Rezension

Gott als Partner des Menschen

Foto: PR

Rezension

Gott als Partner des Menschen

Elisa Klaphecks neues Buch sieht in jüdischer Theologie eine politische Dimension und findet Erklärungen im Vokabular unserer Zeit

von Daniel Hoffmann  20.01.2023 11:38 Uhr

Das neue Buch von Elisa Klapheck, Rabbinerin in Frankfurt und Professorin für Jüdische Studien in Paderborn, trägt einen lapidaren Titel. Zur politischen Theologie des Judentums hat nach heutigen Vorstellungen eher die Qualität eines erläuternden Untertitels. Im Kontext der philosophisch-theologischen Tradition jedoch, an die sich dieses Buch anschließt, verweist die Formulierung seines Titels auf das Grundsätzliche seines Themas.

Vergleichbar ist der Titel etwa mit Spinozas Theologisch-politischem Traktat, in dem grundsätzlich neue Perspektiven des Religiösen aufgezeigt werden. Elisa Klapheck geht es ebenfalls um die elementare Frage, wie der Mensch heute mit Gott lebt und wie er sich aufgrund seines neuen Verständnisses von Theologie mit der Tradition verbinden kann.

anspruch Klaphecks Buch ist keine rabbinische Schrift, sondern das Buch einer Rabbinerin für interessierte Leserinnen und Leser. Es ist ein philosophisch-theologisches Buch, das einen hohen Anspruch hat, weil es prinzipielle Probleme der Theologie in unserer Gegenwart behandelt. Zu diesem Anspruch gehört, dass es Jüdinnen und Juden auf »Augenhöhe« mit Gott zeigt, in gleichwertiger Verantwortung füreinander und für die Welt.

Klapheck argumentiert deshalb mit dem für unsere Zeit selbstverständlich gewordenen Vokabular der Politik, mit Begriffen wie »Autonomie«, »Reziprozität«, »gleichwertig«, »Emanzipation« und »Freiheit«. Sie gehören zu dem umfassenderen Begriff des Rechtsstaates. Diese Begriffe werden aber nicht allein in ihrer aktuellen Bedeutung verstanden, sondern sie dienen zugleich zur Beschreibung der grundlegenden Vorstellungen der jüdischen Tradition, die in der Bibel dargestellt werden und in den klassischen Werken der Rabbinen ihre Fortsetzung finden. Exemplarisch lässt sich das am ersten und umfangreichsten Kapitel »Gott und die Polis« darstellen.

Darin entwickelt Klapheck ihre Überzeugung, dass sich die Hebräische Bibel »nicht auf einen despotischen Schöpfergott« festlegt. Vielmehr wird dieser durch seine »sich zum Menschen entwickelnde Beziehung« immer wieder dazu animiert, sich selbst neu zu gestalten, seine Beziehung zum Menschen »auszuhandeln«. Gott wird auf diese Weise zum »politischen Partner des Menschen«. Eine solche Partnerschaft ist eine »produktive Konflikt-Beziehung«, in der die »Selbstermächtigung des Menschen« zeigt, dass er Gott gegenüber gleichwertig ist.

SÜNDENFALL Die Urszene für diese Selbstermächtigung sieht Klapheck im biblischen Sündenfall, den sie als Ausbruch der »latenten Opposition« des Menschen gegenüber Gott deutet. Durch Evas »Fehltritt« trotzt der Mensch Gott seine Autonomie ab. In Abrahams Streit mit Gott um die Zerstörung Sodoms setzt sich dieser Prozess der Emanzipation fort.

Diese Konflikte sind für den Menschen segensreich, da die gewonnene Autonomie ihm die Fähigkeit verleiht, selbst aktiv »Welten zu schaffen«. In diese neuen Welten aber »soll« Gott eingebunden werden. Denn die Autonomie des Menschen aktiviert zugleich Gottes »politischen Anteil« an dem Weltgeschehen.

Die jüdische Tradition hat für Klapheck eine immanente politische Dimension, die ihren Ausdruck im Ringen zwischen den hierarchischen und egalitären Kräften im Judentum findet. Indem sie die Tora politisch liest, erscheinen ihr viele Themen in einem neuen Licht. Das jüdische Leben in der Diaspora sieht sie als gleichwertig mit dem Leben in Israel. In beiden verwirklicht sich ein Modus jüdischer Existenz.

ausrichtung Klap­hecks politische Theologie des Judentums besitzt eine optimistische Ausrichtung. Mit ihr vermag sie Leserinnen und Leser, die von der jüdischen Tradition her ganz anders konditioniert sind, für sich zu gewinnen. Ihr politisch-theologisches Vokabular ist das unserer Zeit. Es ist Ausdruck des Willens zur politischen Freiheit.

Sie setzt damit ein Zeichen gegen Konfrontation oder Unterdrückung. Regierende Despoten und solche, die darauf warten, ihre Mitmenschen zu unterwerfen, hat unsere Zeit genug. Insofern ist Elisa Klaphecks politische Theologie der Bibel eine Lektüre, die zu befreien vermag.

Elisa Klapheck: »Zur politischen Theologie des Judentums«. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2022, 242 S., 24 €

Essay

Chanukka und wenig Hoffnung

Das hoffnungsvolle Leuchten der Menorah steht vor dem düsteren Hintergrund der Judenverfolgung - auch heute wieder

von Leeor Engländer  21.12.2025

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  20.12.2025

Wajigasch

Mut und Hoffnung

Jakow gab seinen Nachkommen die Kraft, mit den Herausforderungen des Exils umzugehen

von Rabbiner Jaron Engelmayer  19.12.2025

Mikez

Füreinander einstehen

Zwietracht bringt nichts Gutes. Doch vereint ist Israel unbesiegbar

von David Gavriel Ilishaev  19.12.2025

Meinung

Heute Juden, morgen Christen

Judenhass führt konsequent zum Mord. Dafür darf es kein Alibi geben

von Rafael Seligmann  19.12.2025

Chanukka

»Wegen einer Frau geschah das Wunder«

Zu den Helden der Makkabäer gehörten nicht nur tapfere Männer, sondern auch mutige Frauen

von Rabbinerin Ulrike Offenberg  18.12.2025

Chanukka

Berliner Chanukka-Licht entzündet: Selbstkritik und ein Versprechen

Überschattet vom Terroranschlag in Sydney wurde in Berlin am Mittwoch mit viel Politprominenz das vierte Licht an Europas größtem Chanukka-Leuchter vor dem Brandenburger Tor entzündet

von Markus Geiler  18.12.2025

Chanukka

Wofür wir trotz allem dankbar sein können

Eine Passage im Chanukka-Gebet wirkt angesichts des Anschlags von Sydney wieder ganz aktuell. Hier erklärt ein Rabbiner, was dahinter steckt

von Rabbiner Akiva Adlerstein  17.12.2025

Attentat in Sydney

»Was würden die Opfer nun von uns erwarten?«

Rabbiner Yehuda Teichtal hat bei dem Attentat in Sydney einen Freund verloren und wenige Stunden später in Berlin die Chanukkia entzündet. Ein Gespräch über tiefen Schmerz und den Sieg des Lichts über die Dunkelheit

von Mascha Malburg  16.12.2025