke zwischen den Welten

Wenn ein Jude stirbt, gibt es viele hilfreiche Riten. Doch auch für Nichtjuden zeigt die Halacha Wege auf

von Rabbiner Avraham Radbil  05.09.2025

Ki Teze

In Seinem Ebenbild

Was der Tanach über die gesellschaftliche Stellung von Frauen sagt

von Rabbinerin Yael Deusel  04.09.2025

Anti-Judaismus

Friedman: Kirche hat »erste globale Fake News« verbreitet

Der gebürtige Pariser warnte zudem vor weltweiten autokratischen Tendenzen und dem Verlust der Freiheit

 02.09.2025