Zukunftskongress

Alle unter einem Dach?

Cecilia Haendler, Sandra Anusiewicz-Baer und Katharina Schmidt-Hirschfelder auf dem Podium (v.l.) Foto: Maria Ugoljew

Orthodox, liberal, konservativ: All das und noch vieles mehr ist das Judentum heute in Deutschland. Was die unterschiedlichen Strömungen vereint und was sie trennt, wurde am Donnerstag vergangener Woche während des jüdischen Zukunftskongresses debattiert, den die Leo Baeck Foundation ausrichtete.

Der Saal im Centrum Judaicum war gut besucht, als die Podiumsdiskussion mit dem Titel »Denominationen. Gelebter Pluralismus im Judentum« von Katharina Schmidt-Hirschfelder, Redakteurin der Jüdischen Allgemeinen, eröffnet wurde.

Neben ihr hatten ihre Gesprächspartner Platz genommen: Shila Erlbaum, Kultus- und Bildungsreferentin beim Zentralrat der Juden, Sandra Anusiewicz-Baer, Koordinatorin am Zacharias Frankel College in Potsdam, Cecilia Haendler, Judaistin und Stipendiatin des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerkes (ELES), und Lea Mühlstein, Rabbinerin an der Northwood and Pinner Liberal Synagogue in London.

Kultussteuer Die Situation jüdischer Gemeinden, die durch die Kultussteuer staatlich gefördert würden, sei in Deutschland eine besondere, meinte Rabbinerin Mühlstein. »In England gibt es das nicht, wir haben einen freien Markt, in dem jede Gemeinde dafür sorgen muss, dass ihr Angebot interessant bleibt.« Nachteilig sei das Modell keineswegs. »Bei mir gibt es in einem Umkreis von fünf Kilometern neun unterschiedliche Synagogen – und ich wohne nicht einmal im jüdischen Viertel in London«, sagte die Rabbinerin.

Sandra Anusiewicz-Baer erwiderte: »Da können wir nur neidisch gucken. Wir befinden uns in Deutschland noch in einer Aufholjagd, was das betrifft.« Diese sei kein leichtes Unterfangen – gehe doch die Anzahl der Mitglieder eher zurück, als dass sie steige. Darüber hinaus wollten sich viele Juden nicht festlegen, welcher religiösen Strömung sie angehören wollen. »Das Judentum wird eher wie eine ›Salatbar‹ betrachtet«, sagte Anusiewicz-Baer.

»Wie lässt sich Pluralismus in einer Einheitsgemeinde verwirklichen?« Diese Frage stellte die Moderatorin. Eine Gemeinde müsse sich für die Wünsche ihrer Mitglieder interessieren, meinte Rabbinerin Mühlstein.

Trauungen »Aber es gibt natürlich Grenzen. Für mich stellt die Halacha allerdings nur eine relevante Quelle von vielen dar. Zum Beispiel das Thema Eheschließung. Darf ein Jude einen Nichtjuden heiraten? Oder was ist mit homosexuellen Paaren? Ich habe die Frage für mich mit Ja beantwortet – es gibt in meiner Synagoge dann zwar keine jüdische Hochzeit mit Chuppa, aber eine Trauung, die angebracht ist. Ich finde das respektvoll.«

Für Cecilia Haendler, die auf dem Podium das orthodoxe Judentum vertrat, kommt eine alternative Art der Eheschließung dagegen nicht infrage. Um das Judentum zu erhalten, müsse unter Juden geheiratet werden – sonst komme es zu einer »Verwässerung« in der christlich geprägten Mehrheitsgesellschaft, meinte sie. »Das ist eine Machtfrage, wir sind nun einmal weniger.«

Identität Orthodoxe und Reformströmungen würden sich einander dennoch annähern, sagte Shila Erlbaum. »Da ist einiges in Bewegung.« Beim Thema Gentechnik sei der orthodoxe Standpunkt sogar progressiver als der liberale. Dennoch seien die Einheitsgemeinden auch heute auf der Suche nach ihrer Identität. »Wir müssen die eigenen Werte noch finden, die uns ausmachen«, so Erlbaum.

Rabbinerin Lea Mühlstein unterstrich die Herausforderungen, vor denen Einheitsgemeinden in Deutschland ihrer Ansicht nach stehen: »Das Modell ist so weit offen, dass es wirklich Pluralismus geben kann.« Diesen müssten sich die Mitglieder allerdings auch selbst erarbeiten.

»Self-Empowerment« sei der Schlüssel zum Erfolg. Eine Londoner orthodoxe Gemeinde habe sich damit einmal die Teilnahme an einem Limmud erkämpft. »Ihr Rabbi meinte, sie dürfe daran nicht teilnehmen. Sie hat es trotzdem gemacht. Heute schaut auch der Rabbi beim Limmud vorbei. Das hat das jüdische Leben grundlegend verändert«, sagte Rabbinerin Mühlstein und ergänzte: Wer etwas Neues anfange, gewinne immer dazu – das könne sie aus ihrer bisherigen Erfahrung sagen.

Lech Lecha

Im Sinne der Gerechtigkeit

Awraham war der Erste in der Menschheitsgeschichte, der gegen das Böse aufstand

von Rabbiner Salomon Almekias-Siegl  31.10.2025

Talmudisches

Audienz beim König aller Könige

Was unsere Weisen über das Gebet und seine Bedeutung lehren

von Rabbiner Avraham Radbil  31.10.2025

Geschichte

Wer war Kyros der Große?

Manche behaupten, Donald Trump sei wie der persische Herrscher, der den Juden die Rückkehr nach Jerusalem erlaubte. Was hinter dem Vergleich steckt

von Rabbiner Raphael Evers  30.10.2025

Wittenberg

Judaistin kuratiert Bildungsort zur Schmähplastik

Die Darstellung der sogenannten »Judensau« an der Wittenberger Stadtkirche, der früheren Predigtkirche des Reformators Martin Luther (1483-1546), gehört in Deutschland zu den bekanntesten antisemitischen Darstellungen des Mittelalters

 29.10.2025

Vatikan

Papst bedauert Krise im Dialog mit Juden - verurteilt Antisemitismus

Seit Jahren ist der Dialog des Vatikans mit dem Judentum belastet. Nun hat Leo XIV. versucht, die Dinge klarzustellen - mit einem Bekenntnis zum Dialog und gegen den Antisemitismus

von Ludwig Ring-Eifel  29.10.2025

Schwielowsee

Shlomo Afanasev ist erster orthodoxer Militärrabbiner für Berlin und Brandenburg

Militärrabbiner gibt es bereits in Deutschland. Nun steigt der erste orthodoxe Rabbiner bei der Bundeswehr in Brandenburg ein

 29.10.2025

Rom

Eklat durch NS-Vergleich bei interreligiösem Kongress

Der Dialog zwischen katholischer Kirche und Judentum ist heikel. Wie schwierig das Gespräch sein kann, wurde jetzt bei einem Kongress in Rom schlagartig deutlich. Jüdische Vertreter sprachen von einem Tiefpunkt

von Ludwig Ring-Eifel  27.10.2025

Talmudisches

Das Schicksal der Berurja

Die rätselhafte Geschichte einer Frau zwischen Märtyrertum und Missverständnis

von Yizhak Ahren  24.10.2025

Schöpfung

Glauben Juden an Dinosaurier?

Der Fund der ersten Urzeitskelette stellte auch jüdische Gelehrte vor Fragen. Doch sie fanden Lösungen, das Alter der Knochen mit der Zeitrechnung der Tora zu vereinen

von Rabbiner Dovid Gernetz  23.10.2025