Torafreude

G’tt und ich

Tanz mit der Tora im Arm Foto: copyright (c) Flash90 2012

Simchat Tora wird in der Tora interessanterweise so charakterisiert: »Am achten Tag habt ihr heilige Versammlung … Er ist ein Tag der Zurückhaltung (Azeret)« (4. Buch Mose 23,36). Was in aller Welt ist »Azeret«?

In der Erklärung des Midrasch sagt G’tt zu Israel: »Ich halte dich zurück bei Mir« – wie ein König, der seine Kinder zu einem mehrtägigen Fest einlädt. Als die Zeit für die Abreise gekommen ist, spricht er: »Meine Söhne, bitte bleibt noch einen Tag bei mir. Eure Abreise ist schwer für mich.« Das heißt: Wir haben gerade Rosch Haschana, Jom Kippur und Sukkot zusammen gefeiert. Ich habe euch beurteilt, euch vergeben und euch im Schatten meiner schützenden Wolken geborgen. Ich will euch nicht so bald weggehen lassen. Schenkt mir nur noch einen Tag.

Simchat Tora hat also etwas sehr Intimes. Nach so vielen anderen festlichen Anlässen bittet G’tt um einen letzten Tag – nur uns allein. Keine besonderen Aktivitäten, kein Schofar, kein Urteil, keine Sukka, keinen Lulav. Das alles lassen wir hinter uns, um einen weiteren Tag zusammen zu verbringen – »nur ich und Du«.

Richter Die vorangegangenen Feiertage bezogen sich auf alle Menschen: An den Hohen Feiertagen ist G’tt Richter der ganzen Welt. An Sukkot bringen wir Tempelopfer dar für das Wohlergehen aller Nationen. Aber nicht an Simchat Tora. Das Einzige, was G’tt an diesem Tag verlangt, ist, ein paar ruhige Stunden zusammen mit Ihm zu verbringen.

Wie feiern wir unseren besonderen Tag mit G’tt? Indem wir Seine besondere Gabe für das jüdische Volk annehmen – indem wir Seine Tora halten und mit ihr tanzen. Aber warum feiern wir an diesem Tag die Tora? Haben wir die Tora nicht an Schawuot empfangen – das Fest, an dem wir der Offenbarung am Berg Sinai gedenken? Warum eine erneute Feier zu Beginn des Jahres? Die Antwort ist, dass wir die Tora verloren haben, die wir an Schawuot erhielten. Nach der Offenbarung blieb Mosche 40 Tage lang auf dem Berg. In dieser Zeit lehrte G’tt ihn die Tora und beauftragte ihn, sie der Nation beizubringen. Er stieg den Berg herab, nur um sehen zu müssen, wie ein Teil der Nation um das Goldene Kalb tanzte. Die meisten blieben gleichgültig angesichts dieser tragischen Begebenheit.

Doch Mosche zertrümmerte die Tafeln und annullierte so die erste »Ehe« mit G’tt. Wir verloren die Tora, die wir erst kurz zuvor erworben hatten; wir entsprachen ihren Idealen nicht. Die nächsten 40 Tage verbrachte Mosche damit, G’tt zu bitten, die Nation nicht zu vernichten. Danach blieb er noch einmal 40 Tage allein auf dem Berg Sinai und nahm das zweite Paar der Tafeln entgegen. Schließlich kehrte er an Jom Kippur zurück, als G’tt der Nation vollständig verzieh. Das ist die Tora, die wir an Simchat Tora feiern.

Jom Kippur Doch wir feiern nicht den Empfang der Tora als Nation wie an Schawuot; wir feiern an Simchat Tora unseren ganz persönlichen Empfang. G’tt gab uns das zweite Paar Tafeln, weil Er uns als würdig befand, sie zu empfangen. An Jom Kippur hatte er uns vergeben und beschlossen, uns von Neuem anzunehmen. Wir feiern das, indem jeder von uns die Tora in den Händen hält, die G’tt uns anvertraut hat – und wir tanzen mit ihr. Und jedes Mitglied der Synagoge wird zur Tora gerufen, um einen Abschnitt daraus zu lesen.

