Zauberwürfel

Knobeln am Ruhetag?

Foto: serts

Vor über 50 Jahren erfand der ungarische Architekt und Designer Erno Rubik den nach ihm benannten »Rubik’s Cube«, der sich hierzulande auch unter der Bezeichnung Zauberwürfel großer Beliebtheit erfreut. Rubik war damals, im Jahr 1974, Professor an der Moholy-Nagy-Universität für Kunsthandwerk und Gestaltung in Budapest und entwickelte die Figur ursprünglich, um seinen Studenten zu helfen, ihr räumliches Denkvermögen zu trainieren.

Doch aus diesem didaktischen Werkzeug entstand eines der erfolgreichsten Spiele der Geschichte. 1980 wurde das Würfelpuzzle mit dem begehrten deutschen Kritikerpreis »Spiel des Jahres«, dem »Oscar der Brettspiele«, ausgezeichnet. Bis Januar 2024 wurden weltweit schätzungsweise 500 Millionen Zauberwürfel verkauft und landeten natürlich auch in vielen jüdischen Haushalten, wo die kleinen Würfel mit den sechs Farben eine interessante halachische Frage aufwarfen: Darf man mit den Dingern am Schabbat überhaupt spielen?

Idealer Zeitvertreib für Kinder

Im technologischen Zeitalter, in dem fast alles, einschließlich Spielzeug, elektronisch betrieben wird, ist der Rubik’s Cube auf den ersten Blick ein idealer Zeitvertreib für Kinder am Schabbat. Da er ein mechanisches Spielzeug ist, gibt es dabei keine halachischen Bedenken bezüglich Elektronik.

Warum sollte der Zauberwürfel also am Ruhetag problematisch sein? Die 39 am Schabbat verbotenen Kategorien von Arbeiten (Melachot) leiten sich von den Tätigkeiten ab, die für den Bau des Mischkans (Stiftszelts) in der Wüste notwendig waren. So ist es zum Beispiel am Schabbat verboten, Pflanzen zu ernten, da man, so eine Auslegung, Pflanzen für die Herstellung von Farbe im Stiftszelt ernten musste.

Natürlich hat niemand im Mischkan mit dem Zauberwürfel gespielt.

Natürlich hat niemand im Mischkan mit dem Zauberwürfel gespielt. Aber damit eine Tätigkeit am Schabbat verboten ist, kann sie auch einfach einer der dort ausgeübten Tätigkeiten ähneln. Pflanzenveredelung etwa ist verboten, weil dadurch das Wachstum der Pflanzen gefördert wird. Ebenso auf hohem Gras zu rennen, sodass es ausgerissen wird. Was trifft nun auf unseren Rubik’s Cube zu?

Eine mögliche Ähnlichkeit besteht zu der Melacha von Kotev (Schreiben). Dieses Verbot beschränkt sich nicht nur auf das Schreiben von Buchstaben oder Symbolen, sondern umfasst auch das Erstellen von Bildern – so fällt beispielsweise das Fotografieren mit einer Analogkamera unter Kotev und ist am Schabbat verboten. Rabbi Yosef Schalom Elyashiv argumentiert, dass der Zauberwürfel dieser Melacha ähnelt, da man durch das Drehen des Würfels und das Sortieren der Kästchen farbige Flächen erstellt.

Eine weitere Ähnlichkeit betrifft die Melacha von Borer (das Trennen oder Sortieren). Am Schabbat darf man »Schlechtes« nicht von »Gutem« trennen. Manche Rabbiner sehen nun im Sortieren und Trennen der gewünschten Farben von den unerwünschten Farben eine Form von Borer.

In Israel fanden bereits mehrere Würfel-Meisterschaften statt.

Diese Ansichten sind jedoch umstritten. Die Mehrheit der halachischen Autoritäten ist der Meinung, dass das bloße Spielen mit einem Zauberwürfel am Schabbat kein Problem darstellt. Ihrer Ansicht nach ist eine farbige Fläche nicht mit der Melacha von Kotev vergleichbar – anders wäre es, wenn der Würfel echte Bilder anstelle von Farben hätte. Auch Borer, also das Sortieren, liege hier nicht vor, da die Kästchen miteinander verbunden sind und nichts wirklich voneinander getrennt wird.

Aufpassen sollte man jedoch, wenn der Zeitvertreib zur Sportart wird. Denn wenn man den Zauberwürfel in einem Wettbewerb löst, kommt man leicht dazu, einen Timer zu betätigen oder Ergebnisse aufzuschreiben. Das ist beim Zauberwürfel gar nicht einmal so weit hergeholt: Seit der Jahrtausendwende wächst die sogenannte »Speedcubing«-Community. In Israel fanden bereits zahlreiche Meisterschaften mit Hunderten von Teilnehmern aus dem ganzen Land statt.

Ein neuer Rekord

2023 stellte der Israeli Ben Baron einen neuen Rekord mit dem »Ungarischen Würfel« auf, wie der Rubik’s Cube dort aufgrund seiner Herkunft genannt wird. In nur 4,52 Sekunden schaffte er es, alle Seiten auf die gleiche Farbe zu drehen – der Weltrekord des US-Amerikaners Max Park liegt bei 3,13 Sekunden.

Seit der Erfindung des Zauberwürfels sind nun 50 Jahre vergangen, und obwohl sich die Spielzeugindustrie seitdem stark verändert hat, erfreut er sich noch immer großer Beliebtheit. Möglicherweise hat er sogar einen besonderen Vorteil gegenüber anderen Spielzeugen – zumindest für uns Juden: Denn nach den meisten halachischen Meinungen können sich Kinder am Schabbat bedenkenlos ihre Zähne am Zauberwürfel ausbeißen. Und wer weiß – vielleicht gelingt es jemandem, nach einem langen Schabbat-Abend ohne die Ablenkung elektronischer Spielzeuge einen neuen Weltrekord aufzustellen?

Der Autor ist Assistenz-Rabbiner der Gemeinde Kahal Adass Jisroel, Dozent am Rabbinerseminar zu Berlin und Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD).

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