Jahrzeit

Glaube nach amerikanischer Art

Mordechai Menachem Kaplan (1881–1983) Foto: cc

Als Mordechai Menachem Kaplan am 8. November 1983 mit 102 Jahren in New York verstarb, lag ein wechselvolles reiches Leben hinter ihm, das seinen Höhepunkt in der Gründung des jüdischen Rekonstruktionismus gefunden hatte.

Kaplan wurde am 11. Juni 1881 im litauischen Svencionys geboren. Mit acht Jahren folgte er gemeinsam mit der Mutter und den Schwestern dem Vater in die USA. Dieser arbeitete dort als Assistent des orthodoxen Großrabbiners Jacob Joseph. Kaplan besuchte das renommierte Jewish Theological Seminary (JTS), wo er 1902 seinen Abschluss machte. Daneben nahm er an soziologischen und philosophischen Seminaren an der Columbia University teil.

neugestaltung Im Anschluss war Kaplan unter anderem viele Jahre als Rektor am Teachers Institute des JTS und Rabbiner am orthodoxen Jewish Center in Manhattan tätig. Seine zunehmend progressiven Ansichten zur Neugestaltung des Judentums, sozialer Gerechtigkeit und zu Frauenrechten führten 1921 zum Bruch. Nur ein Jahr zuvor hatte er mit seinem Aufsatz »A Program for the Reconstruction of Judaism« den Unmut der Orthodox Rabbinical Union auf sich gezogen. Darin hatte Kaplan grundlegende Änderungen im Judentum und die Verlegung des Schabbat auf den Sonntag gefordert. Der Konflikt mit der Orthodoxie führte so weit, dass er 1945 mit einem Cherem, dem religiösen Bann, belegt wurde.

Mit wenigen Verbündeten gründete Kaplan 1922 eine eigene Gemeinde, die Society for the Advancement of Judaism. Dort setzte er seine Ideen zu einer Neugestaltung des Judentums in die Praxis um. So war eine seiner ersten Handlungen, seiner Tochter Judith als erstem Mädchen überhaupt die Batmizwa zu gestatten.

opus magnum Mit 53 Jahren legte Kaplan sein Opus Magnum Judaism as a Civilization vor. Hierin entwickelte er den Gedanken, dass das Judentum eine durch Jahrtausende hindurch entstandene und sich weiterentwickelnde Zivilisation sei. In deren Zentrum stehe zwar die Religion, doch Sprache, Geschichte, Kunst und nicht zuletzt der Zionismus bildeten den Rahmen.

Der Ansatz, dass die jüdische Zivilisation sich ständig entwickelt, bedeutete für Kaplan, dass Rituale und Inhalte des Judentums keine Ewigkeitsklausel besitzen können. Sie müssen mitwachsen und sich an neue Entwicklungen anpassen. Ausgehend von diesem Gedanken legte Kaplan zentrale Begriffe der jüdischen Religion neu aus. Er wandte sich gegen eine übernatürliche Konzeption von Gott, der für ihn vielmehr ein dem Universum zugrunde liegendes Prinzip war. Die sogenannten Naturgesetze stehen für Gottes immanentes Wirken.

universum »Das Element der Kreativität«, schrieb Kaplan in Judaism as a Civilization, »lässt uns Gottes transzendentes Wirken erahnen. Gott ist das Leben des Universums.« Eine ähnlich radikale Abkehr von traditionellen Positionen vertrat Kaplan im Hinblick auf die Tora. Diese war für ihn nicht gottgegeben, vielmehr sah er sie als Ergebnis und Zeugnis jüdischer Zivilisation. Deren Zentrum war für ihn ein jüdischer Staat in Palästina. Zeitlebens Zionist, vertrat er aber eine Position, die davon ausging, dass der neue jüdische Staat als kultureller Mittelpunkt die jüdischen Gemeinden in der Diaspora ideell zwar bestärken, diese jedoch nicht ersetzen würde.

In den Folgejahren gründeten sich weitere Gemeinden, die sich an Kaplans Ideen orientierten, aber offiziell zögerte dieser, eine eigene Denomination auszurufen. Erst 1968, mit Eröffnung einer rekonstruktionistischen Ausbildungsstätte für Rabbiner in Philadelphia, vollzog Kaplans Bewegung diesen Schritt. So entstand neben dem orthodoxen, konservativen und liberalen Judentum eine vierte eigenständige Richtung jüdischer Religion. Mit dieser Abspaltung war jedoch Kaplans allumfassender Zivilisationsansatz gescheitert.

Thüringen

Jüdische Landesgemeinde und Erfurt feiern Chanukka

Die Zeremonie markiert den Auftakt der inzwischen 17. öffentlichen Chanukka-Begehung in der Thüringer Landeshauptstadt

 08.12.2025

Wajischlach

Zwischen Angst und Umarmung

Die Geschichte von Jakow und Esaw zeigt, wie zwei Brüder und zwei Welten wieder zueinanderfinden

von Rabbiner Joel Berger  05.12.2025

19. Kislew

Himmlischer Freispruch

Auch wenn Rosch Haschana schon lange vorbei ist, feiern Chassidim dieser Tage ihr »Neujahr«. Für das Datum ist ausgerechnet der russische Zar verantwortlich

von Chajm Guski  05.12.2025

Talmudisches

Freundlich grüßen

Was unsere Weisen über Respekt im Alltag lehren

von Yizhak Ahren  04.12.2025

Begnadigung

Eine Frage von biblischer Tragweite

Die Tora kennt menschliche Reue, gerichtliche Milde und g’ttliche Gnade – aber keine juristische Abkürzung

von Rabbiner Raphael Evers  03.12.2025

Geschichte

Wie Regina Jonas die erste Rabbinerin wurde

Die Ordination Ende 1935 war ein Ergebnis ihres persönlichen Kampfes und ihrer Kompetenz – ein Überblick

von Rabbinerin Ulrike Offenberg  03.12.2025

New York

Das sind die Rabbiner in Mamdanis Team

Im Gegensatz zu seinem Vorgänger hat Mamdani keinen Ortodoxen in seine Übergangsausschüsse berufen – eine Lücke, die bereits im Wahlkampf sichtbar wurde

 02.12.2025

Gemeinden

Ratsversammlung des Zentralrats der Juden tagt in Frankfurt

Das oberste Entscheidungsgremium des jüdischen Dachverbands kommt einmal im Jahr zusammen

 01.12.2025 Aktualisiert

Wajeze

Aus freier Entscheidung

Wie Jakow, Rachel und Lea eine besondere Verbindung zum Ewigen aufbauten

von Paige Harouse  28.11.2025