Wer schon einmal in einer Menge getanzt hat, weiß, dass es eigentlich eine sehr persönliche Erfahrung ist. Trotz der großen Zahl von Menschen, die dich umgeben, fühlst du dich sehr allein. Du verlierst dich in einer großen Masse von tanzenden Leuten. Du weißt nicht, wer die einzelnen Tänzer sind, und du weißt nicht, wo in der Menge du gerade bist. Wenn wir an Simchat Tora tanzen, feiern wir unsere persönliche Verbindung mit der Tora.

Philadelphia Jeder hat seine Geschichte, wie die Tora sein Leben berührt hat, und wie er zu dem geworden ist, der er heute ist. Die Familie meines Großvaters kam im frühen 20. Jahrhundert aus der Ukraine in die Vereinigten Staaten. Er war eines von elf Kindern in einer sehr traditionellen Familie. Sie ließen sich in Philadelphia nieder. In einer Geschichte, die sich buchstäblich zwei Millionen Mal wiederholte, besuchten die Kinder öffentliche Schulen und wurden »amerikanisiert«. In dieser Zeit machten die meisten einen Prozess der Säkularisierung durch, und die Ausübung der Religion wurde Nebensache.

Anders mein Großvater. Vor fast 100 Jahren überzeugte ein Rabbi den Vater meines Großvaters, seinen Sohn Abraham in eine Jeschiwa in New York zu schicken. 1918, am Tag des Waffenstillstands, der den Ersten Weltkrieg beendete, kam Abraham als Teenager in New York an. Er besuchte die Schule, aus der später die Yeshiva University wurde. Er schloss sein Studium ab und wurde als Rabbiner ordiniert – genau wie sein Sohn und Enkel nach ihm.

Jeder von uns hat seine Geschichte, wie er zu dem wurde, der er heute ist, und was die Tora ihm bedeutet. Niemand hat ein Monopol auf die Weisheit G’ttes. Es ist eine Weisheit, die uns allen etwas gibt – und die eine persönliche Botschaft für jeden von uns hat.

Übersetzung und Abdruck mit freundlicher Genehmigung von www.aish.com

München

Knobloch lobt Merz-Rede in Synagoge - Wunsch in Bezug auf Israel

Am Montagabend wurde in München die Synagoge Reichenbachstraße wiedereröffnet. Vor Ort war auch der Bundeskanzler, der sich bei seiner Rede berührt zeigte. Von jüdischer Seite kommt nun Lob für ihn - und ein Appell

von Christopher Beschnitt  16.09.2025

Rosch Haschana

Jüdisches Neujahrsfest: Bischöfe rufen zu Verständigung auf

Stäblein und Koch betonten in ihrer Grußbotschaft, gerade jetzt dürfe sich niemand »wegducken angesichts von Hass und Antisemitismus«

 16.09.2025

Bayern

Merz kämpft in wiedereröffneter Synagoge mit Tränen

In München ist die Synagoge an der Reichenbachstraße feierlich wiedereröffnet worden, die einst von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Der Bundeskanzler zeigte sich gerührt

von Cordula Dieckmann  16.09.2025 Aktualisiert

Ki Tawo

Echte Dankbarkeit

Das biblische Opfer der ersten Früchte hat auch für die Gegenwart eine Bedeutung

von David Schapiro  12.09.2025

Talmudisches

Schabbat in der Wüste

Was zu tun ist, wenn jemand nicht weiß, wann der wöchentliche Ruhetag ist

von Yizhak Ahren  12.09.2025

Feiertage

»Zedaka heißt Gerechtigkeit«

Rabbiner Raphael Evers über Spenden und warum die Abgabe des Zehnten heute noch relevant ist

von Mascha Malburg  12.09.2025

Chassidismus

Segen der Einfachheit

Im 18. Jahrhundert lebte in einem Dorf östlich der Karpaten ein Rabbiner. Ohne je ein Werk zu veröffentlichen, ebnete der Baal Schem Tow den Weg für eine neue jüdische Strömung

von Vyacheslav Dobrovych  12.09.2025

Talmudisches

Stillen

Unsere Weisen wussten bereits vor fast 2000 Jahren, was die moderne Medizin heute als optimal erkennt

von David Schapiro  05.09.2025

Interview

»Die Tora ist für alle da«

Rabbiner Ethan Tucker leitet eine Jeschiwa, die sich weder liberal noch orthodox nennen will. Kann so ein Modell auch außerhalb New Yorks funktionieren?

von Sophie Goldblum  05.09.2025